Jan 20 2011

Auf der Spur der Lebensmelodie

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Anknüpfend an „Der Trommler“ vom 12. Januar 2011 sind noch weitere Einstiegsvarianten in Memoiren vorstellbar. Der Trommler stand am Anfang einer Assoziationskette, die über Grass in Zeiten führte, in denen niemand an Flatrate oder Handy dachte. Er hätte aber auch Erinnerungen an Begegnungen mit Rhythmen und Musik auslösen können.

Bleiben wir bei der Musik und verdichten auf dieser Linie mögliche Mosaiksteine des Gestern:

Gab es Hausmusik im Elternhaus, wurde gerne gesungen, hörte man gezielt Radio – zum Beispiel „Musik zur Kaffeestunde“ oder „Vom Telefon zum Mikrofon“? War die „Hitparade“ mit Dieter Thomas Heck im Fernsehen ein Zankapfel oder toleriert?

Welche Rolle spielten Musikinstrumente praktisch im eigenen Leben? Gehörte man einem Orchester oder einem Musikverein an? Mussten die eigenen Kinder ein Instrument lernen, weil einem selbst dies verwehrt geblieben ist?

Von der Trommel zum Schlagzeug ist es nicht weit: Welcher Schlagzeuger gab in der Jugend bevorzugt den Ton an? Welche Pop-Gruppe imponierte einem besonders? Sind Episoden aus der Tanzstunden-Zeit erinnerlich? Dienten Disko-Besuche der Entgrenzung? In welcher Kleidung und mit welcher Frisur zeigte man, dass man „in“ ist? Wie fühlte es sich beim Brautwalzer an oder hat man den gemieden?

Abgesehen davon verknüpft eine Szene im Film „Die Blechtrommel“ Musik mit Politik. Oskar Matzerath sitzt unter einer Tribüne und bringt die Marschmusik einer NS-Veranstaltung mit seiner Trommel aus dem Takt. So kann es auch im eigenen Musik-Erleben Anklänge an den Zeitgeist geben. Es gab wehmütige Lieder, die Heimatvertriebene gerne hörten und sangen. Es gab in den 50er/60er Jahren Gesangvereinsfeste mit Festumzug, wo schmissige Marschmusik zum guten Ton gehörte. Im Bayerischen Rundfunk durften einzelne Titel – zumindest zeitweilig – nicht gesendet werden, weil sie angeblich zu „anzüglich“ waren.

Übrigens spricht man ja auch von der “Lebensmelodie”. Bei einigen Menschen überwiegen die helleren Töne, bei anderen die Moll-Färbung. Das muss nicht in allen Phasen gleich sein. Genau dies kann zum Aufhänger für Erzählungen werden: Wann dominierten Flötentöne, Tommeln oder Chor, wann war Polka oder Beat angesagt und wann wechselte das Lebensgefühl zu Jazz, Hardrock oder Opern …

Manchmal schlägt das Schicksal überraschende Kapriolen. Bei den Recherchen zu diesem Thema erfuhr ich bei „wikipedia“, dass Dieter Thomas Heck als Sechsjähriger in Hamburg nach einem Bombenangriff drei Tage lang verschüttet war und aufgrund dieses Traumas anschließend stotterte. Eine Gesangsausbildung half ihm darüber hinweg und „führte auch zu seiner Fähigkeit als Schnellsprecher“. (http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Thomas_Heck)

In jedem Lebenslauf gibt es Wendungen, die aufhorchen lassen, Mut machen, Orientierung bieten. Deshalb: Jedes Schicksal ist einmalig und es wert, festgehalten zu werden.

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Jan 17 2011

Der 9. Oktober 1999 … hinterlässt einen bleibenden Eindruck

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Es ist selten, dass ich ein Buch ein zweites Mal lese. Bei „Ein wilder Tag“ von Bonnie Jo Campbell war mir dies eine Herzensangelegenheit. Nicht nur aus schreibtechnischen Gesichtspunkten, denn am Aufbau dieses Romans lässt sich vor allem der Perspektivwechsel studieren. Anziehend ist die erdverbundene Atmosphäre, die die Ereignisse an diesem 9.10.1999 trägt. Rasch wird vermittelt, dass dieser Tag für eine Reihe von Personen unvergesslich bleiben und Veränderungen nach sich ziehen wird.

Diese Verheißung ist jedoch ein kleines Licht in der Ferne. Wenig spektakulär, wie auch der Ton, in dem uns über die Dorfbewohner am östlichen Rand des Kalamazoo County allerlei erzählt wird. Hauptperson ist ein zwölfjähriger Junge, der sein Asthma mittels Inhalator zähmt, sich aber unbedingt abhärten und dem Farmer George Harland imponieren will. Dieser hat erst vor sechs Wochen die viel jüngere Rachel geheiratet, in deren Adern indianisches Blut fließt und die von ihrer Mutter auf einem Hausboot ohne Komfort aber mit eindrücklichem Unterricht im Erlegen und Weiterverarbeiten von Tieren groß gezogen wurde.

Im Mittelpunkt steht eine Scheune, die viel erzählen könnte. Ihr stattliches Alter bestätigt ihre solide Bauweise. Selbst ein Tornado hatte sie nicht wegreißen können. Doch schnell verdichtet sich zur unglaublichen Gewissheit, dass sie an jenem schicksalhaften Oktobertag fällig ist. Unfassbar, aber sie brennt wirklich ab. Eine zunächst sorgsam gehütete Zigarettenglut ist schuld daran, dass das Stroh Feuer fängt. Wird der Verursacher überleben? Falls ja, wie wird man ihm begegnen?

Im Original heißt der Roman „Q Road“ und ist 2003 erschienen. In Deutschland kam die gebundene Ausgabe 2004 bei Droemer heraus, das Taschenbuch bei Knaur 2008 (392 Seiten, 7,95 €, ISBN 978-3-426-62927-7). Von der preisgekrönten Autorin ist für 2011 ein weiterer Roman angekündigt.

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Jan 12 2011

Der Trommler

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Kultur,Literatur

Es war am Silvesterabend. Ich spazierte in St. Petersburg, Florida, an der Promenade. Viele Künstler-Gruppen waren versammelt. Es gab Musik, Gaukler ließen sich bestaunen, Menschen versuchten sich in einem Hecken-Labyrinth zurechtzufinden. Natürlich gab es auch Essbares an verschiedenen Buden. Die Stimmung war gut, man freute sich auf das Feuerwerk, das neue Jahr und dass man es gemeinsam in einer heiteren Atmosphäre begrüßen würde.

Da plötzlich ein Tommelwirbel. Aha, bestimmt was Afrikanisches! Tja, man hat immer Vorurteile. Das wurde mir angesichts des Trommlers bewusst, nachdem ich mir einen Platz erkämpft hatte, von dem aus ich ihn sehen konnte. Es war ein Mann mittleren Alters. Ein Weißer. Er saß vor drei bis vier umgestülpten Plastik-Eimern. Die Stöcke, mit denen er auf die Eimer trommelte, konnte ich nicht klar identifizieren. Vielleicht waren es haushaltsübliche Rührlöffel, die er verkehrt herum benützte. Aber die Fertigkeit, mit der er trommelte, wird mir lange im Gedächtnis bleiben.

In diesem Augenblick tauchen Oskar Mazerath, Günter Grass und Volker Schlöndorff vor meinem geistigen Auge auf. Und ich bin für eine Weile in Europa, erinnere mich an den Genuss des Films und denke: Mit so einem Trommler müssten meine Memoiren anfangen. Wachrütteln war der Ansporn, in den Journalismus zu gehen, Grass-Lektüre eine frühe Leidenschaft von mir und damit verbunden wiederum eine frühe ferne Liebe, die damals noch wahnsinnig hohe Telefongebühren verursachte. (An Flatrate war nicht mal im Traum zu denken, die Berechnung von Telefonaten erfolgte je nach Entfernung, Dauer und Tageszeit!)

Was würde ich zu meiner persönlichen Trommler-Sequenz erheben? Würde ich anschließend damit fortfahren, über mein erstes Telefon zu berichten und wie meine Kindheit ohne dieses Kommunikationsmittel ausgesehen hat?

Ich hatte versprochen, in loser Folge zu thematisieren, wie man seine Lebenserinnerungen anpackt, wodurch man Zugang sucht und schafft mittels Ereignissen, die sowohl persönlich prägend waren, jedoch meist auch im Zeitgeist eingebettet noch ein wenig farbiger erzählt werden können. Dies war nun die 2. Annäherung an das Thema. Weitere demnächst.

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Dez 22 2010

Schwieriger Wandel bei Schneegestöber

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag,Sonstiges

Ich würde gerne das Wetter als Thema umgehen. Mir ist da in den Medien zu viel Rummel drum herum. Natürlich ist es ein Skandal, dass Streu-Salz fehlt, Räumfahrzeuge pennen usw. Aber die Ursachen scheinen sich nicht anprangern zu lassen.

Und wenn ich sehe, welche Themen aufgrund von Schnee und Eis nicht mehr an die Öffentlichkeit gelangen, graut es mir. Je populärer die Empörung, desto eher schafft sie es auf Seite 1 oder in die Tagesschau. Für Hintergründe gibt es immer weniger Platz und Interesse. Dabei sind die spannender als das, was eh jeder sieht, weiß, herleiten kann.

Da ist guter Rat teuer. Journalismus wird sich wandeln müssen. Darin sind sich alle Medien-InsiderInnen und etliche RezipientInnen einig. Aber dieser Tage geht es in Richtung Schnee- und Kochshow. Das war mit dem Wandel nicht gemeint!

Allen, die einen Ausweg suchen, empfehle ich Newsletter jenseits des Mainstreams. Zum Beispiel den von www.abgeordnetenwatch.de. Hierüber erfuhr ich u. a.

–  CDU fehlt am seltensten bei Abstimmungen, Linke am häufigsten

Es gibt auch einen Blog: http://blog.abgeordnetenwatch.de/

Ähnliche Initiativen werde ich in 2011 in loser Folge vorstellen.

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Dez 07 2010

Wenn das eigene Erbgut entschlüsselt auf einem USB-Stick lauert

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Sonstiges

Nur acht Menschen vor ihm ließen ihr Erbgut entschlüsseln. Richard Powers, Journalist und Schriftsteller, kann sich nun sein Genom auf einem USB-Stick vor Augen führen: http://www.zeit.de/kultur/2010-08/richard-powers-genom. Ob ihm das etwas nützt? In einer Reportage lässt er uns über 78 Seiten an seinem Abenteuer der Genom-Feststellung teilhaben:

Das Buch Ich # 9: Eine Reportage.

In diesen Tagen, wo nackte Wahrheiten (Wikileaks lässt grüßen) uns nicht sonderlich erhellen, sondern eher zur Rückbesinnung auf Diplomatie und Kontext-Bezogenzeit führen, steht endlich auch der Traum von machbarer Vorbeugung gegen Krankheiten, die evtl. zum Ausbruch kommen könnten, auf dem Prüfstand.

Wir alle wollen makellos, gesund und glücklich sein. Das ist normal. Doch wer nützt das auf welche Weise womöglich aus? Hier heißt es: wachsam bleiben gegenüber der eigenen Wissbegier  und Optionen skeptisch prüfen!

Dem „Glücksgen“ auf die Spur kommen kann man übrigens auch in dem Roman „Das größere Glück“ von Richard Powers. Sehr packend finde ich ihn nicht, aber ein Drittel habe ich immerhin schon durchgehalten. Wenn es ums Glück geht, soll man schließlich nicht aufgeben, sondern einen langen Atem haben!

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Nov 24 2010

Achtung Öffentlichkeit: Für welche Adressaten gebe ich Auskunft?

Autor: . Abgelegt unter Sonstiges

Stellen Sie sich vor, sie sitzen einer Redakteurin der Zeitschrift „Brigitte“ gegenüber, die Sie nach Ihrer Befindlichkeit, Ihren Einschätzungen und Zielen fragt. Bei all Ihren Antworten haben Sie begreiflicherweise die Zielgruppe dieser Zeitschrift im Hinterkopf. Sie verraten Sie etwas mehr von ihrer weiblichen Seite, jenen Befürchtungen und Ängsten, die viele in dieser Zielgruppe sehr gut kennen. So schafft man Identifikation.

Würden Sie anders antworten, Anderes preisgeben, wenn Sie von einem Redakteur des „Spiegel“ interviewt würden? Dessen Zielgruppe unterscheidet sich in mehreren Facetten von den Brigitte-Leserinnen. Oder antworten wir unbesehen der Adressaten, die wir erreichen, informieren, unterhalten wollen?

Letztes ist unwahrscheinlich. Auch PolitikerInnen behalten das normalerweise im Auge. Erstens ist es gängige Praxis, in allen möglichen Medien zitiert zu werden. Zweitens kann es vorkommen, dass solche Interviews von völlig anderen Zeitungen aufgegriffen werden. Beides evtl. in einem anderen Kontext.

So thematisierte die Stuttgarter Zeitung (StZ) am 19.11.2010 unter der Überschrift „Die eigene Schwäche als Schutzmantel“, dass die Momente „rar“ sind, „in denen Politiker ihre verletzbare Seite zeigen“ und stützt sich dabei auf das Beispiel von Andrea Nahles: http://bit.ly/eB0Ko5 Die Autorin des Artikels scheint darüber zu staunen, dass die Politikerin (40, hochschwanger) „irritierend persönlich“ von problematischen Blutwerten und anderen Details erzählt. Sie analysiert, warum Andrea Nahles so offenherzig von ihren Ängsten – auch beruflicher Natur – spricht. So weit, so professionell.

Für meine Beratung/Seminare in Sachen „Öffentlichkeitsarbeit“ ist das ein anschauliches Beispiel dafür, dass man zwar zielgruppenspezifisch denken soll, aber immer auch darüber hinaus orientiert bleiben muss. Grundsatz: Es sitzen meistens mehr Leute am Tisch, als man sich vorstellt. Dies meint bildhaft, die Zitierfähigkeit muss stets aus mehreren Blickwinkeln abgeklopft werden. Wer könnte was analysieren, interpretieren, missverstehen?

Ein anderes Beispiel: Ich selbst wurde unlängst davon überrascht, dass meine Erfahrungen als Kind einer Vertriebenen plötzlich weltweit abrufbar waren und sind: http://bit.ly/e1JIv0 Im Haus der Geschichte in Stuttgart war die Integration der Heimatvertriebenen nach 1945 wochenlang ein Ausstellungsthema, worüber Susanne Nielsen im German Radio in Tampa, Florida, berichtete. Mich befragte sie dazu sozusagen als „lebendes Beispiel“. Für ihr Publikum – überwiegend ältere Deutschstämmige – erzählte ich von den wehmütigen Heimatliedern, die in meiner Kindheit eine Rolle spielten. Ausgewanderte oder deren Kinder würden sich in diesen Kontext gut hineindenken können. Ich brauchte einige Zeit, um zu „verdauen“, dass der „Mitwisserkreis“ sich nun ausweiten würde …

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Nov 19 2010

Heute schon getwittert?

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Sonstiges

Man hat mir gesagt: Newsletter ist „out“, Bloggen auch. Ich wollte es nicht glauben. Ich räume zwar ein, dass manches anders geworden ist, seit ich twittere und in facebook einem engen Kreis mitteile, dass ich gerade dieses oder entdeckt habe oder herbei sehne, aber ich meine, die alten Kommunikationsschienen verdienen immer noch Respekt und „traffic“.

Seit ich twittere muss ich mich manchmal zwingen, mich in mehr als 140 Zeichen zu äußern. Es ist wahnsinnig verführerisch, knapp zu bleiben, wenn man es erst mal verinnerlicht hat! Und bei Twitter schwingt immer mit, dass die Meldung Nutzwert haben muss. Procedere: Ich lese etwas Wichtiges/Interessantes, kopiere die www-Adresse, lasse sie vom „Shortener“ kürzen und teile sie mit jenen, die mir auf Twitter folgen.

Jenen, auf deren Erkenntnisse, Netzfunde, Weisheiten ich neugierig bin, folge ich. So erfahre ich, was dem Kabarettisten Dieter Nuhr gerade eingefallen ist, oder wo ich etwas über Autorenvermarktung abrufen kann, oder welche Lesegewohnheiten bestimmte Schriftsteller haben. Das heißt, mir wird ein Link zu einer Information angeboten. Welche der Links ich  aufrufe, ist letztlich meine Entscheidung. Sich Überblick über meine Möglichkeiten zu verschaffen, ist echte Arbeit. Deshalb halte ich die Schar derer, denen ich folge (= deren Hinweise ich auf den Bildschirm bekomme), klein.

Man darf sich nicht nervös machen. Selbstbeschränkung ist gefragt. Natürlich kann ich mir sehr viel mehr „Verführungen“ zum Weiterlesen schicken lassen. Doch zufriedener lebt (so meine These), wer nur so viel zulässt, wie er oder sie bewältigen kann. Als Absender teste ich derzeit beispielsweise Mitteilungen von einem Psychologen/Persönlichkeitstrainer, dem schon erwähnten Kabarettisten, einer Redenstrafferin, der örtlichen Tageszeitung und einigen Menschen aus der Literaturszene. Manchmal „entfolge“ ich einem dieser Partner und probiere, was ein anderer zu bieten hat.

Twitter lädt mich täglich ein, diesen Kreis zu erweitern, indem er immer neue Profile anbietet, die zu den von mir bevorzugten Themen passen. Aber das Zeitbudget ist sowieso immer zu knapp. Anders ausgedrückt: Es gäbe immer mehr Interessantes, als man aufnehmen, verarbeiten, verkraften kann. Deshalb muss man auswählen und überzeugt sein, die richtige Mischung (die man ja von Zeit zu Zeit verändern kann) an sich heranzulassen. Und daraus dann auch nur das Wichtige näher zur Kenntnis zu nehmen. Ohne diese Schranken bzw. einen gut funktionierenden Eigenfilter wird man unglücklich.

By the way: Ich habe noch nie einen Zeitungsleser getroffen, der sein Blatt von A bis Z ohne Auslassung durchgelesen hat.

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Nov 11 2010

Wie beginne ich (m)eine Biografie? (Teil I)

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Literatur

In meiner Eigenschaft als Schreibcoach/Ghostwriterin werde ich immer wieder gefragt: „Ich will meine Lebenserinnerungen aufschreiben. Womit beginne ich?“

Da die Menschen sich von Überraschendem am leichtesten fesseln lassen, antworte ich meist: „Möglichst nicht mit der Kindheit.“ Schließlich ist eine Binse, dass ein Menschenleben mit Geburt und Kindheit beginnt.

Eine generelle Empfehlung gebe ich nicht. Sie würde auch von Tag zu Tag unterschiedlich ausfallen. Heute zum Beispiel spukt mir Robert Enke im Kopf herum. Gestern zeigten Fernsehkameras Menschen, die seiner gedachten. Vor einem Jahr ging dieser junge Fußballtorwart in den Tod, weil er seine Depressionen nicht mehr aushalten konnte.

In meiner Kindheit spielten Selbsttötungen eine gewichtige Rolle. Zwar zählte unser Dorf damals nicht mehr als schätzungsweise 500 Einwohner, aber davon wussten mehrere keinen anderen Ausweg als den „Freitod“ (das ist kein gutes Wort, „Selbstmord“ ebenso wenig). Ich kann mich noch an Suchtrupps erinnern, die eilig zusammengestellt wurden und die Wälder durchkämmten. An das Raunen der Erwachsenen, wie schrecklich der Augenblick gewesen sein muss, als man den Vermissten fand. Andere hatten sich zu Hause umgebracht.

Jedes Mal lag über dem gesamten Dorf plötzlich eine ganz andere Stimmung. Einmal versuchte ich als Nochnichtschulkind einen vernünftigen (altklugen) Kommentar dazu abzugeben. Prompt wurde ich von einer Nachbarin derb gerügt, das ich doch noch nichts vom Leben wüsste und lieber still sein sollte.

Das Mitgefühl mit den Verzweifelten und ihren Angehörigen ging mir als Steppke tief unter die Haut. Ich würde gerne recherchieren, wie viele Selbstmorde sich damals wirklich ereigneten und was über die Gründe bekannt ist oder gemunkelt wurde. Doch jener Standesbeamte, der sich erinnern könnte, ist vor einigen Jahren mit 91 friedlich eingeschlafen. Eine Gemeindeverwaltung gibt es nicht mehr.

Ja, warum nicht mit solchen Recherchen beginnen? Wenn es sich später herausstellen sollte, dass sie nicht an den Anfang der Biografie passen, sind sie eben für ein anderes Kapitel schon vorab dokumentiert. Wichtig ist, einen Faden aufzunehmen! Die nächsten Fäden zeigen sich dann womöglich von selbst. Hauptsache anfangen, den großen Berg der Erinnerungen in kleine Hügel abzutragen!

In loser Folge werde ich hier zum Thema „Biografie – womit beginnen?“ Impulse geben. Selbstverständlich freue ich mich über Zuschriften/Kommentare, die Tipps, Anregungen oder auch Fragen beisteuern. Für meinen nächsten Online-Kurs „Kreativ schreiben“ habe ich eine Aufgabe fürs biografische Schreiben vorgesehen. (Start: 12.1.2010)

Übrigens: Susanne Nielsen geht klassisch vor und beginnt mit den Wurzeln. Da sie damit auch ein Stück Zeitgeschichte verknüpft, verspricht ihre Spurensuche spannend zu werden. Der Auftakt ist nachzulesen unter http://bit.ly/9WSYus

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Nov 03 2010

Männer, werdet sexy beim Putzen!

Autor: . Abgelegt unter Alltag

Es deckt sich mit meinen Erfahrungen, dass das Hinterfragen von Pressemitteilungen seitens derer, die sie in den Medien platzieren (sollen), sehr zu wünschen übrig lässt. Nun ist dazu ein Artikel erschienen, den ich den LeserInnen meines Blogs ans Herz legen möchte:

Angeblich hatte sich ein „Bundesverband der im Haushalt helfenden Männer gegründet“. Für jeden Medienmenschen etwas von der Norm Abweichendes, also aufgreifwürdig. Dieser Verband wartete auch noch mit einer Studie auf, nach der die im Haushalt helfenden Männer besseren Sex haben. Mit so einer Meldung gelangt man natürlich spielend in die Medien! Aber lesen Sie selbst: http://bit.ly/d3BRzA

Wer dagegen Themen wie Hausarztmodell oder Sprachkurse für Asylbewerber (also Dauerbrenner des Alltags) serviert, sucht oft vergeblich nach einem Dreh, der aufhorchen lässt. Neugierig ist der Mensch am meisten, wenn er Überraschendes, Widersprüchliches oder „Himmelschreiendes“ wittert. Auch ich wäre neugierig auf jene Sorte Mann, die tatsächlich aus der Hausarbeit so viel Erfüllung und Elan ableiten kann, dass sie beflügelt die Freude des restlichen Miteinanders angenehm zu gestalten versteht.

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Okt 11 2010

Hebammen brauchen größere Lobby

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Sind Sie auch mit Hilfe einer Hebamme zur Welt gekommen? Haben Sie auch Hebammen bei der Geburt Ihrer Kinder schätzen gelernt? Schade, dass diese Berufsgruppe jetzt mal wieder vor den Kopf gestoßen wurde! Sie wehrte sich in einem offenen Brief an Minister Rösler, weil sie „mit Fassungslosigkeit und Wut“ erfahren musste, dass „nun ein Füllhorn von einer Milliarde Euro über die niedergelassenen Kassenärzte“ ausgeschüttet wurde, während die Hebammenhilfe pro Jahr insgesamt gerade einmal 360 Millionen Euro entlohnt wird.

Zwei Zitate aus dem Brief:

– „Rein rechnerisch darf sich jeder der 150.000 Kassenärzte jetzt über fast 6.700 Euro mehr im Jahr freuen, während eine selbständige Hebamme im Durchschnitt die ersten 12 begleiteten Geburten im Jahr umsonst arbeiten muss, um allein nur die ins uferlose steigenden Haftpflichtprämien bezahlen zu können. Dies alles, nachdem die Ärztehonorare bereits im vergangenen Jahr um 6,1 % gestiegen waren“.
– „Tausende von Hebammen haben in den vergangenen Jahren mangels wirtschaftlicher Perspektive ihren Beruf aufgeben müssen. Die garantierte freie Wahl des Geburtsortes (Klinik, Hausgeburt, Geburtshaus) ist schon heute insbesondere in vielen ländlichen Gebieten zur reinen Farce verkommen.“

Ist das ein weiterer Beweis für das Auseinanderklaffen von (volkswirtschaftlich) Kinderwollen, aber die Voraussetzung dafür klein halten bzw. verschlechtern? Oder zeugt dies abermals von großer Ignoranz Frauen gegenüber, die gefälligst dem Medizinbetrieb vertrauen und notfalls auf erfahrende Hebammen verzichten sollen?

Übrigens: Hebammen haben fast keine Lobby, kommen in den Medien selten vor und sind deshalb mit ihren Leistungen, Mahnungen und Nöten in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert.

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