Es gab schon mal einen Schlemmer: in Billy Wilders rasanter Komödie „Eins, zwei, drei“. Sie erreichte kurz nach dem Mauerbau die Kinos. Ost und West – beide Systeme bekamen ihr Fett ab. Das Publikum erkor das Meisterstück erst später zum Kultfilm, als die Trauer über den antikapitalistischen Schutzwall incl. Schießbefehl sich abkühlte und das Aufbegehren gegen die Teilung sich in eine unbestimmbare Länge zog.
Schlemmer war damals ein Zeitgenosse der „alten Schule“, der die Hacken zusammen schlug, wenn sein Chef ihm etwas zubellte. Er bellte ihm auch zu, dass er diese Zuchtbezeugungen unterlassen solle – vergebens. Schlemmer blieb ein zackiger Untertan. Nicht ohne Selbstbewusstsein, zuverlässig unverbesserlich. Eine Nebenfigur, die man sich leicht merken konnte. Es war klar, welche Epoche hier auf die Schippe genommen werden sollte.
Nun zieht ein neuer Schlämmer – diesmal mit „ä“ – das Publikum in seinen Bann. Horst Schlämmer ist eine Kunstfigur von Hape Kerkeling, der u. a. als Moderator, Komiker und Schauspieler zu den „Angesagten“ in der Medien-Szene gehört. Mit „Isch kandidiere“ bugsiert Kerkeling seine Kunstfigur kurz vor der Bundestagswahl ins Rampenlicht. Es heißt, die Bundesbürger können mit Schlämmer aus Grevenbroich mehr anfangen als mit anderen – realen – Bewerbern, die in der Politik um Sympathien und Glaubwürdigkeit ringen.
Freilich ist der Film über Horst Schlämmer und seine Partei halb so hinreißend wie einst Billy Wilders Komödie. Es bleibt jedoch bemerkenswert, wodurch er „glänzt“. Der Zeitgeist der Unschärfe wird hier gekonnt verkörpert. Das allseits beliebte Durcheinander (Hauptsache „action“) bedarf keiner Verbindlichkeit, Alleinstellungsmerkmale gehen bis auf einzelne Äußerlichkeiten im Gesuppe unter. Es gibt wunderbare Szenen, die die Beliebigkeit bestens treffen. Die Vorliebe für Mittelmaß oder weniger hätte nicht besser unterstrichen werden können. Das war wohl die Absicht und das ist gelungen. Dank eines sehr professionellen Hape Kerkeling, der in mehrere Rollen schlüpft und es auch verstand, viel Prominenz mit ins Boot zu ziehen – angefangen bei Jürgen Rüttgers (derzeit Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen) bis zu Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher. Auch die Frauen kommen in ihren Rollen gut weg – um einen weiteren Pluspunkt nennen.
„Schlämmer hätt’s nicht kommen können“ – wie köstlich doch die Einigkeit in diesem Empfinden, das eigentlich die Bundespolitik und ihr Wahlkampfgebaren meint und nicht die Handlung in „Isch kandidiere“! Dabei kommt rüber, dass die realen Politgrößen die sinnentleerten Rituale weder schätzen, noch aufzulösen verstehen. Alle sitzen im gleichen Boot, nur einer will es anders machen – Horst Schlämmer eben. Aber auch ihm verschwimmen die neuen Ufer, bevor er sie erreicht.
Schlemmer und Schlämmer – zwei Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jener schlaksige Kerl, der bei Billy Wilder Gehorsam bis in den letzten Blutsropfen symbolisiert, war ein Typ, an dem man sich hätte abarbeiten können, wenn man in tatsächliche Gegnerschaft zu ihm getreten wäre. In der Folge solcher Typen erlebten die sogenannten „68er“ ihre unvergessliche Blüte. An Schlämmer kann man sich nicht reiben. Er ist zwar kein Tollpatsch, bei dem man alles entschuldigen möchte, aber er schafft es auch nicht in wirklich die „Pfui-Ecke“, die unweigerlich Schaum vorm Mund oder Blitze in den Augen seiner Kritiker bzw. Widersacher hervorrufen würde.
Hape Kerkeling stellt ein System in Frage – Billy Wilder zwei Systeme (noch dazu an einer ihrer empfindlichsten Nahtstellen). 1961 stand die Zeit auf Polarisierung. Im Gegensatz dazu sehen sich 2009 Künstler eher einem ärgerlichen Wischiwaschi gegenüber, dass irgendwie ausgehebelt gehört. Die Angriffe darauf mögen hoffentlich ins Bewusstsein tröpfeln, scheinen für den Moment aber trotz hoher Perfektion erst mal seltsam harmlos, ja fast zahnlos und von liebenswürdiger Toleranz durchzogen. „Leben und leben lassen“ als Motto – auch wenn es sich selbst bis zu einem gewissen Punkt konterkariert – taugt als beißende Grundlage für eine Kritik an den Ärgernissen des politischen Jonglierens wenig. Die Langzeitwirkung bleibt abzuwarten.
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