Monatsarchiv für Juli 2012

Jul 27 2012

Weltschmerz und Lebensfreude

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag,Kultur

Manche achten fast ausschließlich auf ihre Figur oder den Straßenverkehr, andere widmen sich „foodwatch“ oder „abgeordnetenwatch“. Auf irgendwas muss man immer achten in dieser Republik, die es seit 19 Jahren (!) verschlafen hatte, Asylbewerbern ein Auskommen zu ermöglichen, das nicht die Bezeichnung „skandalös“ verdient. Immer öfter müssen Richter ein Machtwort sprechen, weil Politiker sich als nicht kompetent genug erweisen. Unlängst setzten sie sogar zentrale Bestimmungen des Wahlrechts außer Kraft.

Der Durchblick wird einem aber auch schwer gemacht: Verschleiern gehört heute zu den ausgefeiltesten Tugenden der tonangebenden Kaste. Wer schon 2008 wissen wollte, was die Feier zu Joseph Ackermanns 60. Geburtstag im Kanzleramt gekostet hat und wer sich dort labte, musste sich bis dieser Tage gedulden, obwohl es so schöne Portale wie www.FragdenStaat.de und das Informationsfreiheitsgesetz gibt. www.netzpolitik.org veröffentlicht nun die Gästeliste, die das Bundeskanzleramt nicht gern kommuniziert sehen will.

Das ist ein Beispiel, wie sich jemand holt und erstreitet, was er wissen will. Jeden Abend aber in den Fernsehnachrichten werden wir verwiesen aufs Internet, wo der jeweilige Sender noch mehr über ein Thema parat hält. Hier wird eine Bringschuld (eigentlich müsste der Gebührenzahler rundum von ARD und ZDF informiert werden) in eine Holschuld (wer mehr wissen will, muss im Internet aktiv werden) umgewandelt.

Aber Gegenwehr gegen die Vielzahl von Ungereimtheiten keimt auf. Und tatsächlich können Proteste übers Internet leicht Verbreitung finden und anschwellen. Ob nun gegen eGK (elektronische Gesundheitskarte) oder zu viel Zucker in Baby-Nahrung. Denn der Journalismus hat schwer Federn gelassen und kann seine Lotsenfunktion immer weniger wahrnehmen. Hier setzte der Rotstift ohne tieferes Verständnis für Demokratie und Informationsgesellschaft an.

Verschleiern und Schönreden haben auf Dauer keinen Bestand. Sie ziehen die Stimmung runter, besänftigen nicht, sondern befeuern erst recht das Mißtrauen! Lebensfreude braucht klare Verhältnisse und eine Vertrauensbasis. Wer ca. 40 Minuten für nachdenkliche Töne übrig hat, kann hier seinen Geist befriedigen: Weltschmerz und Lebensfreude > www.youtube.com/watch?v=KwnvHqvHtt8 (Georg Schramm bedankt sich für den Erich Fromm Preis 2012).

Verdi schildert, wie trotz Informationsfreiheitsgesetz gemauert wird >> http://mmm.verdi.de/medien-politik/merkels-termine-bleiben-tabu

30.7.2012 Abgeordneten-Watch ist ein Beispiel, das Schule macht – Ähnliches soll auch in Tunesien und Irland für mehr Transparenz sorgen > http://mobil.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article2353941/Hamburger-Politik-Portal-wird-zum-Exportschlager.html

Ungereimtheiten, Mauern, Intransparenz drücken zu Boden.

Keine Kommentare

Jul 03 2012

Fotos: Kleider privat und im Beruf

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Kultur

Kleider machen Leute – Uniformen auch. Doch wer hat sich noch nie die Frage gestellt, wie ein Bischof oder eine Ordensschwester in Zivil aussieht? Der Clown wird dank seines Kostüms auf Anhieb erkannt. Trägt er lieber Jeans oder Bügelfaltenhosen seiner Freizeit?

Diese Art Neugier befriedigt die Foto-Ausstellung „Kleider machen Leute“ noch bis 29. Juli 2012 in Dresden. Im Hygiene-Museum werden etwa 70 Bildpaare gegenüber gestellt.  Hier der Fleischer mit weißer Schürze und Mütze, mehrere Messer griffbereit in einem “Köcher“ um den Bauch gebunden – und dort derselbe Mann daheim, wo man ihm seinen Beruf nicht ansieht. Welche Kluft bringt nun welche Aspekte der Persönlichkeit zur Geltung? Ähneln sich der Berufs- und der Privatmensch oder legt sich ein Hebel um, sobald die Berufskleidung abgestreift wird?

Herlinde Koelbl ging mit ihrer Kamera diesen Fragen nach. Die vielfach preisgekrönte Dokumentarfilmerin und Fotografin ist ein Garant für überzeugende Fotoserien. 1980 verblüffte sie ihr Publikum mit einem Blick in „deutsche Wohnzimmer“, machte „Haare“ zu einem spannenden Thema und porträtierte „Männer“ sowie „Starke Frauen“. 1999 trat sie ins Rampenlicht mit der Serie „Spuren der Macht – die Verwandlung des Menschen durch das Amt“. Dazu hat sie jahrelang Politiker begleitet, darunter unter anderem Joschka Fischer und Gerhard Schröder, einst Außenminister bzw. Bundeskanzler. Je weiter sie sich in ihre Spitzenpositionen hinein entwickelten, desto tiefer wurden die Furchen in ihrem Gesicht.

Nun also wirft Herlinde Koelbl die Frage auf, was Uniformen bewirken. Beim Träger und beim Betrachter. Welche Uniformen beispielsweise den Platz in der Hierarchie markieren wie beim Chefarzt oder Respekt einflößen wie beim Security Guard. Macht Berufsbekleidung selbstbewusster wie bei der Kaminkehrerin Pia Behnisch? Sie sagt, sie trete lockerer und entspannter auf. Privat sei sie eher ein schüchterner Mensch.

Kleider beeinflussen das eigene Körpergefühl, das Verständnis von sich selbst im Gefüge des Alltags. Kleider beeinflussen auch den Bezug zu anderen Menschen. Nicht immer ist uns das gegenwärtig, aber in dieser Ausstellung können wir es erleben. Zum Beispiel wenn wir Peter Sturzenegger gegenüberstehen. Früher war er Bodyguard. Der Schweizer ist stolz darauf, Standesweibel zu sein. Die schmucke Uniform strahlt förmlich gutes Benehmen im Dunstkreis der Macht aus. Die Tätigkeit hätte ich aber nicht erraten können: Der Standesweibel, selbstverständlich politisch neutral, ist bei offiziellen Anlässen des Bundespräsidenten immer an dessen Seite. Seine Aufgaben reichen vom Knöpfe annähen bis zum Schirm halten. Ich trete einen Schritt zurück und gestehe, dass ich mich von Peter Sturzenegger auch gerne beschirmen lassen würde!

Die 70 Bildpaare sind nicht nur jedes für sich eine Augenweide, sondern auch von der Mischung her interessant: Hier die Richterin und Generalinspekteur der Luftwaffe. Dort der Putzmann aus Japan, das Schulkind in Südafrika, der McDonalds-Angestellte aus Deutschland. Bei jedem Bildpaar gibt ein kurzes Statement Auskunft darüber, wie sich die Fotografierten selbst interpretieren und fühlen. Philippa Rath, Ordensschwester in Deutschland, trägt nur im Urlaub zivil und sagt: „Es ist erholsam und befreiend, einmal nicht als Seelsorgerin in Anspruch genommen zu werden.“ In ihrer Tracht allerdings fühle sie sich wohler und hübscher. Betnesan Bal, Mongolei, ist der einzige weibliche Officer in einer Anti-Terror-Einheit macht die Erfahrung, dass die Männer sie in ihrer Freizeitkleidung attraktiver finden: „Sie haben mehr Distanz und sind eingeschüchtert, wenn ich die Uniform trage.“

Das Vergnügen, diesen unterschiedlichen Porträts zu begegnen, wirkt auch nach dem Besuch der Ausstellung lange nach. Wer sich eingehender mit Herlinde Koelbl beschäftigen möchte, findet sie im Internet unter www.herlindekoelbl.de / Das Hygienemuseum ist unter www.dhmd.de anzuklicken.

PS.: In KW 28 läuft dieser Text auch unter http://germanradioshow.blogspot.de/ (ab ca. 39′ auf der Skala)

Keine Kommentare