Archiv für das Tag 'Blechtrommel'

Jan 12 2011

Der Trommler

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Kultur,Literatur

Es war am Silvesterabend. Ich spazierte in St. Petersburg, Florida, an der Promenade. Viele Künstler-Gruppen waren versammelt. Es gab Musik, Gaukler ließen sich bestaunen, Menschen versuchten sich in einem Hecken-Labyrinth zurechtzufinden. Natürlich gab es auch Essbares an verschiedenen Buden. Die Stimmung war gut, man freute sich auf das Feuerwerk, das neue Jahr und dass man es gemeinsam in einer heiteren Atmosphäre begrüßen würde.

Da plötzlich ein Tommelwirbel. Aha, bestimmt was Afrikanisches! Tja, man hat immer Vorurteile. Das wurde mir angesichts des Trommlers bewusst, nachdem ich mir einen Platz erkämpft hatte, von dem aus ich ihn sehen konnte. Es war ein Mann mittleren Alters. Ein Weißer. Er saß vor drei bis vier umgestülpten Plastik-Eimern. Die Stöcke, mit denen er auf die Eimer trommelte, konnte ich nicht klar identifizieren. Vielleicht waren es haushaltsübliche Rührlöffel, die er verkehrt herum benützte. Aber die Fertigkeit, mit der er trommelte, wird mir lange im Gedächtnis bleiben.

In diesem Augenblick tauchen Oskar Mazerath, Günter Grass und Volker Schlöndorff vor meinem geistigen Auge auf. Und ich bin für eine Weile in Europa, erinnere mich an den Genuss des Films und denke: Mit so einem Trommler müssten meine Memoiren anfangen. Wachrütteln war der Ansporn, in den Journalismus zu gehen, Grass-Lektüre eine frühe Leidenschaft von mir und damit verbunden wiederum eine frühe ferne Liebe, die damals noch wahnsinnig hohe Telefongebühren verursachte. (An Flatrate war nicht mal im Traum zu denken, die Berechnung von Telefonaten erfolgte je nach Entfernung, Dauer und Tageszeit!)

Was würde ich zu meiner persönlichen Trommler-Sequenz erheben? Würde ich anschließend damit fortfahren, über mein erstes Telefon zu berichten und wie meine Kindheit ohne dieses Kommunikationsmittel ausgesehen hat?

Ich hatte versprochen, in loser Folge zu thematisieren, wie man seine Lebenserinnerungen anpackt, wodurch man Zugang sucht und schafft mittels Ereignissen, die sowohl persönlich prägend waren, jedoch meist auch im Zeitgeist eingebettet noch ein wenig farbiger erzählt werden können. Dies war nun die 2. Annäherung an das Thema. Weitere demnächst.

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Sep 27 2009

Brause lecken wie einst Oskar

Autor: . Abgelegt unter Kultur

„So lag Katharina Thalbach auch da.“ Normalerweise ist Harald Schmidt beachtet genug, als dass man hier ein Wörtchen über ihn verlieren müsste. Aber wer Erotik so mit Füßen tritt … Äh – es waren nicht die Füße. Es war schlimmer. Aber der Reihe nach:

Die wunderbare Szene mit dem Brausepulver in der Literaturverfilmung „Die Blechtrommel“ enthielt so viel Charme und Witz, dass sie wahrscheinlich etliche Menschen inspirierte, ihre Körper gegenseitig zwischendurch auch mal via Brausepulver (ggf. auch anderen Nahrungs-/Genussmitteln) zu erforschen. Warum nicht?

Hingegen führte uns Harald Schmidt vor Augen, wie die Brause-Bauchnabel-Szene anti-erotisiert dargestellt werden kann. Haltung, Möchtegernunterhaltung, Spucke, Zunge und anzügliche Bemerkungen der hingelegten Frau genügten für ein Würgen in der Kehle. Da bedarf es im Nachhinein nicht mehr der Enthüllung, dass das abgeleckte „Opfer“ ein verabredetes war – nämlich die Ex-Freundin von Ex-Co-Talker Plocher.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Ach nein, man soll das ja frech finden. Das Publikum soll sich ja genarrt vorkommen, indem es keine zufällig Freiwillige aus den Reihen der Studiogäste war, die freudig bei der Blechtrommel-Jubiläums-Aktion mitmachte. Oh Mann! Hätte sich doch nur Oskar Matzerath zwischen Darsteller und Kamera geschoben und mit seiner Stimme alles Glas in Reichweite zerspringen lassen. Die dadurch verursachte Bild- und Tonstörung wäre angemessen gewesen.

In dem Schelmenroman von Günther Grass ist Oskar als unabhängiger Geist angelegt. Insofern ist es kein Wunder, dass Harald Schmidt Anklänge an diese Figur sucht, denn auch er möchte als unabhängiger Geist gelten. Zumindest quasi. Denn gerade durch das Kokettieren mit dem Zeitgeist – nichts ist schräg oder minder genug, um ins Rampenlicht zu drängen und zu kommen und zu passen (siehe auch „Schlämmer“, Beitrag vom 8. Sept. 2009) – ist die Unabhängigkeit stark in Frage gestellt.

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