Jan 05 2016
Jenseits der Willkommenskultur ist es wichtig, Fremdes korrekt benennen
Fremdes löst Vorbehalte aus. Wie ich damals als Tochter eines Dresdners und einer Sudetendeutschen, die ich in Mittelfranken aufwuchs. Ich gehörte zu den wenigen, die in dem 400-Seelen-Dorf hochdeutsch sprachen. Meine Mutter war Hausfrau, Nur-Hausfrau – auch ein seltenes Phänomen im Ort, wo jede helfende Hand auf dem Feld oder im Stall gebraucht wurde. Also war ich „verdächtig“, weil meine Sozialisation von dem Ortsüblichen abwich und ich mich in Einigem von den Kindern in meiner Umgebung unterschied.
Die „Tradition“, zwischen allen Stühlen zu rangieren, setzte sich fort, als ich mehrfach den Wohnort wechselte in einer Zeit, wo Bodenständigkeit noch an der Tagesordnung war. Überall andere Dialekte und Sitten! Ich immer erkennbar als Zugezogene. Als „Spätberufene“ kam ich zum Journalismus und ergatterte ein Volontariat – ganz ohne „Vitamin B“, was schon damals als Rarität galt. Endgültig wurde ich zur Exotin, als ich in den 80ern BTX (Bildschirmtext) für einen Verlag installierte und ausprobierte. Wer was auf sich hielt in der Zunft, schimpfte leise bis leidenschaftlich auf die “Neuen Medien”, für die Geld locker gemacht wurde, das man eigentlich für personelle Verstärkung in den Print-Redaktionen hätte gut gebrauchen können.
Anschließend wurde ich argwöhnisch beäugt, weil ich Lust auf Öffentlichkeitsarbeit hatte und dazu im Gesundheitswesen eine geeignete Anstellung fand. Die Seiten des Schreibtisches wechseln – wer tut denn sowas! Als Freiberuflerin und Ghostwriterin passte ich dann schließlich in gar keine Schublade mehr. KollegInnen zeigten mir häufig die kalte Schulter, weil sie in ihrer Spur geblieben waren und mit meinem beruflichen Diskussionsbeiträgen nichts anzufangen wussten.
Heute sticht ein derart bewegtes Berufsleben nicht mehr ins Auge, immer mehr Menschen können von wesentlich grelleren Berufsabenteuern berichten. Unsere Gesellschaft ist bunt und wechselfreudig geworden, keiner klebt mehr an der Scholle, Auslandaufenthalte sind schon in der Jugend „normal“, und es sind genügend Zuwanderer gekommen, die von wesentlich schicksalhafteren Wendungen geprägt sind und kulturell eine weite Strecke der Annäherung vor sich haben.
Zuwanderer, Flüchtlinge oder Asylsuchende?
Doch halt – sagt man „Zuwanderer“? Angesichts unterschiedlicher Zuwanderungssequenzen macht mich die Vielfalt möglicher Bezeichnungen unsicher bei der Wortwahl. So bin ich dankbar, dass es ein Glossar gibt, das die „Neuen deutschen Medienmacher“ im Dezember 2015 entwickelten und online stellten. Die „Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland“ müssen meines Erachtens aber nicht JournalistInnen vorbehalten bleiben. Denn sich korrekt auszudrücken verleiht jedem Menschen das Gefühl, „auf der Höhe der Zeit zu sein“. Und es ist gut, wenn JournalistInnen auch hier Orientierungshilfe geben!
Zum Glossar > http://www.neuemedienmacher.de/download/NdM_Glossar_www.pdf
Bilder im Kopf auslösen – Fremdes ist geradezu prädestiniert dazu, sofern die Abwehrhaltung dagegen die Fantasie nicht völlig lähmt. Wenn man die falschen Begriffe hat, können sich auch leicht falsche Bilder einschleichen. Es ist nicht falsch, wenn angesichts der “Karriere zwischen allen Stühlen” Assoziationen aufblitzen wie: “Abstand halten!”, Mißgunst, Bestandssicherung … Genau deshalb ist mir angesichts des Ringens um die richtige Integrationspolitik die Rückschau mit den Anpassungsschwierigkeiten aller Beteiligten eingefallen. Es gibt keine “Moral von der Geschicht'” – doch bin ich davon überzeugt, dass gegenseitiges Zuhören und die richtige Wortwahl es leichter machen, einander zu respektieren oder gar zu verstehen. Ein langer Atem gehört in jedem Fall dazu.
Und das sind die Neuen Medienmacher: http://www.neuemedienmacher.de/