Archiv für die Kategorie 'Kultur'

Nov 09 2014

Wunderlich fährt nach Norden

Autor: . Abgelegt unter Kultur,Literatur

Wie charmant es sein kann, wenn nicht alles enträtselt wird, zeigt uns Marion Brasch mit ihrem zweiten Roman „Wunderlich fährt nach Norden“. Die besonderen Momente im Unbestimmten ergeben ein kurzweiliges Buch, obwohl nichts wirklich Spektakuläres passiert.

Acht Tage begleiten wir Wunderlich, 43, Gelegenheitsjobber nach gescheiterter Ausbildung zum Bildhauer, der Wundersames und Skurriles erlebt, das ihn nach und nach aus seiner Lethargie lockt. Bevor es auf Seite 255 heißt, der Protagonist sei „aufgewacht“, ließ er sich (fast) nur treiben. Belohnt wurde er mit der Entwicklung vom unglücklichsten zum verwirrtesten Menschen, den er kannte. Ein verschmitztes Grinsen ist hier wie an vielen anderen Stellen des Romans „Wunderlich fährt nach Norden“ von Marion Brasch kaum zu unterdrücken.
Wunderlich wird uns von seinem Mobiltelefon vorgestellt. Denn das kann sprechen beziehungsweise übermittelt „Weisheiten“, Warnungen und Wegweisendes. Mr. oder Mrs. Anonym wird den ganzen Roman über seine/ihre Identität nicht preisgeben, aber zwischendurch als „Orakel“ verkünden, was diesem oder jenem Zeitgenossen bevorsteht oder was er bereits hinter sich hat. Zunächst fordert es den von Liebeskummer geplagten Wunderlich auf: „Guck nach vorn.“„Anonym“ ist das erste Mysterium – witzig, unaufdringlich, spannungshaltend. Zudem gibt es im Roman eine Reihe von Begegnungen auf dem Weg nach Norden, die bis ins Detail eine gute Tragfähigkeit beweisen, aber jenseits des Üblichen rangieren. Dennoch muss noch etwas Sagenhaftes eingeführt werden: Blauharz – mit der wunderbaren Eigenschaft, schnell Wunden zu heilen. Die Kehrseite ist, dass man vergisst, dass und wodurch man verletzt gewesen ist. In philosophischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob das in jedem Fall wünschenswert ist.
Marion Brasch hat in „Ab jetzt ist Ruhe“, dem Roman ihrer „fabelhaften Familie“ (2012), eine Erkenntnis formuliert, die Pate gestanden haben könnte bei Wunderlichs Reise – die Autorin hatte als junge Fahranfängerin begriffen, „ […] dass das schnellere Überwinden von Entfernungen nichts mit dem Erreichen von Zielen zu tun hat, die meinem Leben eine tiefere Bedeutung geben würden.“ Wunderlich, eher ein zielloser Langeweiler, bricht lediglich in eine Richtung auf („nach Norden“), das Zeitbudget scheint keine Rolle zu spielen (Gelegenheitsjobber) und ob etwas tiefere Bedeutung erlangt, wird er früher oder später merken. Das weckt Neugier, ob Unbestimmtheit gehaltvoll sein kann oder ob sich etwas herauskristallisiert, das über das Hier und Jetzt hinaus kostbar wird.

Es passt zu Wunderlich, dass sein Ausweis abgelaufen ist und ihn deshalb eine resolute Zugbegleiterin auf einer verlassenen Bahnstation aussetzt. Hier trifft er Finke, der ihn mit in seine Behausung nimmt. Wunderlich überlässt sich ohne Eile einer Reihe von Zufällen und entdeckt dabei manchen Kern, nach dem er gar nicht gesucht hatte. Auffällig: Es treten mehrere rothaarige Frauen auf – rothaarig war auch die Ex-Frau von Wunderlich, mit der er einen Sohn hat, den er vor elf Jahren das letzte Mal gesehen hat und es gibt mehrere Akteure, die wie Wunderlich 43 Jahre alt sind – unter anderem der Entdecker des Blauharzes, dem seine Entdeckung nicht gut bekommen ist. Auf welche Assoziationen und Rückblenden sich Wunderlich einlässt, ist ganz allein ihm überlassen. „Anonym“ spuckt kaum eindeutige Empfehlungen und schon gar keine Gewissheiten aus.

Auszuprobieren, wie es sich anfühlt, wenn einer weder zeitlich noch räumlich zu lokalisieren ist, kann Spaß machen, wie die Autorin – sie arbeitet als freie Rundfunkredakteurin – beweist. Jedenfalls spielt die Handlung während einer Phase in einem Landstrich, als dort zwei Kaffee und ein Schnaps noch „vierachtzig“ gekostet haben. Die Währung wird natürlich nicht verraten!

Ob es nun Wunderlich bis zum Meer schafft oder nicht, ist eigentlich fast unerheblich. Dass er manche Rätsel nicht lösen kann und ihn andere Erscheinungen irritieren, fügt sich glaubwürdig in diesen charmanten Roman, der sonderbare Momente sammelt, liebevoll ausstaffiert und dezent mit feinem Humor würzt. Hauptsache Wunderlich fühlt, dass diese Geschichte zu seinem Leben wird, er nicht länger Zuschauer bleibt. Dies ist schon viel, um das Vertrauen für alles Folgende zu kräftigen.

Marion Brasch: Wunderlich fährt nach Norden. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014.
288 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783100013682

 

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Dez 08 2013

Köstlich: Ghost Konrad & sein Tabu-Job

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Kultur

Aufregend klingt der Titel nicht: „Der Bearbeiter“. Wir haben es hier aber mit einem Roman zu tun, der es faustdick hinter den Ohren hat! Einem geschmeidigen Roman, der mit wenig Personal auskommt, uns leichtfüßig unterhält und oft schmunzeln lässt, ohne dass seine Ironie aufdringlich wäre. Das Subtile an dem Stoff ist, dass wir ein Stückchen „Untergrund“ erfahren, denn der „Bearbeiter“ ghostwritert für Menschen, die an Hochschulen und Universitäten einen Titel erlangen möchten. Und so ist es logisch, dass er sich „Bearbeiter“ nennt, statt „Doktormacher“, denn in dem Geschäft darf niemand zugeben, je eine/r der Beteiligten gewesen zu sein.

Das Unaufgeregte hat also System. Ghostwriter sind das Gegenteil von jenen, die sich in den Vordergrund drängen. Mögen sie ächzen und stöhnen unter ihrer Arbeit, sich ihrer Macht bewusst sein – im Grunde verdingen sie sich in einem ziemlich eng anliegenden Korsett. Zumal Konrad Richter, dem wir 287 Seiten lang über die Schulter schauen dürfen. Er kennt nämlich seine Kunden nicht einmal, sie werden ihm vermittelt. Das hat Vor- und Nachteile. Der Schutz der Anonymität für Auftraggeber und -nehmer ist lukrativ für den Vermittler, die Kärrnerarbeit im Verhältnis dazu schlecht bezahlt.

Der Autor Wolfgang Klinghammer kennt sich in dem Geschäft aus, arbeitet selbst aus Ghost „auf verschiedenen Gebieten“. In einem Interview mit Jenapolis räumte er ein, dass der Roman teilweise autobiografisch angelegt ist, will ihn aber in erste Linie als „Wissenschaftssatire“ verstanden wissen. Denn der Wissenschaftsbetrieb mit all seinen Eitelkeiten und seiner Obrigkeitshörigkeit bekommt gehörig sein Fett weg. Hierzu sei das köstliche Probekapitel „Habermas“ www.derbearbeiter.de/ empfohlen – 14,5 Minuten kann man sich hier einhören.

Seitenhiebe gibt es aber auch auf ein Intelligenznetzwerk, das „Pi“ (es könnte sich in unmittelbarer Nachbarschaft von „Xing“ tummeln), das jeden mit einem IQ von 130 und mehr willkommen heißt. Und weil Ghosts ja im stillen Kämmerlein writern (wenn sie mal nicht Bibliotheken durchkämmen und kostbare Zeit am Kopiergerät verbringen), streckt Konrad hier neugierhalber seine Fühler aus. Auch das ist eine vergnügliche Schiene, die dem Buch einige Würze hinzufügt.

Überhaupt: Wo geht die Reise hin, wie entwickelt sich der Held? Schreiben ist ein sehr einsames Geschäft, über das man in diesem Fall nicht einmal kommunizieren darf. Wird er gefährlich und lässt jemanden auffliegen? Dann adieu Broterwerb hinter den Kulissen! Denn Diskretionsverletzungen sprechen sich in dieser Branche unweigerlich herum. Trotzdem ist da ein Spiel mit dem Feuer, das als Lesebeschleuniger funktioniert. Und noch etwas umkreist schließlich den eher zurückhaltenden Konrad Richter, so dass wohltemperierte Spannung aufkommt und wir auf ein Happyend hoffen.

Ein wichtiges Buch, das ein Tabu unverkrampft beschreibt, unverzagt den Finger in mehrere Wunden legt und damit die Mundwinkel frohgemut nach oben zieht.

Wolfgang Klinghammer: Der Bearbeiter. Paperpack: 287 Seiten, Macciato-Verlag, ISBN 978-3-940721-16-7, EUR 16,50

Interview zur Tätigkeit eines Ghostwriters > http://www.jenapolis.de/2011/04/interview-mit-einem-jenaer-ghostwriter/

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Nov 03 2013

Lohnt sich > Nova, Dummy & Reportagen

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Kultur

Logisch, dass ein Blog wie dieser Medienbeobachtung ernst nimmt. Heute soll es um drei Zeitschriften gehen, die herausragen aus der Medienlandschaft:

                                   Nova, Dummy und Reportagen.

„Nova“ nennt sich ein Frauenmagazin mit Eigensinn, das reflektieren und inspirieren will – ohne der gängigen Nabelschau zu huldigen. Lieber zu sich stehen, zur eigenen Einzigartigkeit, als alles mit dem Gedanken an „Optimierung“ zu unterlegen. Dazu soll es Ermutigung geben, was sich in der ersten Ausgabe 1/2013 andeutet und nach Fortsetzung ruft. Doch wie es weitergeht, hängt von den Finanzen ab. Das Magazin wird von Marietta Duscher-Miehlich und Birte Pütjer im Eigenverlag herausgegeben und kommuniziert auch via Facebook mit seinen LeserInnen. Wünschen wir ihm also nicht nur gute Geschichten, sondern auch geschäftlichen Erfolg, damit Nova (5,90 €) auf dem hart umkämpften Zeitschriftenmarkt nicht verdörrt. https://www.facebook.com/Nova.Magazin.de

„Dummy“ hat schon zehn Jahre auf dem Buckel und lässt seine Jubiläumausgabe von 40 Grafikern gestalten, was kein Schongang fürs Auge ist, aber als interessantes Experiment zwischendurch hingenommen werden kann. Die Dummy-Macher haben herausgefunden, dass man der Leserschaft auch mal etwas zumuten kann und es nicht nötig ist, den Leser entsprechend der beliebten Medien-Maxime immer brav da abzuholen, wo er gerade steht. Weichgespültes sucht man vergeblich in dem „Gesellschaftsmagazin“, das pro Ausgabe ein Thema ausleuchtet und sich dazu jeweils einen anderen Grafikdesigner gönnt. „Dummy“ (6 €, vier Ausgaben pro Jahr) gibt sich bewusst eckig und kantig, bietet Lesestoff zum Schmunzeln, Staunen, Irritieren und wird in seiner Nische wahrscheinlich weiterhin genügend Fans finden, die ihm die Treue halten. http://www.dummy-magazin.de

Freunde von Reportagen kommen bei „Reportagen“ (15 €, sechs Ausgaben pro Jahr) auf ihre Kosten. Dieser Journalismus der Extra-Klasse verkauft sich nun schon seit zwei Jahren als „Weltgeschehen im Kleinformat“ (fast ein Buch); das strenge Layout stellt bewusst das geschrieben Wort in den Vordergrund, verzichtet auf Fotos, Illustrationen werden sparsam eingestreut. Jeweils sechs Reportagen entführen in alle Kontinente. Spannend auch die historische Reportage, die in jeder Ausgabe zeigt, was zeitlos fesselt oder wie ggf. das Genre sich entwickelt hat. Aktuell meldet die Publikation in ihrem Blog (http://www.reportagen.com/blog), dass Reportagen den Design-Preis 2013 der Schweiz erhält und Mafioso außer Dienst” von Sandro Mattioli sowie “Der Mörder als Pfleger” von Claas Relotius (Ausgaben Nr. 11 und 9) für den Deutschen Reporterpreis 2013 nominiert sind. Die Entscheidung fällt am 2. Dezember. Deutsche LeserInnen mögen erstaunt sein über den stolzen Preis, doch die Publikation wendet sich keinesfalls nur an gut verdienende Eliten!

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Okt 17 2013

Diese Autorenträume möbeln Geist & Seele auf!

Autor: . Abgelegt unter Kultur,Literatur

Kleines Brainstorming vorneweg: Was wollen AutorInnen? Gelesen werden! Eine naheliegende Antwort, doch sicher gibt es auch Geschriebenes, das nur erleichtern soll (nämlich die/den VerfasserIn, etwa in einem Tagebuch) oder unbesehen etwaiger LeserInnen dokumentieren soll (beispielsweise den Unfallhergang, die Rednerliste zum Empfang des neuen Chefs). Bringt man das Wort „Autorenträume“ ins Spiel, geht ein ganz anderes Fenster vor dem geistigen Auge auf, das in eine abwechslungsreiche Landschaft führt. Stichworte dazu: erzählen, unterhalten, überraschen, fesseln, aufklären; die Welt berühren, irritieren, verbessern oder bereichern; sich ausdrücken, entwirren und mitteilen; selbst entdeckt, veröffentlicht, respektvoll behandelt und angemessen bezahlt werden; Bestseller landen, Aufsehen erregen, Ruhm erlangen – und obendrein immer wieder … einfach nur schreiben, ohne Blockade, je nach Thema/Auftrag oder frei mit Trends locker umgehen können und nicht automatisch auf eingeführte Erfolgsfiguren reduziert zu werden etc.

Wie trocken sich diese Aufzählung anfühlt! Als wäre damit das meiste gesagt. Doch das Lesebuch „Autorenträume“, herausgegeben von Petra Hartmann und Monika Fuchs, belehrt uns eines Besseren. Denn siehe da, die Autoren-(Traum-) Welt wird bunt und vielfältig dargestellt, aber auch nachdenklich, doppelbödig, Ironie und Witz inbegriffen … Man mag diese Anthologie auffächern und Einzelheiten herausgreifen – damit hat man aber noch längst nicht den positiven Gesamteindruck vermittelt, für den das Buch hohes Lob verdient.

Ja, es ist wie ein unvergesslicher Fußabdruck, den die Herausgeberinnen und die AutorInnen in die Welt gesetzt haben. Das liegt an der Herangehensweise, der Auswahl der Beiträge, der liebvollen Aufmachung wie am Geleitwort von Tanja Kinkel (Gründerin der Kinderhilfsorganisation „Brot für Bücher e. V.“, der ein Euro pro verkauftes Exemplar zufließt), wie an den inspirierenden Anmoderationstexten zu jedem der 57 Kapitel. Schön ist, dass hier AnfängerInnen offenbar die gleiche Chance zuteil wurde wie Fortgeschrittenen und Routiniers.  Zu jedem Autor, jeder Autorin erfahren wir Einzelheiten, nicht ausufernd, aber orientierend.

Es ist wirklich ein Lesebuch, das es gut verträgt, wenn man nicht kontinuierlich vorgeht, sondern sich immer wieder mal einen „Happpen“ gönnt (keine Einsendung durfte länger als 9.000 Zeichen  sein). Die Originalität in jedem Beitrag überrascht wirklich! Freilich war zu erwarten, dass über Schreibblockaden, unzugängliche Lektoren und unglückliche Lesungen erzählt würde. Aber da ist auch die Treppe, die womöglich gar keine ist und mehr und mehr ins Rutschen gerät, weil – so der Verdacht – sie aus Manuskriptseiten besteht, nur notdüftig zusammengehalten durch einen Teppich, der bei Betreten der gewöhnlichen Statik gehorcht – ausser der Traum macht eine Ausnahme. Oder da ist der Schreibblock, der sich unter der Türe durchschiebt, sich dem Schreiber aufdrängt, obwohl der gerade den Kanal voll hat mit Bier und sein Autorsein in diesem Moment keineswegs im Vordergrund steht. Verspielt wird es auch, wenn der Schweinehund mit dem Musenfresserchen und anderen Zunichtsmachern eine rabenschwarze Sitzung abhält. Wir halten allen Abenteuern und Fantasien Stand, blättern nach dem nächsten Traum, der wiederum einen anderen Aspekt beschert, so dass das Unerwartete die Überhand kriegt, der Bann nicht endet, in den das Buch die LeserInnenseele zieht. Da kann eine Geschichte durchaus auch ein zweites Mal genossen werden, ohne dass der Spaß daran „aufgewärmt“ wirkt.

Alb- und Wunschträume sind hier in Kurzgeschichten, Gedichten, kleinen Dramen und Essays verpackt, oft blitzen auch Schnipsel der Realität durch. Feinsinnig und konsequent lektoriert. Ein Buch, das man gerne in die Hand nimmt, da es eine hohe Präsenz von ausnahmslos allen Beteiligten ausstrahlt. Diese Qualität bleibt über alle 334 Seiten hinweg ohne Schwankungen gegenwärtig, als sei diese Anthologie wirklich eine „Herzensangelegenheit“ der Verlegerin!

Petra Hartmann & Monika Fuchs. AutorenträumeEin Lesebuch. Verlag Monika Fuchs, 2013, 336 Seiten, Paperback, ISBN 978-3-940078-53-7, 16,90 €

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Aug 08 2013

Gut leben ist angesagt, Casati riskierte mehr

Autor: . Abgelegt unter Kultur,Literatur

Gut leben, besser leben, kein Burnout und einen guten Coach an der Hand – die Zeitungen sind voll von der Sehnsucht nach Balance, Konstruktivem, Nachhaltigem. Ganze Serien werden gestrickt, um Visionen oder gar Utopien in die Welt zu setzen, Vorbeugung und Vorsorge schmackhaft zu machen. Autorinnen und Autoren strengen sich mächtig an, um den Mut für das Zimmern zufriedenstellender Perspektiven anzukurbeln. Die Werte-Diskussion war wohl zu anstrengend auf die Dauer. Nun nehmen wir es auf der praktischen Ebene in die Hand, unser Leben nach dem auszurichten, was uns gut tut, glücklich macht und vorwärts bringt. Alles eher vernünftig als bahnbrechend.

Ein Leben, das in keinen Schuh und keine Schublade passt, hat Luisa Casati hinter sich gebracht (1881 – 1957) – eine Frau mit enormer Begabung zur Selbstinszenierung. Zu der stand sie, obwohl es für das meiste, womit sie sich präsentierte, keine Vorbilder oder Empfehlungen gab und obwohl sie sich oft „außerhalb“ der Norm stellte, aneckte, Kopfschütteln provozierte und teilweise heftige Kritik heraufbeschwor.

Bei Rowohlt erschien ein Roman über diese außergewöhnliche Frau, die natürlich ohne Reichtum nicht so exaltiert hätte leben können. Auch wenn man ihre Eskapaden nicht gut heißen oder gar unmöglich finden mag – der aufrechte Gang, den diese Frau praktizierte, unterscheidet sich doch würzig von dem Drang nach dem guten Schnitt, dem Triumph der kurzfristigen Erfolge und dem wohlgefälligen Streben nach einem besseren Leben. Näheres dazu unter > http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=18201

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Apr 08 2013

Schreiben über Verbrechen wider Vorurteile

Autor: . Abgelegt unter Kultur,Literatur

Verbrechen – das Geschehen vollzieht sich meist in einem kleinen Zeitschlitz, das Leben darum herum ist vielfältig wie bei anderen Zeitgenossen. Trotzdem hält sich das Vorurteil, Angeklagte müssten sich von den übrigen Menschen doch irgendwie unterscheiden.

Dass dem Staatsanwälte nicht nur in Ausnahmefällen widersprechen, könnte zur Verunsicherung unserer Trennlinien zwischen “Gut und Böse” beitragen. In der Literatur hat es aktuell wieder ein Autor geschafft, den “Abgrund als Zwilling des Alltäglichen” unverschnörkelt auf den Punkt zu bringen. Er heißt Ferdinand von Schirach und erzählt in seinen Stories „Carl Tohrbergs Weihnachten“ von logischen Entgleisungen.

Als Strafverteidiger ist er darin geübt, die mutmaßlichen Verfehlungen seiner Mandanten so nachvollziehbar zu machen, dass das Urteil darüber möglichst milde ausfällt. Erfreulich, wie er diese Erfahrung schriftstellerisch in gekonnten Minimalismus ummünzt, zu dem folgende Rezension verfasste:

>> Schicksalhafte Ungeheuerlichkeiten nehmen den Leser des Bändchens „Carl Tohrbergs Weihnachten“ gefangen. Jede Zeile verdichtet die Atmosphäre und strebt einem Resultat zu, das schlicht das Prädikat „passt“ verdient. Zwar erhofft man sich, dass Lebenswege sich an solchen Abgründen vorbeischlängeln, wie sie Ferdinand von Schirach in den drei Kurzgeschichten erzählt, doch man weiß von Anfang an, dass hier unausweichlich etwas aus den Fugen gerät. So ist man erschüttert und gleichzeitig auch eine Spur erleichtert, wenn …<<

Weiterlesen können Sie hier > www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=17731 – Ich wünsche viel Vergnügen samt Nachdenklichkeit bei der Lektüre!

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Mrz 15 2013

Über Schnipsel, Sexismus und einen TV-Hasser

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Kultur,Literatur

17 Jahre lang gab es im Netz einen Dienst für Historiker, der „der aktuelle Zeitungsartikel zu historischen Themen und die Debatten über die Geschichte versammelte“. Man konnte sich schnell informieren, welche Medien aktuell etwas zu welchem historischen Thema veröffentlichen. Ein kleiner Anreißer und dann ein Link, so dass man nach Belieben direkt die ausführliche Version des Autors anklicken konnte.

Der kleine Anreißer ist ein Textschnipsel und heißt Snippet. Stets ist darauf zu achten, dass er nicht zu lang geraten darf, weil man sonst unzulässig geistiges Eigentum klaut. Das soll mit dem Leistungsschutzrecht nun genauer geklärt werden, was dazu aber leider keine ausreichende Handhabe liefert. Also ist unklar, ab wann man sich strafbar macht mit einem Snippet. Und dieses Risiko wollte der Nachrichtendienst nicht eingehen. Deshalb stellt er nun keine Presseschau-Schnipsel – siehe http://www.nfhdata.de/ – mehr bereit.

Auch für jene Zeitungsseiten, auf die man weiterklicken konnte, bedeutet das einen Besucher-Rückgang, weshalb bei Schmalenstroer.net am 6.3.2013 von einer „klassischen Lose-Lose-Situation“ die Rede ist. Anlass genug, sich spätestens jetzt über das Leistungsschutzrecht zu informieren – zum Beispiel bei wikipedia >> http://url9.de/zbW

Neben dem Leistungsschutzrecht macht weiteres Thema nun seit etlichen Wochen Furore: der alltägliche Sexismus – insbesondere in der journalistischen Arbeitswelt. Hierzu fand ich hier einen lesenswerten Artikel http://url9.de/zbY.  Ich greife einen Aspekt heraus und verkürzte ihn auf die Formel: Wenn ich mich immer vorsehen muss, keinen Anlass für sexistische Gedanken zu liefern, macht das das Leben echt anstrengend.

Abgesehen von der vergeblichen Mühe (auch im züchtigen Nadelstreifen-Hosenanzug kann man die Gedanken des Gegenübers nicht lenken oder kontrollieren) ist geschlechtliche Neutralität weder herstellbar noch erstrebenswert. Und der Rat, dass man Impulse erst daraufhin überprüfen sollte, ob man sie für die eigene Tochter/Frau/Schwiegermutter als zumutbar empfindet (bevor man sie tatsächlich raus lässt), könnte wirklich Gedankenloses bzw. Anzüglichkeiten vermeiden helfen.

Buchtipp: Wer sich gerne am geistigen Eigentum von Joachim Geil erfreuen möchte, kann dies mit „Tischlers Auftritt“ tun. Der Roman reflektiert das Lebensgefühl der 1970er-Jahre. Meine Rezension „Eigenborstige“ Mitläufer-Erinnerungen beginnt so:

Ernst Ewald Tischler führt sich nicht als sympathischer Mensch ein. Doch der Pfälzer wächst dem Leser über die knapp 500 Seiten des Romans ans Herz, indem er als Ich-Erzähler die 1970er-Jahre und ihr Flair fantasiereich vergegenwärtigt. Die Suche nach der Logik seiner eigenen Lebensgeschichte säumt den Weg ins TV-Kochstudio zu „Tischlers Auftritt“, der titelgebend wird, da er den Protagonisten endlich über das Mitläufertum hinausheben soll, das ihm seit den 1968er-Jahren anhaftet. Das hat sich der Autor Joachim Geil fein ausgedacht. Weiterlesen >> http://url9.de/zca

PS.: Besonders gefallen wird das Buch jenen, die in mindestens einer Phase ihres Lebens das Fernsehen als Medium für schuldig am „allgemeinen Niedergang“ einstuften oder manche Programmteile immer noch „zum Kotzen“ finden.

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Feb 06 2013

Die Welt ist voller …

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Kultur

Die ganze Welt ist voller … Versuchen Sie mal, mit diesem Satz Ihre Mitmenschen zu ergründen. Wer ist wie drauf?

Und vor allem >> Wie sind Sie selbst drauf?

Das kann eine aufschlussreiche Langzeitstudie werden, die jeden Tag nur wenige Minuten beansprucht. Oder Sie nehmen sich die Frage immer mittwochs vor. Da ist die Woche halb aufgebraucht und drückt weniger schwer als am Montag. Wie es auch sei: das Vorhaben verlangt nach Kontinuität.

Die Welt ist voller … Schneeflocken. Da fällt etwas Leichtes vom Himmel. Federleicht und sanft. Friedlich eben, ohne Haken und Ösen.

… voller stinkender Autos. Das ist weniger erbaulich und stimmt sogar an einschlägigen Standorten. Aber eben nur begrenzt. Soll die Behauptung schlechte Laune zum Ausdruck bringen? Oder ein Ökobewusstsein unterstreichen, das sich in Übertreibungen Luft macht?

… voller Brillenträger. Wer das sagt, hat es satt, immer die Augen zusammenzukneifen und ist auf dem Weg zum Optiker. Oder wird “Brillenschlange” genannt und kontert ohne richtigen Biss. > Was ist Ihre Idee dazu?

>> Stimmungen ausdrücken. Probieren Sie mit solchen Lockerungsübungen Ihre Assoziationstiefe aus!

Das kommt Ihrem Schreibstil zugute!

 

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Dez 14 2012

215,76 € pro Haushalt für ARD/ZDF bei billig produziertem Koch- & Talk-Überhang

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag,Kultur

Rundfunkgebühren heißen ab 1.1.2013 Haushaltsabgabe. Ich gebe zu, ich bin bei dem Thema nicht ganz unbefangen, da ich zur 2. Auflage „ARD / ZDF und UNSER Geld“ das Vorwort schrieb. Das Thema liegt mir am Herzen, weil die Unzufriedenheit mit unserem Rundfunksystem wächst. Es zählt zwar insgesamt zu den besseren auf dieser Welt, hat aber eben auch seine Schattenseiten, die offenbar niemand so recht aufs Korn nehmen und schon gar nicht antasten will. Deshalb finde ich gut, dass Wolfgang Schwab hinterfragt, ob die „Zwangsabgabe“ gerecht ist.

Der Autor ist ehemaliger Rundfunkgebührenbeauftragter und hat einen unbestechlichen Gerechtigkeitssinn. Seit ich ihm 1997 erstmals begegnete, hat mich das Thema nicht mehr losgelassen, unter anderem weil

– sich Jüngere sehr gerne den privaten TV-Sendern zuwenden und sich damit als Zielgruppe (für Werbung und journalistisch-solide Nachrichten) verdünnisieren

– die Staatsferne der öffentlich-rechtlichen Sender gewissenhafter Überwachung bedarf, damit das in sie gesetzte Vertrauen nicht getrübt wird

– sich die Zahlungswilligen oft nicht wiederfinden in den unzähligen Koch- und Talkshows sowie zahlreichen Wiederholungen und dennoch keinen Einfluss auf die Programmgestaltung ausüben können.

Mit der 1. Auflage gab Wolfgang Schwab bereits Anstöße, die Änderungen nach sich zogen. Schon damals (ich stand ihm bei Recherchen und mit meiner Feder zur Seite) ärgerten mich zwei Haltungen:

a)      “Wegen der paar Kröten regt sich in Deutschland doch niemand auf!”* Zahlreich sind jene, die zähneknirschend ihren Obolus entrichteten, aber ansonsten mit Demokratie und Medien in Ruhe gelassen werden wollen und somit die Brisanz des Themas ignorieren.

b)      Mangelnde Bereitschaft zur Transparenz bei Machern bzw. Verantwortlichen. Erst Jahre später durften wir die Höhe von Intendantengehältern erfahren, obwohl wir die ja finanzieren (während die Besoldung von Kanzler, Minister etc. seit jeher nachgeschlagen werden kann). Doch wie hoch sind die Aufwandsentschädigungen für die zahlreichen Rundfunk- und Fernsehräte? Und in welcher Weise vertreten sie die Interessen der Nutzer? Dazu sind sie nämlich von gesellschaftlich relevanten Gruppierungen in diese Gremien entsandt. Abgesehen davon, dass längst neu definiert werden müsste, was heutzutage als „gesellschaftlich relevant“ einzustufen ist, bleibt der Öffentlichkeit verborgen, was in diesen Gremien beraten und beschlossen wird.

In diesem Thema steckt noch viel, das der gründlichen Aufarbeitung bedarf. Doch zunächst geht Schwabs zweite erweiterte Auflage auf die Haushaltabgabe ein, die ab 1.1.2013 jeden trifft. Ist sie gerecht oder ungerecht? Wo sind Nachbesserungen geboten? Wo muss dem gesamten gebührenfinanzierten System konsequenter auf die Finger geschaut werden? Was sind seine Kernaufgaben?

Mehr Einnahmen als mit der seitherigen Regelung sind prognostiziert, ein weiterer Verlust an Kreativität, Vielfalt und Qualität des Programms ebenfalls. Das kann sich nur ändern, wenn eine Lobby gut informierter basisnaher Mediennutzer an Boden und Einfluss gewinnt. Das Buch – es enthält übrigens auch den Gesetzestext – könnte dazu beitragen.

Wolfgang Schwab / Dirk A. Leibfried. ARD / ZDF und UNSER Geld. Zweite erweiterte Auflage. edition winterwork, 12,95 €, ISBN 978-3-86468-257-5 (Gegen Rechnung direkt bestellbar bei WWoschwa@aol.com)
 
*… regt sich niemand” ist stimmiger, denn aufregen tun sich viele (wie über Benzin- oder Gaspreise), aber Konsequenzen ziehen – sprich handeln – ist unbequem und deshalb kein allseits eingefleischtes Handlungsmuster.
 

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Dez 02 2012

Grenzen? Grenzen!

Autor: . Abgelegt unter Alltag,Kultur,Sonstiges

Wenn es mal an der Zeit ist, auf den Beginn des 21. Jahrhunderts zurück zu blicken, könnte evtl. diese Episode mit vorweihnachtlichem Glanz in eine Sammlung aufgenommen werden:

Als sich alle Welt vernetzte und damit die entferntesten Regionen virtuell einander näher rückten, spielte Facebook eine Schlüsselrolle zwischen zwei Menschen. Über diese Internet-Plattform konnte man Schulfreunde wiederfinden, sich über Interessen und Hobbys austauschen oder aber flirten. Hier tummelte sich ein junger Mann, der eigentlich nicht mehr richtig daran glaubte, nach allerlei Enttäuschungen sein Herz noch einmal verschenken zu können. Doch zu seiner großen Überraschung erwischte es ihn im Sommer 2012 mit der Freundin seiner Chat-Partnerin. Nach einem ersten Kennenlernen wollte er sie bald heiraten und ihre kleine Tochter adoptieren. Danach sollen beide von Georgien nach Deutschland übersiedeln. „Der jetzt eingeschlagene Weg wird steinig und hart, aber die Liebe kann alles erreichen“, sagte der Mann mit Schmetterlingen im Bauch und freute sich, dass der Weg frei war für ein gemeinsames Weihnachten dank des Visums, das seine Angebetete erhielt.

So schlug die Liebe zwischen Europa und Asien eine Brücke …

Dr. med. Unbekannt

Obwohl man sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts also grenzenlos verlieben kann, markiert die die Bürokratie mancherorts immer noch krasse Grenzen. Die Beispiel-Geschichte geht so: Kommt eine Patientin in die Notfall-Praxis des Esslinger Krankenhauses. Es ist Samstag, ihr kann schnell geholfen werden, doch an der Rezeption stockt „ihr Fall“. Wer sollte den Notfall-Vertretungsschein bekommen? „Ah, Ihr Hausarzt ist gar nicht im Kreis Esslingen niedergelassen? Dann nimmt unser Computer seinen Namen nicht an. Deshalb müssen Sie ihm den Schein selbst vorbeibringen …“ Seltsames Gefühl, dass dein PC-Programm so enge Grenzen akzeptiert. Aber wie sagt nicht ein altes Sprichwort: „Wie der Herr, so dass G’scherr“? Jedenfalls stand auf dem Schein unter „weiterbehandelnder Arzt“ > Dr. med. Unbekannt.

Stones for ever

Grenzwertig sind sicherlich 500 Euro Eintrittsgeld für ein Konzert, dessen Karten dann trotzdem in sieben (7 !!!) Minuten ausverkauft sind. Geschehen in London, als die Rolling Stones ihr 50-jährige Jubiläum mit finanziell gut gestellten bzw. zahlungswilligen Fans feierten. “Es ist erstaunlich, dass wir das noch immer machen, und es ist erstaunlich, dass ihr immer noch unsere Platten kauft und zu unseren Shows kommt”, zititert die WELT Mick Jagger, der sich für die Treue seines Publikum bedankte. Er ist jetzt 69 Jahre alt, und Kollegen in der Rock-Welt sind laut den Zeitungsbericht gespannt, wann er sich mit seinen Jungs, die ja auch nicht jünger werden, in „ruhigere Gewässer“ zurückzieht.

Quelle: 26.11.2012 > www.welt.de/aktuell/article111497776/Die-Rolling-Stones-sind-immer-noch-da.html

Aber „Satisfaction“ kann man doch nie genug haben, oder?

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