Nov 11 2010
Wie beginne ich (m)eine Biografie? (Teil I)
In meiner Eigenschaft als Schreibcoach/Ghostwriterin werde ich immer wieder gefragt: „Ich will meine Lebenserinnerungen aufschreiben. Womit beginne ich?“
Da die Menschen sich von Überraschendem am leichtesten fesseln lassen, antworte ich meist: „Möglichst nicht mit der Kindheit.“ Schließlich ist eine Binse, dass ein Menschenleben mit Geburt und Kindheit beginnt.
Eine generelle Empfehlung gebe ich nicht. Sie würde auch von Tag zu Tag unterschiedlich ausfallen. Heute zum Beispiel spukt mir Robert Enke im Kopf herum. Gestern zeigten Fernsehkameras Menschen, die seiner gedachten. Vor einem Jahr ging dieser junge Fußballtorwart in den Tod, weil er seine Depressionen nicht mehr aushalten konnte.
In meiner Kindheit spielten Selbsttötungen eine gewichtige Rolle. Zwar zählte unser Dorf damals nicht mehr als schätzungsweise 500 Einwohner, aber davon wussten mehrere keinen anderen Ausweg als den „Freitod“ (das ist kein gutes Wort, „Selbstmord“ ebenso wenig). Ich kann mich noch an Suchtrupps erinnern, die eilig zusammengestellt wurden und die Wälder durchkämmten. An das Raunen der Erwachsenen, wie schrecklich der Augenblick gewesen sein muss, als man den Vermissten fand. Andere hatten sich zu Hause umgebracht.
Jedes Mal lag über dem gesamten Dorf plötzlich eine ganz andere Stimmung. Einmal versuchte ich als Nochnichtschulkind einen vernünftigen (altklugen) Kommentar dazu abzugeben. Prompt wurde ich von einer Nachbarin derb gerügt, das ich doch noch nichts vom Leben wüsste und lieber still sein sollte.
Das Mitgefühl mit den Verzweifelten und ihren Angehörigen ging mir als Steppke tief unter die Haut. Ich würde gerne recherchieren, wie viele Selbstmorde sich damals wirklich ereigneten und was über die Gründe bekannt ist oder gemunkelt wurde. Doch jener Standesbeamte, der sich erinnern könnte, ist vor einigen Jahren mit 91 friedlich eingeschlafen. Eine Gemeindeverwaltung gibt es nicht mehr.
Ja, warum nicht mit solchen Recherchen beginnen? Wenn es sich später herausstellen sollte, dass sie nicht an den Anfang der Biografie passen, sind sie eben für ein anderes Kapitel schon vorab dokumentiert. Wichtig ist, einen Faden aufzunehmen! Die nächsten Fäden zeigen sich dann womöglich von selbst. Hauptsache anfangen, den großen Berg der Erinnerungen in kleine Hügel abzutragen!
In loser Folge werde ich hier zum Thema „Biografie – womit beginnen?“ Impulse geben. Selbstverständlich freue ich mich über Zuschriften/Kommentare, die Tipps, Anregungen oder auch Fragen beisteuern. Für meinen nächsten Online-Kurs „Kreativ schreiben“ habe ich eine Aufgabe fürs biografische Schreiben vorgesehen. (Start: 12.1.2010)
Übrigens: Susanne Nielsen geht klassisch vor und beginnt mit den Wurzeln. Da sie damit auch ein Stück Zeitgeschichte verknüpft, verspricht ihre Spurensuche spannend zu werden. Der Auftakt ist nachzulesen unter http://bit.ly/9WSYus
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