Jan 20 2011
Auf der Spur der Lebensmelodie
Anknüpfend an „Der Trommler“ vom 12. Januar 2011 sind noch weitere Einstiegsvarianten in Memoiren vorstellbar. Der Trommler stand am Anfang einer Assoziationskette, die über Grass in Zeiten führte, in denen niemand an Flatrate oder Handy dachte. Er hätte aber auch Erinnerungen an Begegnungen mit Rhythmen und Musik auslösen können.
Bleiben wir bei der Musik und verdichten auf dieser Linie mögliche Mosaiksteine des Gestern:
Gab es Hausmusik im Elternhaus, wurde gerne gesungen, hörte man gezielt Radio – zum Beispiel „Musik zur Kaffeestunde“ oder „Vom Telefon zum Mikrofon“? War die „Hitparade“ mit Dieter Thomas Heck im Fernsehen ein Zankapfel oder toleriert?
Welche Rolle spielten Musikinstrumente praktisch im eigenen Leben? Gehörte man einem Orchester oder einem Musikverein an? Mussten die eigenen Kinder ein Instrument lernen, weil einem selbst dies verwehrt geblieben ist?
Von der Trommel zum Schlagzeug ist es nicht weit: Welcher Schlagzeuger gab in der Jugend bevorzugt den Ton an? Welche Pop-Gruppe imponierte einem besonders? Sind Episoden aus der Tanzstunden-Zeit erinnerlich? Dienten Disko-Besuche der Entgrenzung? In welcher Kleidung und mit welcher Frisur zeigte man, dass man „in“ ist? Wie fühlte es sich beim Brautwalzer an oder hat man den gemieden?
Abgesehen davon verknüpft eine Szene im Film „Die Blechtrommel“ Musik mit Politik. Oskar Matzerath sitzt unter einer Tribüne und bringt die Marschmusik einer NS-Veranstaltung mit seiner Trommel aus dem Takt. So kann es auch im eigenen Musik-Erleben Anklänge an den Zeitgeist geben. Es gab wehmütige Lieder, die Heimatvertriebene gerne hörten und sangen. Es gab in den 50er/60er Jahren Gesangvereinsfeste mit Festumzug, wo schmissige Marschmusik zum guten Ton gehörte. Im Bayerischen Rundfunk durften einzelne Titel – zumindest zeitweilig – nicht gesendet werden, weil sie angeblich zu „anzüglich“ waren.
Übrigens spricht man ja auch von der “Lebensmelodie”. Bei einigen Menschen überwiegen die helleren Töne, bei anderen die Moll-Färbung. Das muss nicht in allen Phasen gleich sein. Genau dies kann zum Aufhänger für Erzählungen werden: Wann dominierten Flötentöne, Tommeln oder Chor, wann war Polka oder Beat angesagt und wann wechselte das Lebensgefühl zu Jazz, Hardrock oder Opern …
Manchmal schlägt das Schicksal überraschende Kapriolen. Bei den Recherchen zu diesem Thema erfuhr ich bei „wikipedia“, dass Dieter Thomas Heck als Sechsjähriger in Hamburg nach einem Bombenangriff drei Tage lang verschüttet war und aufgrund dieses Traumas anschließend stotterte. Eine Gesangsausbildung half ihm darüber hinweg und „führte auch zu seiner Fähigkeit als Schnellsprecher“. (http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Thomas_Heck)
In jedem Lebenslauf gibt es Wendungen, die aufhorchen lassen, Mut machen, Orientierung bieten. Deshalb: Jedes Schicksal ist einmalig und es wert, festgehalten zu werden.