Jul 14 2025
Aus der Wüste zu Brücken
Die Anthologie “365 Tage Frieden” ist jüngst erschienen. Die Premiere-Lesung hätte ich gerne in der Friedenswerkstatt Mutlangen e. V. platziert, doch nun wird sie voraussichtlich im April 2026 in Schorndorf stattfinden. Vorab veröffentliche hier meinen Beitrag in dem Werk, das 528 Seiten umfasst und leider ohne Inhalts- und AutorInnen-Verzeichnis auskommen muss. Herausgegeben haben es Rüdiger Heins und Michael Landgraf.
Auf der einen Seite gibt es Aktionen gegen die Stationierung von Atomwaffen und ein noch höheres Budet für die Rüstung, auf der anderen Seite suchen wir nach Lösungen, um die Morde in Krisengebieten zu stoppen, wobei zu allerst immer die Ukraine genannt wird, die in Europa einem Angriffskrieg ausgesetzt ist, der die Übergriffigkeit des Aggressors fürchten lehrt. Was kann man dem schriftstellerisch entgegensetzen? Ich versuche es mit einem Märchen, da ich an die Wirksamkeit sanfter Worte ebenso glaube wie an Paukenschläge des Protests.
Hier die Geschichte “Aus der Wüste zu Brücken”
Einsam stapft ein Rüstungslobbyist durch die Wüste und schimpft vor sich hin: „Dieser verdammte Frieden! Alles verloren. Nichts ist mir geblieben. Und niemand will mehr etwas von mir wissen.“ Da tritt ein Esel hinter windschiefem Gestrüpp hervor: „Geht es Dir auch so? Schon seit Tagen sehe ich keine Menschenseele, weil keiner mehr flüchtet vor Bomben und bewaffneten Überfällen.“ Sie tun sich zusammen, vor ihnen undefinierbares Gelände. Die Hitze macht sie wortkarg, hin und wieder bleiben sie stehen und lauschen, ob alles still bleibt.
Nach einer Weile treffen sie einen Igel: „Endlich traue ich mich wieder ans Licht, weil ich nicht mehr vor Leuchtraketen erschrecken muss.“ Der Lobbyist fragt: „Du hast also einen Vorteil durch den Frieden?“ Verwundert entgegnet der Igel: „Ja. Du etwa nicht?“ Nun erzählt der Lobbyist, wie er die Partys auf höchster Ebene vermisst, dass seine Frau auf und davon ist, weil sie seinen Beruf hasste, und dass er kein Ziel mehr habe. Tröstend meint der Igel: „Wir können gemeinsam erbauliche Ziele suche. Mein erstes ist, meine Familie zu finden, die sich in Sicherheit gebracht hat.“
Kurz darauf kommen die drei Wanderer an eine Oase, an der Überlebende lagern, die sich gerne ihrer Ziel-Suche anschließen. Sie bringen ihre eigenen Vorsätze und Vorstellungen ins Spiel, denn auch sie hatten nachgedacht, wie das Leben sicherer und sinnvoller werden könnte. Unter den Neulingen sind nur wenige Kriegsgewinnler, die sich nach und nach überzeugen lassen, dass eine bessere Zeit angebrochen ist. Mit jedem Schritt verliert sich ihr Zaudern, ob man nicht doch lieber in die gewohnte Zwietracht und Feindseligkeit zurückfallen sollte.
So zieht die vergrößerte Gruppe weiter und begegnet bald wieder Menschen, die unterwegs sind, um eine Zukunft zu gestalten, in der Gegensätze nebeneinander existieren können, ohne dass Blut vergossen und Verelendung erlitten werden muss. Sie will MeisterInnen im Brückenbauen im Praktischen wie im Geistigen ausbilden und fördern, wohl wissend, dass Frieden nicht ohne stetes Bemühen haltbar ist.
An dieser Stelle kann die Erzählung enden, der folgende Verlauf ist bereits abzusehen; er darf der Zuversicht aller Eingeweihten – inklusive Leserinnen und Leser – überlassen werden. Sogar der Rüstungslobbyist verneigt sich vor der Macht der Träume und Visionen und gewinnt Vertrauen in ausgleichende Gerechtigkeit. Der Igel findet zwar seine Familie nicht wieder, gründet jedoch eine neue und versöhnt sich mit dieser unverhofften Fügung des Schicksals. Der Esel freut sich, als ihm die Patenschaft über mehrere kleine Igelchen angetragen wird. Als die Schützlinge ihn nicht mehr als Spielgefährten brauchen, zieht er mit einem Zirkus um die Welt, um überall für Respekt, Toleranz, und Mitgefühl zu werben.
* Erschienen bei Edition Maya, ISBN 978-3-930758-95-3, 24 €
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