Archiv für die Kategorie 'Literatur'

Feb 12 2012

Memoiren wahrheitsgetreu oder ausgeschmückt?

Autor: . Abgelegt unter Literatur,Sonstiges

„Warum soll man die Wahrheit suchen, wenn jeder mit seiner gut leben kann?“ Ich weiß nicht mehr, von wem der Satz stammt, doch er bezog sich auf den Roman Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik von Emma Braslavsky. Ein hervorragendes Buch, das ich so schnell nicht vergesse. Hier eine anschauliche Rezension darüber > http://bit.ly/x9UCmH

Das Buch erwähne ich deshalb, weil ich immer wieder gefragt werde, ob Memoiren denn wahr sein müssen. Ob man sich wirklich bis ins Kleinste erinnern können muss. Ob es unschicklich oder unlauter ist, etwas auszumalen oder wegzulassen, unwissentlich falsch darzustellen oder einfach zu übertreiben. „Es kommt darauf an“, leite ich gerne die Gewissenserforschung ein.

Dazu machte eine persönliche Erfahrung, die mich schmunzeln ließ. Wie ich bereits am 25. September 2011 in diesem Blog ausführte, ebnet eine „Zeittafel“ den Zugang zu Erinnerungen. (Sie finden diesen Beitrag, wenn Sie in das Suchfeld „Zeittafel“ eingeben.) Eines Tages sandte ich einige Fragmente aus meiner Zeittafel meinem Vater. Vielleicht könne er etwas ergänzen und finde etwas, das zu korrigieren wäre.

Und so kam es, dass eine feste Redewendung meiner Mutter plötzlich auf den Prüfstand kam. Sie hatte von mir als einjährigem Kind behauptet, dass ich bei Ruhestörungen nachts immer „senkrecht im Bett stand“. Ich hatte das Bild vor Augen: hochgeschreckt und von den Eltern gehalten, während unter uns die anderen Hausbewohner eine lautstarke „Party“ veranstalteten. Diese Szene darf als zentraler Punkt in unserer Familiengeschichte gesehen werden, denn ohne diese nächtliche Pein, die uns häufig zusetzte, hätten meine Eltern nie das Abenteuer „Hausbau“ auf sich genommen. Die Lärmenden konnten damals nicht beruhigt werden, denn es handelte sich um Lehrlinge des Braugewerbes, die aufgrund des Biers, das ihre Lebensgrundlage war, nachts zur Höchstform aufliefen und für Beschwichtigungen unerreichbar blieben.

Mein Vater meinte nun mehr als 50 Jahre später: „Das kann nicht stimmen, denn mit in dem fraglichen Alter konntest du noch nicht stehen.“ Verblüfft musste ich ihm Recht geben. Futsch war das schöne Bild mit „senkrechten Baby im Kinderbettchen“! Entweder die Formulierung meiner Mutter war lediglich im übertragenen Sinne zu verstehen oder ich erinnere mich nicht exakt an sie. Wie dem auch sei, es wird immer mehrere Möglichkeiten geben, eine Begebenheit, Örtlichkeit oder Handlung aufzufassen und zu formulieren.

Der ungeklärte Tod der Großmutter regt in dem o. g. Roman von Emma Braslavsky sechs Enkel zu Spekulationen an, die sehr unterhaltsam sind. Wir alle bekommen damit vorgeführt, dass jede und jeder sich seine Version der Geschichte zurechtlegt – unabhängig davon, wie sehr er oder sie der Wahrheit nahekommen will oder ob dies überhaupt zu bewerkstelligen ist.

Es gibt Menschen, die schreiben ihre Vergangenheit oder die ihrer Familie nieder, um dabei in alle Verästelungen vorzustoßen und Einzelheiten sowie den alles zusammenhaltenden Bogen offen zu legen. Andere wiederum haben diesen Anspruch nicht. Sie möchten erzählen. Dabei hangeln sie sich an ihren Erinnerungen entlang und räumen ein, dass ihre Fantasie manches Detail aus der Luft griff (weil es so gewesen sein könnte) oder Naheliegendes ergänzte (das nicht mehr exakt zu ermitteln ist) oder etwas ins Fiktive drehte (damit die Geschichte einen gewünschten „Dreh“) bekam.

Die Möglichkeit, Ungenaues oder Fabuliertes kenntlich zu machen, mag man nutzen oder auch nicht. Wie man damit die Vorstellung der Enkel und anderer RezipientInnen beeinflusst, steht auf einem ganz anderen Blatt. Grundsätzlich gilt (auch für jene, die ihre Zielgruppe fest umrissen haben): man schreibt für sich und muss mit dem Ergebnis zufrieden sein. (Und einige leisten sich dazu einen Coach oder Ghostwriter, um sich die Arbeit zu erleichtern.)

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Jan 25 2012

Zukunftsgeschichten

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

Auch wenn der Januar weit fortgeschritten ist, beguenstigt es die Jahresaufbruchstimmung, Zukunftsgeschichten auf den Schirm zu heben. Zumal diese hier a) ein Lese- und b) ein Hoererlebnis sind.

Mit b) moechte ich beginnen, weil das mit Susanne Nielsen zu tun hat, jene Susanne, die im Namen dieses Blogs verewigt ist. Susanne macht in West-Florida Radio – dies neuerdings ohne Studio, dafuer als Produktion im Internet. So kommt man weltweit in Genuss, ihre Bruecke von Florida in die restliche (deutschsprachige) Welt anzuhoeren, ohne vorher reisen zu muessen. Die Sendung – deren zweiteiligen Rueckblick auf Ereignisse in 2011 ich mitgestaltete – ist abrufbar unter  http://germanradioshow.blogspot.com/ (auf den Pfeil klicken!). Die langjaehrige Tradition der Sendung ist nachzulesen unter http://www.wochenpostusa.com/2011/Funksendung.htm

Die Entwicklung der Sendung von der regionalen Ausstrahlung in Westflorida hin zu einer Internetverbreitung weltweit verfolge ich mit gespannter Aufmerksamkeit, denn Medien, ihre Umbruchsituationen und Qualitaetsstandards  beschaeftigen mich regelmaessig in diesem Blog.

a)    Zukunftsgeschichte Nr. 2 verdanken wir Birgit Gebhardt und der edition Koerber-Stiftung. Ihr Buch traegt den Titel 2037 – Unser Alltag in der Zukunft (409 Seiten, 2011, 16 Euro, ISBN 978-3-89684-086-8). Die Autorin ist Trendforscherin in Hamburg. Sie entwirft hier Szenarien anhand von drei ProtagonistInnen und ergaenzt diese Episoden jeweils mit einem Faktenteil. Denn – so die Koerber-Stiftung – „die genaue Beoachtung der Gegenwart eroeffnet Perspektiven, die plausible Prognosen erlauben.“

Ich empfehle das Buch, da es unterhaltsam und erhellend zugleich ist. Sowohl Skeptiker als auch Fortschrittsglaeubige kommen auf ihre Kosten! Ob alle Protagonisten glaubwuerdig entworfen sind, kann man bei dieser Art von Lektuere getrost vernachlaessigen. Denn wichtig ist vielmehr die Auseinandersetzung mit dem, was uns bluehen koennte. Das befluegelt die Phantasie in einem positiven Sinn!

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Dez 11 2011

Krimis mit Bezug zu Stuttgart 21

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

Vier Bücher mit Bezug zu Stuttgart 21 stellt diese Sammelrezension vor: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=15…  Der Autor Stefan Schweizer findet “Glasklar. Der neunte Fall für August Häberle” von Manfred Bomm (2009, 471 Seiten, 11,90 €) am überzeugendsten.

Darüber hinaus lohnt sich “Die letzte Flucht” von Wolfgang Schorlau. Er gilt laut http://www.krimi-forum.de als “einer der wichtigsten deutschsprachigen Autoren politischer Kriminalaromane”, lebt und arbeitet in Stuttgart. Nun hat er den Stuttgarter Privatvermittler Georg Dengler in seinen sechsten Fall geschickt, der Haarsträubendes über die Pharmaindustrie enthüllt.
Das interessante Nachwort vom Juli 2011 informiert uns über “Finden und Erfinden”. Schorlau gesteht: “Ich schrieb diesen Roman, um zu verstehen, wie das Gesundheitswesen funktioniert. Nun weiß ich es. Ich stehe immer noch unter Schock.”
Stuttgart 21 wird beiläufig, aber eindrücklich thematisiert, weil Denglers Sohn Jakob dort aktiv ist. Zudem widmet Schorlau das Buch ausdrücklich “den mutigen Stuttgarter Jugendlichen (…), die sich am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten mit Sitzblockaden gegen die Zerstörung ihrer Stadt gewehrt haben.”

Die unaufgeregte Erzählweise ist für die Spannung und Enthüllung nützlich. Einige Passagen über die Bestechungen der Verordner (Ärzte) fand ich zwar zu “ausgewalzt”, aber den Spaß am Lesen beeinträchtigen sie nicht. Schorlau dreht immer rechtzeitig bei, bevor sich etwas ins Komplizierte verzweigen könnte.

Abschließend sei “Blutsauger” empfohlen – ein Schwabenkrimi ohne Bezug zu Stuttgart 21.  Stolze 511 Seiten mutet Autor Manfred Bomm hier der Leserschaft zu. Trotzdem sind die Verwicklungen übersichtlich strukturiert, die Spannung ist wohl gesetzt, das Schwäbische nicht übertrieben.
Es geht um Blut, das aus medizinischen Gründen interessant, aber schwer zu beschaffen ist. Folglich hängt da mehr dran als Forschergeist – es geht um viel Geld. Und weil dieses Forschungsgebiet heikel ist, haben die Beteiligten einiges zu verbergen.
Kriminalist Linkohr bekommt es zunächst mit zwei Todesfällen zu tun, bei denen angeblich keine Fremdeinwirkung feststellbar ist. Doch im Laufe der Ermittlungen – die sehr zugunsten der Helfenstein Klinik in Geislingen an der Steige skizziert werden – nähren Ungereimtheiten Zweifel, die zu weitreichenden Recherchen führen. Klar, dass dann Kommissar Häberle gerufen wird und seine tragende Rolle (es ist sein elfter Fall) unaufdringlich und am Rande wahr nimmt.
(Gesellschaftskritik bringt der Journalist und Autor Manfred Bomm in all seinen Krimis zuverlässig unter.)

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Dez 02 2011

„Tinkers“ – hochgejubelt und verworren

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Erst schmorte der Roman lange in der Schublade, dann kam in Amerika der bejubelte Durchbruch. Doch mich überzeugte er nicht:

 

Dem Uhrmacher schlägt die Stunde

 

Wenn ein Roman schon „Kesselflicker“ (so die Übersetzung des Originaltitels „Tinkers“) heißt, lässt das raue Lebensbedingungen und entsprechend ungewöhnliche Verflechtungen erwarten, garniert mit Abenteuern, die weite Wege und die Unberechenbarkeit der Natur mit sich bringen. Zumal wenn der Pulitzerpreis, den dieser Romanerstling von Paul Harding erhielt, angeblich eine „Hymne auf das Leben“ auszeichnet, in der uns die Protagonisten – so die Jury – „zeigen, wie man die Welt und die Sterblichkeit neu wahrnehmen kann“. Doch der Roman irritiert mit seinen Sprüngen in Zeit und Perspektiven mehr, als dass er packend unterhält.

Vielleicht ist das Manuskript zunächst deshalb von so vielen Lektoren und Literaturagenturen abgelehnt worden, bevor es seinen Siegeszug auf dem amerikanischen Buchmarkt antreten konnte: Da will jemand kraftvoll und poetisch etwas erzählen, ein großes Generationenbild von Vater, Sohn und Großvater nahe bringen – und dennoch bleibt der Eindruck des Fragmentarischen, das seine Relevanz als Romanstoff an vielen Stellen nicht hinlänglich beweisen kann. Rezension zu Ende lesen: > www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16158

Was lässt sich daraus lernen? Eigentlich das, was ich all jenen immer wieder sage, die mit Schreibambitionen Rat bei mir holen: dranbleiben, ans eigene Werk glauben und nicht aufgeben! Über „Tinkers“ kann man geteilter Meinung sein – in meinen Augen ist der Roman nur leidlich gelungen. Trotzdem ist er „preisgekrönt“. Na ja, hinter die Kulissen schaut man in diesem Fall nicht so leicht. (Aber eins gilt immer: „Geschmäcker sind verschieden“!)

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Sep 22 2011

Hört: Erinnern Frauen sich anders?

Autor: . Abgelegt unter Kultur,Literatur

Bevor man womöglich nicht mehr nachhören kann, was der Hessische Rundfunk zu den bzw. rund um die Schwarzer-Memoiren sendete, hier der Link: http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=14224&key=standar
d_podcasting_derTag&mediakey=podcast/derTag/derTag_20110915&type=a
Sehr interessant finde ich dabei die Erörterung, ob sich Frauen anders erinnern oder ihre Memoiren anders gestalten als Männer. Das Spektrum der Beiträge ist erhellend. Die Diskussion darüber darf gerne fortgesetzt werden.

Heute erscheint in der aktuellen EMMA-Ausgabe übrigens ein Auszug aus dem Memoiren von Alice Schwarzer. Sie hat ihre Erinnerungen, die von den Medien mit einiger Aufregung erwartet wurden, in zwei Teile gegliedert.  Der erste blendet auf ihre Jahre bis zum Erscheinen der erstern EMMA zurück.

Sehr gut erinnere ich mich, an welchem Kiosk in Stuttgart ich die erste EMMA  entdeckte (Charlottenplatz). Ohne lange nachzudenken zückte ich den Geldbeutel und sie war mein! Ich verschlang jeden Artikel. Auf jede Ausgabe wartete ich gespannt. Ich redete viel über das, was ich in den Heften so treffend auf den Punkt gebracht fand, wollte die Bewegung verbreitern helfen. Auch bei meinem Mann und bei meinem Vater fand ich offene Ohren dafür.

Damals erschien die Zeitschrift monatlich. Meine Idee, selbst einen Artikel in EMMA zu veröffentlichen, konnte ich bereits ein Jahr später (1978) verwirklichen. Es ging um Ungerechtigkeiten bei der Jobsuche – Überschrift “Eines Tages heiratest Du ja doch”. Es war noch eine frische Errungenschaft, dass Frauen frei über ihre Berufstätigkeit bestimmen konnten. In allen Köpfen war das noch nicht verankert, bei fast allen Vorstellungsgesprächen wurde ich gefragt: “Und was macht Ihr Mann?” oder “Was sagt Ihr Mann dazu?” Das verlieh mir als Bewerberin eine unbestimmbare Form von Unmündigkeit, die mich sehr wütend machte!

Damals war ich noch keine “gelernte Journalistin”, verdiente mein Geld auf andere Weise und hatte zuvor lediglich einen Artikel für die Lokalpresse geschrieben. Der Honorar-Scheck mit der Unterschrift von Alice Schwarzer musste natürlich auf einem Foto “für die Nachwelt” festgehalten werden! Erst gut zwei Jahre später stürzte ich mich voller Begeisterung in mein Volontariat bei der Gmünder Tagespost. – Ja, es ist wirklich eine spannende Frage, ob sich Frauen an andere Dinge erinnern oder sich in den Zusammenhängen, die ihr Leben prägten, anders darstellen als Männer! Kommentare dazu sind herzlich willkommen!

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Aug 28 2011

An Manuskripten feilen und an sie glauben

Autor: . Abgelegt unter Literatur

„Der Lange Weg zum eigenen Buch“ war der Stuttgarter Zeitung (StZ) am 20.8.2011 einen größeren Artikel (Autor: Harald Lachmann) wert. Abgesehen davon, dass dieser lange Weg oft beschrieben und beklagt wird, häufen sich in letzter Zeit die Meldungen, dass verkannte Autorinnen und Autoren dann eben doch den Durchbruch schaffen. Morgen kommt zum Beispiel „Tinkers“, ein Roman von Paul Harding, bei Luchterhand heraus, der 2010 den Pulitzerpreis für Fiction gewonnen hat. Andere Preise sind auch aufgelistet. Solch ein Siegeszug nach vielen Absagen! Jahrelang hatte Harding das Manuskript „resigniert in der Schublade verschwinden“ lassen.

Für „Leidensgenossen“, die sich Rat holen wollen, sei laut StZ übrigens das Portal www.autorenforum.montsegur.de eine gute Adresse. Sie scheint jedenfalls unabhängig zu sein. Veröffentlichungswillige erhalten ggf. erhellende Auskünfte bei www.aktionsbuendnis-faire-verlage.com

IN EIGENER SACHE:

Der schöne Hubert und andere Übungen
… heißt der Titel meines Webinars “kreativ schreiben”, das am 28.9.2011 startet.
Der schöne Hubert war eine beeindruckende Figur in einer Geschichte des letzten Kurses. Also habe ich ihn zum Thema gemacht. An ihm üben wir perspektivisches Schreiben.
Einzelheiten zum Webinar >> http://bit.ly/eAmxU0  / Es ist wichtig, immer wieder Flexibilität zu üben – und nach ausgiebigem Feilen an das eigene Werk zu glauben!      Seminare/Webinare dienen nicht zuletzt der Ermutigung!

PS.: Tinker ist der Beruf des Kesselflickers.

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Aug 17 2011

Ob schlüpfrig oder kurios – ein Titel muss ziehen!

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Manchmal bleibt man an einem Buchtitel hängen und denkt „Volltreffer“! Obwohl man vom Inhalt des Buches nichts weiß und/oder nichts wissen will. Mir geht das mit dem Titel „Schoßgebete“ so. Einen besseren hätte man dem 2. Werk der Autorin mit der besonderen Feder für Schlüpfrigkeiten nicht verpassen können! Dazu noch die Assoziation, dass Schoßgebete seufzend aus Sumpf- nein Feuchtgebieten kommen …

Lassen wir das. Plupp, seufz! Ich habe mich bei MISS TILLY informiert, was Charlotte Roche diesmal in ihren „Aufreger“ gepackt hat. Hier geht’s zur Rezension von Anne von Blomberg > http://bit.ly/oeZ1td

Es ist wirklich wichtig, dass ein Buchtitel „zieht“. Sonst wird das Buch ein Mauerblümchen. Also strengen sich die Marketing-Leute mächtig an. Manchmal versucht man, mit Kuriosem zu punkten. Seit 2008 werden die kuriosesten Buchtitel prämiert.

Es begann mit „Begegnungen mit dem Serienmörder. Jetzt sprechen die Opfer“ von Stephan Harbort, Droste Verlag. Dann folgten „Das Leben ist keine Waldorfschule“ von Mischa-Sarim Vérollet, Carlsen Verlag (2009), und „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und den Abwasch zu beginnen“ von Hallgrímur Helgason, Tropen Verlag (2010). Wer landet heuer auf Platz 1. Vorschläge sind hier willkommen > www.kuriosesterbuchtitel.de/ Dort findet man auch Begründungen zu den seitherigen Entscheidungen der Jury.

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Jun 27 2011

Wenn Journalismus mau bezahlt wird …

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

Hat Journalismus eine Zukunft? Die Rahmenbedingungen dieses Berufs verschlechtern sich immer mehr. Neuerdings protestieren Kolleginnen und Kollegen dagegen auf der Straße. Unter anderem sollen ihre Gehälter empfindlich gedrückt werden. Freiberufliche Journalisten stehen nicht selten am unteren Ende der Einkommensskala, viele sind „zwangsselbständig“ und kommen kaum über die Runden.

Da kommt das Buch „Echtleben“ der Journalistin Katja Kullmann gerade recht! Sie beschreibt ihre Zeit als Hartz IV-Bezieherin. Die ZEIT hat sie dazu interviewt > http://bit.ly/kK8K91. Dass es sich nicht lohnt, fleißig und gebildet zu sein, beleuchtet am 23.6.2011 auch Nils Minkmar in der FAZ > http://bit.ly/m0dtnI

Zitat: „Obwohl sie alles richtig gemacht haben – gut in der Schule, fleißig im Beruf, fix im Kopf -, haben die Medienarbeiter kaum Sicherheiten (…). Die Bildungsrepublik Deutschland, in der die Städte angeblich um die kreativen Köpfe buhlen, zahlt einfach zu schlecht.“ So käme es zu einer permanenten Vorläufigkeit, die sich auch in Freundschafts- und Liebesbeziehungen auswirke.

Offiziell muss der Kampf ums Überleben schöngeredet werden, sonst hat man erst recht keine Chance, an irgendwelche Geldquellen zu gelangen. Die Einnahmen- und Ausgabenbilanz stimmte zuletzt beim Eichborn-Verlag, der „Echtleben“ herausgebracht hat, auch nicht mehr. Er hat Insolvenz angemeldet, noch bevor Katja Kullmann ihr AutorInnen-Honorar erhalten hatte. Kein Umstand, der den Glauben an die Aufwärtsspirale befeuern könnte.

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Jan 26 2011

Literaturempfehlung: Räume aufschlüsseln und das Tänzelnde genießen

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Thomas Ballhausens „Bewegungsmelder“ offenbaren präzise Beobachtungen und reflektierte Stimmungen

Mit „Bewegungsmelder“ hat Thomas Ballhausen ein Buch vorgelegt, das sich in zwei Teile gliedert. Im ersten Teil – „Fluchtversuche“ – geht es um Liebe und wie schwer es ist, sich bei Entfremdung zu entziehen; im zweiten Teil – „Interventionen“ – folgt man einem Gedankenfluss, Schrägstriche setzen hier scharfkantige Schnitte, damit diese Selbstreflexionen einen nicht mitziehen in ungeahnte Fernen und Tiefen.

Der 35-jährige Kulturwissenschaftler Thomas Ballhausen ist in Österreich in mehreren Sparten unterwegs. So lehrt er nicht nur an die Universität Wien, sondern engagiert sich auch am Filmarchiv Austria, am Musik-Journal „skug“ und war Mitbegründer der Autorenvereinigung „die Flut“. Er selbst bezeichnet sich als „ernsthaft“ und „fleißig“. Dennoch kann er mit Schwung, Rhythmus und Spielerischem etwas anfangen. In einem Interview hat er jüngst bekundet: „…ich glaube, Autorinnen und Autoren sollen schon auch tanzen können.“ Genau diese zwei Seiten, das Tänzelnde und das assoziativ Tiefgründige finden in „Bewegungsmelder“ reibungslos zueinander, und beide bilden eine berührende Symbiose.

Beim Wettlesen zum Bachmann-Preis in Klagenfurt hat er nicht viel Schmeichelhaftes gehört. Kaum zu glauben, dass er häufig mit dem Etikett „verkopft“ konfrontiert wird! Spielen da Ressentiments gegen seine Genauigkeit eine Rolle? Dieses Um- und Umwenden von Sprache findet so souverän statt, dass sowohl die Erzählungen als auch die mittels Schrägstrichen getaktete Prosa intensive Stimmungsbilder entstehen lassen. Formulierungsgenauigkeit macht hier als eine Art Abenteuer Spaß, weil sie die Tür zu schlüssigen Assoziationen öffnet. Die Freude über eröffnete Blickwinkel und Wendungen macht wett, sich eingelassen zu haben auf zunächst Undurchsichtiges. Das Unerwartete kommt nahe und wird im Nu vertraut, als hätte es seit ewigen Zeiten unerkannt in einem selbst geschlummert.

Gerne zitiert wird die Passage „immer schon ein vollkommen OFFENES Buch schreiben wollen / das aus Türen besteht / aus Angeboten / aus Fenstern und Durchgängen / jede Passage führt zu einem anderen Raum / schlüsselt ihn auf / wir basteln alle am Kontinuum“. Man könnte dies als Bekenntnis verstehen, weil in diesem Bändchen wirklich viele Zugänge ermöglicht werden.

Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann darauf, dass Fluchtversuche aus der Feder von Thomas Ballhausen hier nicht ins Leere laufen, sondern mit der Selbstfindung verwoben bleiben. Einer teils heiteren sogar. Der Ernst des Lebens drückt sich zwar in klassischem Erzählstoff aus – etwa bei der Beendigung einer schal gewordenen Beziehung – , doch er beherrscht nicht unbedingt den Vordergrund der Geschichte. Immer wieder dominiert hier ein Offenlassen von Schritten, die vorangegangen sein mögen oder folgen werden. Und damit ist der Leser auf der gleichen Stufe wie der Autor. Die beiden sind sich durch das Unbenannte sehr nahe, weil nur das Jetzt zählt, das einen Schatten haben mag, in dem aber niemand gefangen bleiben muss.

Wo Ballhausen „Das konkurrierende Nebeneinander von Erträumtem und Wirklichem“ als „fast (…) ungehörig“ vor Augen führt, ist das eine klare Aussage. Genauso später die „Vergangenheit, die nicht vergehen will, weil sie mir innewohnt, mich mehr bestimmt und ausmacht, als ich bereit bin einzugestehen. Es ist mir unmöglich, mit meinem Leben, meinem Sein zu brechen.“ Es sind sehr präzise Beobachtungen und Sprachbilder, die die Oberfläche transparent machen, so dass darunter Sehnsüchte und Leidenschaften gegenwärtig werden. Sie scheinen zu brodeln, doch der Autor will mit ihnen nicht hausieren gehen. Wie ein Archäologe will er sie freilegen, sie aber nicht in ihrer vollen Verletzlichkeit preisgeben.

So wirkt er wie einer in seinen Brüchen heiler Erzähler, der Räume entstehen lassen will. „Sätze wie Widerhaken“ – von dieser Absicht ist die Rede. Doch es sind Sequenzen, die gründlich gegen den Strich gekämmt und dadurch (gelegentlich) stachlig werden. Die spürbare Ehrlichkeit nimmt die ihnen die ärgste Spitze. Ist man dafür empfänglich, hängt man wie ein Fisch an der Angel – mit und ohne Widerhaken.

Thomas Ballhausen: Bewegungsmelder. Prosa. Haymon Verlag, Innsbruck 2010. 104 Seiten, 17,90 EUR. ISBN-13: 9783852186436

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Jan 25 2011

Erinnerungen: Darf ich fantasievoll fabulieren oder müssen alle Episoden wahr sein?

Autor: . Abgelegt unter Literatur,Sonstiges

Nicht nur bei Nachkommen prominenter Eltern oder bei Personen der Zeitgeschichte können Passagen von Familienepisoden Skrupel  auslösen. Subjektive Betrachtungen machen angreifbar. Selbst  wenn man nur das Gute und Vergnügliche aufschreiben will, kommen in dem Text Personen vor,  über die man vielleicht gelästert oder gelacht hat und über die man geteilter Meinung sein kann. Wie das formulieren, ohne dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt? Diese und ähnlich Klippen zu umschiffen, zeichnet sympathische Memoiren aus.

Etliches kann man sicher freiweg erzählen, ohne lange abwägen zu müssen. Aber einen Lebenslauf ohne heikle Punkte und Unklarheiten gibt es nicht. Was tun, wenn ich mich evtl. falsch erinnern sollte oder mich missverständlich ausdrücke? Menschen, die ihre Lebensgeschichte aufschreiben wollen, haben oft knifflige Entscheidungen zu treffen.

Immer wieder tauchen neue Zweifel und Unsicherheiten auf. Soll ich so genau wie möglich meine Erinnerungen schildern? Wie mit Unschärfen umgehen, mit nicht gesicherten Informationen, mit Antipathien, ehemaligen Widersachern? Ab welchem Punkt sollte ich mich bei einem Rechtsanwalt rückversichern, ob meine Äußerungen über diesen oder jenen Weggefährten unschädlich sind?

All diese Fragen stehen vielleicht wie ein Berg vor dem Autor bzw. hindern ihn, einen Anfang zu finden. Angesichts solcher Fragen ist guter Rat nicht teuer. Es ist empfehlenswert, trotzdem mit dem erinnernden Schreiben zu beginnen und parallel dazu einen Fragenkatalog zu führen. Es wäre eine Ausnahme, wenn die erste Fassung eines Textes auch die letzte wäre. Man darf davon ausgehen, dass bei so einem Werk viel „gefeilt“ wird, bis der eigene Geist damit zufrieden ist. Also ist genug Zeit, Zweifel, Unwägbarkeiten und Fragen zu erörtern und zu klären.

Bevor man externe Experten einschaltet, kann man sich selbst fragen, ob denn alles wahr sein muss, was man überliefern will. Kann da nicht auch stehen: Onkel Erwin zeugte mit Tante Erna drei Kinder. Die weiteren sieben Kinder, von denen immer wieder die Rede war, können im Bereich der Legende angesiedelt sein, denn Onkel Erwin entzog sich unserer Familie. 1951 ging er nach Australien und sorgte dafür, dass hier einige Informationen über sein angeblich großartiges Leben dort in Umlauf kamen. Überprüfen konnten wir diese freilich nicht. Ich gebe also hier ungesicherte Gerüchte wieder, wenn ich von … erzähle.

Das wäre eine Möglichkeit, solide zu bleiben, ohne etwas Interessantes hinterm Berg halten zu müssen. Man kann aber auch bewusst in den Bereich der Fiktion gehen und schreiben: Dass Onkel Erwin in Australien eine glänzende Karriere machte, sollten wir glauben, denn das stand auf jenen knappen Postkarten, die zu Weihnachten kamen. Mangels realistischer Informationen habe ich mir schon früh eine Geschichte über Onkel Erwin zurechtgelegt. Mit der Wahrheit hat diese freilich nichts zu tun. Aber ich finde sie trotzdem erzählenswert: Y … Y … Z …-

Nachdem man die eigene Fiktion zum Besten gegeben hat, kennzeichnet man das Ende dieser Passage mit einem Schrägstrich >> / Ende meiner Lieblingsgeschichte über Onkel Erwin, die zu 99 Prozent ein Produkt meiner Fantasie ist. Einer Fantasie, die sich seit mehr als 35 Jahren ausmalt, wie es in diesem Zweig unserer Familie in Australien wohl zugehen mag.

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