Apr 17 2011

Zahnlos gegenüber sich selbst

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag

Etwas ganz Seltenes scheint diese Woche zu geschehen: Selbstkritik professioneller KritikerInnen! Viel zu lange thematisierte Journalismus sich selbst nicht, sondern immer nur Andere, und Andere auch nur, solange die Anzeigenabteilung kein gewichtiges Veto einlegte.

Die ZEIT versuchte nun mit einer Reflexion zu glänzen: “Was Journalisten anrichten”. Es lohnt sich, dazu nach Meinungen im www zu fahnden. Wer enttäuscht ist über das Unterfangen der ZEIT, ist nicht alleine damit. Empfohlen sei hier, was der Medienjournalist Niggemeier dazu bloggt > www.stefan-niggemeier.de/blog/grenzt-ein-bisschen-an-nestbeschmutzung/ Es gibt aber auch ein Video des ZEIT-Chefredakteurs Giovanni di Lorenzo, das deutlich macht, welch zahloser Tiger hier auf wackeligen Beinen in die Arena gestellt wird > http://video.zeit.de/video/901938951001. – Sorry, aber warum erkannte denn niemand, dass hier nur Augenwischerei passiert? Sollte für den Anfang erst mal das Applaus-Verhalten getestet werden, um Schwung zu holen für eine Steigerung in dieser überfälligen Angelegenheit?

 

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Apr 04 2011

Danke taz! Unbedingt lesen!

Autor: . Abgelegt unter Alltag

Immer wieder geht es hier in diesem Blog um die Glaubwürdigkeit der Medien und damit die Zukunft der Demokratie. Die jüngste Recherche zur Trennung von Redaktion und Werbung ist der taz zu verdanken >http://bit.ly/egav2c

Unbedingt zur Kenntnis nehmen und die eigenen Erwartungen an die Medien auf den Prüfstand heben!

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Mrz 27 2011

Stalking – strafbarer Terror

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Sonstiges

Ingrid Pfeifer beschreibt, wie eine Bekanntschaft aus dem Stadium der Unbeschwertheit pervertiert wird in bedrohliche Überwachung, Gängelung, Verfolgung. Das ist nicht nur kaum auszuhalten, sondern auch ein Straftatbestand. Nämlich Stalking, gegen das man Anzeige erstatten kann. Auch der Weiße Ring hilft den Opfern. Sie haben es nämlich nicht leicht. Denn meist will der Stalker ein letztes Gespräch, zum x-ten Mal alles klären, wirbt um Verständnis, bittet um Verzeihung, gelobt Besserung. Er will es immer wieder und mit Mechanismen, die mürbe machen.

Leicht haben es die Opfer auch deshalb nicht, weil sie sich in der Regel schämen, jemanden ins Vertrauen zu ziehen. Sie kapseln sich ab, weil sie denken, es sei nicht nachvollziehbar, in welche Situation sie geraten sind und wie das überhaupt passieren konnte. So hat auch Ingrid Pfeifer über Gebühr lange geschwiegen, bevor sie ihr Umfeld am Arbeitsplatz informierte, obwohl der Stalker sie auch während der Arbeitszeit belästigt hatte und keinem verborgen geblieben war, das es ihr zunehmend schlechter ging.

Ingrid Pfeifer beschreibt ihre Selbstzweifel sehr gut, das Zurückstecken der eigenen Interessen und Bedürfnisse aus Ratlosigkeit und Resignation. Ihre Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden könnte, war relativ früh erloschen. Trotzdem quält sie sich mit dem Durchhalten – irgendwann wird der Mann doch ihr “NEIN” akzeptieren und sich zurückziehen. Dem war leider nicht so.

Die Autorin hat vor Gericht gegen ihren Peiniger gewonnen. Heute hilft sie mit ihrem Netzwerk http://gemeinsam-gegen-stalking.de Opfern zurück in ein selbstbestimmtes Leben. Am Ende ihres Erlebnisberichtes gibt sie in ihrem Buch Auskunft über die Definition des Begriffs, über die Gesetze gegen Stalking und über erste mögliche Schritte, wenn man sich wegen eines Stalkers oder einer Stalkerin in Bedrängnis fühlt.

Ein lesenswertes Buch: Ingrid Pfeifer: „Stalking – (m)ein Leben im Kreislauf der Angst!“ Erfahrungsbericht und Ratgeber, 13,90 €, Books on Demand 2010, ISBN 978-3839166376.

Die Dunkelziffer der Betroffenen ist groß. Vorläufig geht man von ca. 30.000 Stalking-Opfern in Deutschland aus. Sie leiden an psychischen Beeinträchtigungen, was sich auf ihre Arbeitsfähigkeit, ja den Gesundheitszustand schlechthin auswirkt. Ingrif Pfeifer in sat 1/Bayern: http://bit.ly/hShbxQ

Und das schrieb der FOCUS darüber: http://bit.ly/aGPeIL

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Mrz 20 2011

Was erscheint als selbstverständlich und was verrät dies über das Selbstverständnis?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Sonstiges

Staunen mit offenem Ausgang. Das betrifft zweierlei:

1)      Wie die Gelassenheit der Japaner hierzulande thematisiert wird. Das ist schon fast peinlich. Als könnten wir nicht glauben, dass Andere ihre Katastrophen anders verarbeiten als wir mit unserer Mentalität. Oder als dürfte es nicht wahr sein, dass Verhaltensmuster, die uns vertraut sind und einleuchten würden, anderswo einfach ausbleiben …

2)      Wie schwungvoll „abschalten jetzt!“ Konjunktur hat. Man kann diesen Appell an jeder Ecke unterschreiben. Der Zeitpunkt ist günstig. Das Bauchgefühl von VIELEN fließt hier zusammen. Erst die Welle „nukleares Restrisiko ist vertretbar – Entsorgung wird schon gut gehen“, dann die Welle „nur ohne Kernkraft können wir unseren Nachkommen die Erde guten Gewissens übergeben“. Was ist mit dem Wohlstandsrisiko? Werden die Leute sich kloppen, wenn plötzlich Verzicht angesagt ist? Wann wird das diskutiert?

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Mrz 02 2011

Ungenaues Denken & Erregungspegel sind eine unheilige Allianz

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Der angehimmelte Minister ist zurückgetreten. Dies einzuordnen hilft der Beitrag von Professor Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler, in MEDIA > http://bit.ly/gc1BvF. Die Fragen um den Plagiatsskandal führen unweigerlich zu BILD, da dieses Leitmedium dem angeschlagenen Minister bis zuletzt lautstark die Stange hielt.

Warum nimmt ein Medium so eindeutig Partei? Um die Fanseele zu spiegeln? Um den Erregungspegel in eine Auflagensteigerung umzumünzen? Die Rolle der Medien kam im Fall Guttenberg schon einmal ins Gerede. 2009 ging es um seine wirtschaftlichen Erfahrungen. Damals war er Wirtschaftsminister und hatte – wie Panorama aufdeckte – nur geringfügige praktische wirtschaftliche Erfahrungen – auch wenn er der Öffentlichkeit etwas anderes weismachen wollte. Siehe >> http://bit.ly/SaARv Andere Medien hatten das nicht so genau hinterfragt, was in dem Beitrag kritisiert wird. Sie saßen der Aussage des Ministers auf, die flächendeckend verbreitet wurde.

BILD ist nicht mehr so verpönt wie einst. Das merkt man schon daran, dass das Blatt markante Köpfe wie Alice Schwarze für seine Kampagnen gewinnt. Als das Blatt unlängst einen Korb von der Band „Wir sind Helden“ bekam, erregte das Aufsehen. In deren Absage heißt es: „Die Bild­zei­tung ist ein ge­fähr­li­ches po­li­ti­sches In­stru­ment – nicht nur ein stark ver­grö­ßern­des Fern­rohr in den Ab­grund, son­dern ein bös­ar­ti­ges Wesen, das Deutsch­land nicht be­schreibt, son­dern macht. Mit einer Agen­da.“ (Den ganzen Text nachlesen kann man unter http://bit.ly/fTwRZy – als Schlagzeile wurde bekannt “Ich glaub, es hackt”.)

Wohlan – vielleicht gibt es ja doch eine neue Debatte über Glaubwürdigkeit und wie wichtig sie ist. Sowohl was den Charakter von Medien als auch was den von PolitikerInnen betrifft?! Ungenaues Denken richtet jedenfalls Schaden an!

In diesem Zusammenhang sehr empfehlenswert: „Journalismus nach der Krise – Aufbruch oder Ausverkauf?“. Der Band, unterstützt von der Stiftung „Wertevolle Zukunft“, lotet Unschärfen, Untiefen und Ungereimtheiten aus. 22 Chefredakteure und Medienexperten wurden von zwei jungen Insidern – Anne Kunze und Felix Rohrbeck – befragt. Mehr dazu > http://bit.ly/eqjt0D

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Feb 26 2011

Wer klaut, aber eine gute Figur macht, wird trotzdem angehimmelt?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

“Raubkopien sind kein Kavaliersdelikt!” Das sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 26.4.2008 (“Welttag des geistigen Eigentums”). Nachzuhören unter http://bit.ly/hv40Xf

Nicht zuletzt deshalb erhielt sie am 24.2.2011 angesichts des skandalösen Verhaltens Karl-Theodor zu Guttenbergs von Doktoranden einen offenen Brief > http://bit.ly/ibazzb

Auch die Universität Bayreuth verurteilt den „Diebstahl geistigen Eigentums“ als ein Vergehen, „das weitreichende juristische Konsequenzen haben kann.“ > http://bit.ly/eVQk0N

Damit wäre eigentlich alles hinreichend geklärt – wären da nicht die Fans des Ministers, die sich von dem Etikett „Klau“ nicht einschüchtern sowie sich ihren Sympathieträger nicht entreißen lassen wollen. Ein Übersetzungsversuch: Endlich haben wir mal einen Politiker, mit dem wir ein wenig Glanz und Format verbinden – und nun wollen wir die Ernüchterung verweigern. Das ist die Crux, wenn man so wenig markante Persönlichkeiten hat, die die Basis in ihren Bann zu ziehen vermögen.

Heißt Bann nicht auch Blendung? Nicht unbedingt! Als einst niemand dem Bann Franz Josef Strauß’ ausweichen konnte, geschah das beileibe nicht, weil er ein unumstrittener Publikumsliebling war! In den 60er Jahren war es ein Highlight, hitzige Debatten im Bundestag am Radiogerät mitzuverfolgen. Man wartete gespannt auf die scharfzüngigen Beiträge von „Schmidt Schnauze“, die den Geist bei Freund und Gegner kitzelten, Respekt und Bewunderung auslösten. Unvergesslich auch die Einwürfe von Herbert Wehner. Kurz: Man hatte Persönlichkeiten, an denen man sich „abarbeiten“ konnte.

Sich „an etwas abarbeiten“ – das ist lange nicht mehr breitflächig geschehen. Stuttgart 21 bietet die Chance dazu. Jedenfalls wird es da augenfällig. Auf der anderen Seite die „Anhimmelung“ von K-T. zu Guttenberg. Die Yellow Press hat einigen Anteil daran.

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Feb 13 2011

Lierhaus – ein perfekt inszenierter Coup

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Sonstiges

„Musste das denn auch noch sein?“ Im Sinne von > das Vorherige hätte eh schon gereicht. „Und wenn er nein gesagt hätte?“ (Der Partner zum öffentlichen Heiratsantrag.) „Ja, hätte er sich das überhaupt leisten können??“ Sogar in Talkshows wurde darüber gefachsimpelt. „Das war doch sicher vor dem Auftritt abgesprochen …“ So der Trost an jene Mitfühlenden, denen es peinlich gewesen wäre, wären sie selbst in aller Öffentlichkeit zu einer Liebeserklärung genötigt worden.

Nicht nur die Yellow-Press hatte mal wieder ein Highlight. Das ging bis ganz unten durch. Der Effekt wird auch nicht so schnell verpuffen. Es würde mich nicht wundern, an einem Sandkasten vorbeizukommen und zwei Vorschulaltrige im Sandkasten rufen sich zu: Komm, lass uns Lierhaus spielen, das ist mein Mikro und Du bist der Bräutigam …

Dass dieses Spektakel zu Analysen anstiftet und welche Fragen es aufwirft, fasste Stefan Niggemeier in seinem Blog sehr gut zusammen: „Monica Lierhaus und der schöne Schein“ > http://bit.ly/eGK8EL. Niggemeier kommt auch in dem NDR-Zapp-Beitrag zu Wort, der die perfekte Medien-Inszenierung kommentierend aufs Korn nimmt > http://bit.ly/f3fZz7 („Die gut geplante Rückkehr von Monica Lierhaus“ von Sine Wiegers).

Wer mit der Öffentlichkeit spielt, setzt sich sehr unübersichtlichen Risiken aus. Das muss ein Profi wie Monica Lierhaus wissen. Alle Welt wünscht ihr, dass sie das auch genügend berücksichtigt hat.

Und ich wünsche mir, dass künftig die im Fernsehen üblichen „makellosen“ ProtagonistInnen von KollegInnen ergänzt werden, die ein Handicap haben (ob erkennbar oder nicht) bzw. die nicht dem strengen Schönheitsideal entsprechen (Gebiss, Falten, Figur). Nur so kann die Toleranz gegenüber allen NormabweichlerInnen Auftrieb erfahren, was bitter nötig ist.

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Jan 29 2011

Verdünnerfälle – dazu kann man nicht schweigen!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Auf manche Wörter sollte man gefasst sein. Auf „Verdünnerfälle“ ist man es sicher nicht! Dieses Wort findet sich in der Zeitschrift Dr. med. Mabuse, Ausgabe 189, auf Seite 26, die „Wahre Geschichten über die Ware Gesundheit“ wiedergibt.

Speziell geht es um die Mischkalkulation in einer Allgemeinarztpraxis. Um keinen falschen Verdacht auf kommen zu lassen: Nicht von der Praxis wurde diese Mischkalkulation aufgemacht oder angestrebt, sondern von der für sie zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Die hatte nämlich – so berichtet hier ein Beschäftigter aus dieser Praxis – im 2. zweiten Quartal 2005 das Budget „um ein Drittel des bisherigen Einkommens gekürzt“. Warum? Die Nachfrage wird mit den üblichen bürokratischen Auskünften beantwortet. Darunter der Satz: “Hochpreisige Patienten lassen sich durch Verdünnerfälle wieder ausgleichen.“

Das sitzt, das bleibt hängen! Grrrrrrh!

Abgesehen davon, dass „Verdünnerfälle“ – wüssten sie, dass sie welche sind – zur Solidarität gegenüber Sozialabbau der Straße zu ermuntern wären, ist allgemein zu konstatieren, dass die Rebellion in Deutschland noch keine deutliche Flamme mit knisternden und knackenden Signalen ist. Aber vielleicht hat ja jemand Lust, sich nach fundierter Informationen zur Gegenwehr gegen den Systemwechsel im Gesundheitswesen zu motivieren. Deshalb hier das Inhaltsverzeichnis von der o. g. Zeitschrift für Gesundheitsberufe: http://bit.ly/ezc04j

Einzeln abrufbar als pdf sind

„Gesundheitssystem im Umbruch“ http://bit.ly/eMhjPv (Schwerpunktartikel)

– und ein Artikel über die US-amerikanische Gesundheitsreform http://bit.ly/gyUkOU

IM ÜBRIGEN veröffentlicht dieser Blog gerne weitere (bürokratische) Begriffe, die dazu angetan sind, Ungeheuerlichkeiten zu entlarven! Zusendung willkommen > memoreporting@aol.com

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Jan 26 2011

Literaturempfehlung: Räume aufschlüsseln und das Tänzelnde genießen

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Thomas Ballhausens „Bewegungsmelder“ offenbaren präzise Beobachtungen und reflektierte Stimmungen

Mit „Bewegungsmelder“ hat Thomas Ballhausen ein Buch vorgelegt, das sich in zwei Teile gliedert. Im ersten Teil – „Fluchtversuche“ – geht es um Liebe und wie schwer es ist, sich bei Entfremdung zu entziehen; im zweiten Teil – „Interventionen“ – folgt man einem Gedankenfluss, Schrägstriche setzen hier scharfkantige Schnitte, damit diese Selbstreflexionen einen nicht mitziehen in ungeahnte Fernen und Tiefen.

Der 35-jährige Kulturwissenschaftler Thomas Ballhausen ist in Österreich in mehreren Sparten unterwegs. So lehrt er nicht nur an die Universität Wien, sondern engagiert sich auch am Filmarchiv Austria, am Musik-Journal „skug“ und war Mitbegründer der Autorenvereinigung „die Flut“. Er selbst bezeichnet sich als „ernsthaft“ und „fleißig“. Dennoch kann er mit Schwung, Rhythmus und Spielerischem etwas anfangen. In einem Interview hat er jüngst bekundet: „…ich glaube, Autorinnen und Autoren sollen schon auch tanzen können.“ Genau diese zwei Seiten, das Tänzelnde und das assoziativ Tiefgründige finden in „Bewegungsmelder“ reibungslos zueinander, und beide bilden eine berührende Symbiose.

Beim Wettlesen zum Bachmann-Preis in Klagenfurt hat er nicht viel Schmeichelhaftes gehört. Kaum zu glauben, dass er häufig mit dem Etikett „verkopft“ konfrontiert wird! Spielen da Ressentiments gegen seine Genauigkeit eine Rolle? Dieses Um- und Umwenden von Sprache findet so souverän statt, dass sowohl die Erzählungen als auch die mittels Schrägstrichen getaktete Prosa intensive Stimmungsbilder entstehen lassen. Formulierungsgenauigkeit macht hier als eine Art Abenteuer Spaß, weil sie die Tür zu schlüssigen Assoziationen öffnet. Die Freude über eröffnete Blickwinkel und Wendungen macht wett, sich eingelassen zu haben auf zunächst Undurchsichtiges. Das Unerwartete kommt nahe und wird im Nu vertraut, als hätte es seit ewigen Zeiten unerkannt in einem selbst geschlummert.

Gerne zitiert wird die Passage „immer schon ein vollkommen OFFENES Buch schreiben wollen / das aus Türen besteht / aus Angeboten / aus Fenstern und Durchgängen / jede Passage führt zu einem anderen Raum / schlüsselt ihn auf / wir basteln alle am Kontinuum“. Man könnte dies als Bekenntnis verstehen, weil in diesem Bändchen wirklich viele Zugänge ermöglicht werden.

Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann darauf, dass Fluchtversuche aus der Feder von Thomas Ballhausen hier nicht ins Leere laufen, sondern mit der Selbstfindung verwoben bleiben. Einer teils heiteren sogar. Der Ernst des Lebens drückt sich zwar in klassischem Erzählstoff aus – etwa bei der Beendigung einer schal gewordenen Beziehung – , doch er beherrscht nicht unbedingt den Vordergrund der Geschichte. Immer wieder dominiert hier ein Offenlassen von Schritten, die vorangegangen sein mögen oder folgen werden. Und damit ist der Leser auf der gleichen Stufe wie der Autor. Die beiden sind sich durch das Unbenannte sehr nahe, weil nur das Jetzt zählt, das einen Schatten haben mag, in dem aber niemand gefangen bleiben muss.

Wo Ballhausen „Das konkurrierende Nebeneinander von Erträumtem und Wirklichem“ als „fast (…) ungehörig“ vor Augen führt, ist das eine klare Aussage. Genauso später die „Vergangenheit, die nicht vergehen will, weil sie mir innewohnt, mich mehr bestimmt und ausmacht, als ich bereit bin einzugestehen. Es ist mir unmöglich, mit meinem Leben, meinem Sein zu brechen.“ Es sind sehr präzise Beobachtungen und Sprachbilder, die die Oberfläche transparent machen, so dass darunter Sehnsüchte und Leidenschaften gegenwärtig werden. Sie scheinen zu brodeln, doch der Autor will mit ihnen nicht hausieren gehen. Wie ein Archäologe will er sie freilegen, sie aber nicht in ihrer vollen Verletzlichkeit preisgeben.

So wirkt er wie einer in seinen Brüchen heiler Erzähler, der Räume entstehen lassen will. „Sätze wie Widerhaken“ – von dieser Absicht ist die Rede. Doch es sind Sequenzen, die gründlich gegen den Strich gekämmt und dadurch (gelegentlich) stachlig werden. Die spürbare Ehrlichkeit nimmt die ihnen die ärgste Spitze. Ist man dafür empfänglich, hängt man wie ein Fisch an der Angel – mit und ohne Widerhaken.

Thomas Ballhausen: Bewegungsmelder. Prosa. Haymon Verlag, Innsbruck 2010. 104 Seiten, 17,90 EUR. ISBN-13: 9783852186436

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Jan 25 2011

Erinnerungen: Darf ich fantasievoll fabulieren oder müssen alle Episoden wahr sein?

Autor: . Abgelegt unter Literatur,Sonstiges

Nicht nur bei Nachkommen prominenter Eltern oder bei Personen der Zeitgeschichte können Passagen von Familienepisoden Skrupel  auslösen. Subjektive Betrachtungen machen angreifbar. Selbst  wenn man nur das Gute und Vergnügliche aufschreiben will, kommen in dem Text Personen vor,  über die man vielleicht gelästert oder gelacht hat und über die man geteilter Meinung sein kann. Wie das formulieren, ohne dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt? Diese und ähnlich Klippen zu umschiffen, zeichnet sympathische Memoiren aus.

Etliches kann man sicher freiweg erzählen, ohne lange abwägen zu müssen. Aber einen Lebenslauf ohne heikle Punkte und Unklarheiten gibt es nicht. Was tun, wenn ich mich evtl. falsch erinnern sollte oder mich missverständlich ausdrücke? Menschen, die ihre Lebensgeschichte aufschreiben wollen, haben oft knifflige Entscheidungen zu treffen.

Immer wieder tauchen neue Zweifel und Unsicherheiten auf. Soll ich so genau wie möglich meine Erinnerungen schildern? Wie mit Unschärfen umgehen, mit nicht gesicherten Informationen, mit Antipathien, ehemaligen Widersachern? Ab welchem Punkt sollte ich mich bei einem Rechtsanwalt rückversichern, ob meine Äußerungen über diesen oder jenen Weggefährten unschädlich sind?

All diese Fragen stehen vielleicht wie ein Berg vor dem Autor bzw. hindern ihn, einen Anfang zu finden. Angesichts solcher Fragen ist guter Rat nicht teuer. Es ist empfehlenswert, trotzdem mit dem erinnernden Schreiben zu beginnen und parallel dazu einen Fragenkatalog zu führen. Es wäre eine Ausnahme, wenn die erste Fassung eines Textes auch die letzte wäre. Man darf davon ausgehen, dass bei so einem Werk viel „gefeilt“ wird, bis der eigene Geist damit zufrieden ist. Also ist genug Zeit, Zweifel, Unwägbarkeiten und Fragen zu erörtern und zu klären.

Bevor man externe Experten einschaltet, kann man sich selbst fragen, ob denn alles wahr sein muss, was man überliefern will. Kann da nicht auch stehen: Onkel Erwin zeugte mit Tante Erna drei Kinder. Die weiteren sieben Kinder, von denen immer wieder die Rede war, können im Bereich der Legende angesiedelt sein, denn Onkel Erwin entzog sich unserer Familie. 1951 ging er nach Australien und sorgte dafür, dass hier einige Informationen über sein angeblich großartiges Leben dort in Umlauf kamen. Überprüfen konnten wir diese freilich nicht. Ich gebe also hier ungesicherte Gerüchte wieder, wenn ich von … erzähle.

Das wäre eine Möglichkeit, solide zu bleiben, ohne etwas Interessantes hinterm Berg halten zu müssen. Man kann aber auch bewusst in den Bereich der Fiktion gehen und schreiben: Dass Onkel Erwin in Australien eine glänzende Karriere machte, sollten wir glauben, denn das stand auf jenen knappen Postkarten, die zu Weihnachten kamen. Mangels realistischer Informationen habe ich mir schon früh eine Geschichte über Onkel Erwin zurechtgelegt. Mit der Wahrheit hat diese freilich nichts zu tun. Aber ich finde sie trotzdem erzählenswert: Y … Y … Z …-

Nachdem man die eigene Fiktion zum Besten gegeben hat, kennzeichnet man das Ende dieser Passage mit einem Schrägstrich >> / Ende meiner Lieblingsgeschichte über Onkel Erwin, die zu 99 Prozent ein Produkt meiner Fantasie ist. Einer Fantasie, die sich seit mehr als 35 Jahren ausmalt, wie es in diesem Zweig unserer Familie in Australien wohl zugehen mag.

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