Archiv für die Kategorie 'Allgemein/Politik'

Nov 23 2009

Niggemeier erinnert an Werther-Effekt

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag,Literatur

Das Ulmer Münster ist ein imposanter Bau. Leider verleitet der Turm Lebensmüde immer wieder zum tödlichen Sprung. Ob dies der Öffentlichkeit zu berichten sei, war in der Südwestpresse entschieden, bevor ich dort während meiner Ausbildung zur Redakteurin drei Ressorts der Mantelredaktion durchlief: NEIN, man wolle keine Nachahmer auf den Plan rufen.

Das Abwägen zwischen Informationspflicht und Verantwortung des Risikos, mit dem Verbreiten von bestimmten Nachrichten verbunden ist, war ein wichtiger Diskurs in meiner Ausbildung und auch bei vielen Gelegenheiten danach. An die daran geknüpften ethischen Fragen erinnert Kollege Stefan Niggemeier am 16.11.2009 in seinem Blog: http://www.stefan-niggemeier.de/blog/ueber-enke-und-werther/ Die Beschäftigung der Medien mit dem Selbstmord des Nationaltorwarts Enke gab Anlass zu diesen Ausführungen, die ich jeder und jedem empfehle.

Das Thema ist freilich nicht journalismusspezifisch, denn schon in der Schule nahmen wir Goethes Werther durch und erstaunt zur Kenntnis, dass sich damals nach der Lektüre viele junge Menschen umbrachten. Seither hat sich das Stichwort „Werther-Effekt“ eingebürgert.

Andererseits gibt es aber – dem Himmel sei Dank! – auch Phänomene, von denen man sagen kann, dass da jemand „mit gutem Beispiel vorangegangen“ ist: 1) Niggemeier selbst zählt zu den positiven Erscheinungen im Medienjournalismus, der sich zuverlässig-kritisch zu Wort meldet. Und obwohl er nicht unumstritten ist, verlieh ihm 2) der Südwestrundfunk (SWR) in Stuttgart am 18.11.2009 den Hans-Bausch-Media-Preis.

Bleibt nur noch, dem Qualitätsjournalismus unermüdlichen Aufwind zu wünschen und darüber hinaus zu appellieren, dass Querdenkern in dieser Medienlandschaft immer angemessen Platz an prominenter Stelle eingeräumt wird! “Mit gutem Beispiel vorangegangen” erfährt in diesem Blog in loser Folge Fortsetzungen und ist als Rubrik in den gedruckten und gesendeten Magazinen dieser Rupublik sicherlich ein so aufmerksamkeitsziehendes Element wie Leserbriefe oder Karikaturen!

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Nov 17 2009

Schwäche und Fehlbarkeit zulassen!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag

Bewegende Trauerfeier im Fußballstadion, viele Tränen zum Abschied von Nationaltorwart Robert Enke am Volkstrauertag. Dazu meinte eine Passantin in ein Radio-Mikrofon (SWR): “Da sind die Menschen so, wie sie sein sollten!” Das spricht Bände!

Endlich war es legitim, den Gefühlen freien Lauf zu lassen, Schulterschluss zu üben, das Maskenspiel in unserer Gesellschaft für einige Stunden auszusetzen. Viele weinten nicht zuletzt um ihre eigene Verletzlichkeit und dass diese im Alltag keinen angemessenen Platz beanspruchen darf. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff erreichte die Herzen mit dem Gegenentwurf: „Wir brauchen keine fehlerfreien Roboter, wir brauchen Menschen mit Ecken und Kanten.“

Mobbing-Opfer wüssten darauf einiges zu erwidern. Aber wenn die Trauerreden eine Wende zu mehr Menschlichkeit einleiten – dann trage ihre Substanz bitte mindestens durch das nächste Jahr, das ein sehr schwieriges werden dürfte (Entlassungen, Kaufkraftschwund etc.). In Hannover konnte letzten Sonntag das Erlebnis der anderen Stimmungsqualität schon greifen: „… es ist auch warm geworden, weil die Stadt ganz eng zusammengerückt ist“ (Oberbürgermeister Stephan Weil).

Den Umgang mit Schwäche diskutieren wir schon lange – es ist überfällig, Ängste und Labilitäten bei jederfrau und jedermann zu akzeptieren und zu integrieren. Dann sind sie auch nicht länger ein Störfaktor. Der Traum von der Unverwundbarkeit sollte den Legenden vorbehalten bleiben. Blindes Erfolgsstreben ist keine Kunst! Mehrdimensionalität trägt zu entschieden größerer Reife und – trotz Zweifeln, Schwachpunkten, Rückschlägen usw. – zu mehr Lebensfreude bei. Weise Alte haben das in allen Gesellschaften immer wieder bestätigt.

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Nov 12 2009

Depression so schwer wie Krebserkrankung

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

2001 sorgte ein Buch für Furore: Mit “Saturns Schatten. Die dunklen Welten der Depression” (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main) belegte Andrew Solomon Wesen und Untiefen von Depressionen. Nach eigenen Nervenzusammenbrüchen und Selbstmordversuchen sei er – so oft zu lesen in lobenden Rezensionen – ein „Reisender in Sachen Depressionen“ geworden, interviewte Betroffene (sogar in Grönland und Afrika), lieferte vielfältige kulturspezifische und sozialpsychologische Analysen und diskutierte die therapeutische Praxis. Bei ihm erfuhr ich erstmals, dass eine Depression in der Belastung und Konsequenz der Schwere einer Krebserkrankung in nichts nachstehe.

Zu dem Zeitpunkt hatte die Krankheit in Europa bereits einen prominenten Vertreter: Von Claus von Amsberg, Prinzgemahl von Königin Beatrix der Niederlande, war bekannt, dass er unter Depressionen litt. Und das, obwohl er zum beliebtesten Mitglied der Königsfamilie avanciert war.

Damals schöpfte ich Hoffnung, dass sich Vorurteile gegenüber depressiven Menschen (von „gaga“ bis „unberechenbar/gefährlich“ usw.) langsam aufzulösen begännen. Wie oft hatte ich Menschen von schlimmen Mobbing-Prozessen berichten hören, die nicht aufgegeben hatten, sondern alle Kräfte mobilisierten, um die Stirn zu bieten und ihren seelischen Qualen nicht die Oberhand zu lassen, die tiefen „Durchhänger“ in der hintersten Schublade verschließend.

Immer noch war tabu, sich von „Seelenklempnern“ Hilfe zu holen. Wer es dennoch tat, schlug den Kragen hoch, um beim Betreten des Hauses mit dem entsprechenden Praxisschild nicht erkannt zu werden. „Ich gehe zur Krankengymnastik und Rückenmassage“ ist salonfähig, aber nicht: „Heute muss ich pünktlich Feierabend machen, weil ich eine Sitzung bei meinem Psychotherapeuten/Psychiater habe.“ Wer nach längerem Klinik-Aufenthalt ohne physische Diagnose einen beruflichen Neustart anstrebt(e), musste und muss eine gute Legende erfinden, um „unverdächtig“ im Kreis der Bewerber aufgenommen zu werden.

Bücher über Depressionen sind genug geschrieben worden. Von Fachleuten wie von Betroffenen. Sogar Sportler haben sich schon geoutet – wie Fußballer Sebastian Deisler (Biografische Aufarbeitung „Zurück ins Leben“). Dennoch: Die Reaktionen nach dem tragischen Tod von Torwart Robert Enke verraten, dass offenbar alle zu täuschen gewesen sind.

Daraus ergeben sich mehrere Fragen: Ist so eine “Täuschung” etwa höchst willkommen, um nicht mit der eigenen Hilflosigkeit gegenüber einem an Depression erkrankten Menschen oder psychischer Verletzlichkeit schlechthin konfrontiert zu sein? Wie stumpf sind die Antennen für Labilität, Niedergeschlagenheit, Aufgesetztem? Wie unerbittlich muss man in unserem Land mithalten können, Normen (über-)erfüllen, dem Bild des Starken und Unerschütterlichen entsprechen?

Jetzt dürfen selbst die markantesten Typen weinen – sogar auf Pressekonferenzen vor laufenden Kameras.

Doppelte, ja sogar dreifache Sensibilität muss der Kranke aufbringen: einerseits muss er mit seiner Depression so balancieren, dass sie ihn nicht in eine Katastrophe führt, andererseits muss er umgehen lernen mit dem Diktat der Leistungsnorm („keine Schwäche zeigen, nicht auffallen“) und obendrein vermeiden, dass seine Traurigkeit die Abschottungen der Nahestehenden durchdringt, um ihre Ängste vorm Aus-dem-Tritt-kommen nicht zu wecken. Eine schwere und fatale Anstrengung! Warum wird das Schwere nicht den vermeintlich Gesunden aufgebürdet? Warum muss der Schwache mehr leisten als sie?

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Okt 15 2009

Schwarze Hautfarbe ist gefährlich

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Nächste Woche kommt der Film in die Kinos „Günter Wallraff: Schwarz auf weiß. Eine Reise durch Deutschland“. Der Journalist hatte sich als Somalier schminken lassen und allerlei Fremdenfeindlichkeit und Rassismus am eigenen Leib erfahren. Gestern erzählte er davon am Stand der „ZEIT“ auf der Frankfurter Buchmesse.

Unter anderem wollte Wallraff eine Wohnung in Köln mieten. Eine Vermieterin benahm sich artig, zeigte ihm die Räume. Die anschließenden Miet-Interessenten stammten aus dem Filmteam und verwickelten die Dame in ein Gespräch über den Schwarzen, der sich soeben verabschiedet hatte. Schnell wurde klar, dass die Wohnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe nicht zu haben ist. Dabei half es auch nichts, dass die Vermieterin das Aussehen mit jenem von Seal, dem prominenten Sänger und Publikumsliebling (Ehemann des Models Heidi Klum), in Verbindung brachte – die Farbe rief unwiderrufliches Entsetzen bei ihr hervor. Später stimmte sie sogar zu, dass ihre heimlich gedrehten Aussagen im Film veröffentlicht werden dürfen. Offenbar fühlt(e) sie sich in ihrer Haltung so sicher, dass sie keine Kritik fürchtete bzw. vermutlich mit zustimmenden Kommentaren von Gleichgesinnten rechnete.

Das löste in mir eine Rückblende aus: 1971 hatte ich mir als Schülerin für einen Aufsatzwettbewerb voller Enthusiasmus für eine Welt ohne Grenzen und Ausgrenzungen eine Umfrage zu Ressentiments gegenüber Ausländern ausgedacht und die Ergebnisse dargelegt. Ein Frage lautete: Würden Sie einem Farbigen ein Zimmer vermieten? (Im gleichen Jahr brachte Klaus Staeck das Plakat mit der Zeichnung von Albrechts Dürers Mutter heraus – provokante Frage: Würden sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?) Ich kann mich noch an heiße Debatten erinnern, die letztlich in der Frage an meine Eltern gipfelte, ob sie mich verstoßen würden, wenn ich einen Mann mit anderer Hautfarbe heiraten würde.

Ich musste mich noch nirgendwo wegen meines Weiß-Seins „bewähren“, bin aber froh und dankbar, wenn ich im Ausland aufgrund von Formfehlern, zu geringen Sprachkenntnissen oder sonstiger „Andersartigkeit“ nicht schief angesehen oder gar angegriffen werde. Von der Aktion Sühnezeichen besitze ich seit Jahren den Aufkleber „Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall.“ Beklommen frage ich, ob all die Jahre des Einstehens für Toleranz wirkungslos waren.

Wallraffs Arbeit wünsche ich, dass sie Lust entfache am Genau-Hinsehen und Kritisch-Nachfragen. Deutschland wünsche ich, dass nachwachsende Journalisten das gewissenhafte „Wallraffen“ erlernen und somit Blicke auf die Republik aus vielerlei Perspektiven ermöglichen.

Praktische Übung auf der Heimreise: Vorurteilssuche im eigenen Hirn auf dem Bahnsteig half Distanz üben gegenüber den Unwägbarkeiten, vor denen man nie sicher sein kann > Welcher der Umstehenden würden mich ohne Bedenken umrempeln, wer Andersfarbige herabwürdigen, wer entschlossen Schwächere bei Gefahr in Schutz nehmen?

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Okt 12 2009

Der Preis stärke den Spirit und fördere die Aufgeschlossenheit!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Der Literaturnobelpreis für Herta Müller wurde allseits beifällig aufgenommen, der Friedensnobelpreis für Präsident Obama nicht. Zu jenen, die sich darüber freuen, dass sein Mut belohnt wird, gehöre auch ich. Trotzdem bin ich zurückhaltend in meiner Freude, denn ich weiß nicht, wer noch auf der Liste der der Nominierten stand, der oder die diese Rückenstärkung bzw. Anerkennung seiner/ihrer Bemühungen auch hätte gut oder gar noch besser brauchen können.

Wenn es aber nun schon mal so ist, dass hier dem Spirit Rückenwind gegeben werden soll, dann erübrigt sich die Frage nach Leistung und Erfolg. Erst braucht man Visionen, dann Worte dafür, die Aufgeschlossenheit zu erzeugen verstehen. Anschließend kann man sich ans Werk machen. Denn ohne die Aufgeschlossenheit von Freund und Feind erreicht man gar nichts. Ja, auch der politisch Andersdenkende, der Machtgegner muss die Stärke der Vision spüren und erkennen, dass an ihr keiner vorbei kommt!

Leider gibt es aber auch viele Miesepeter, die mit dem Zeigefinger wackeln, weil auch die schönsten Bäume nicht in den Himmel wachsen und Sonntagsreden doch schnell vom Winde verweht werden. Die Demonstranten von Mutlangen wurden mit ihren Friedensgesängen auch einst belächelt, während an meinem Fenster vorbei – ich wohnte ein Dorf weiter – die Raketen auf den Lkws in den nahen Wald gekarrt wurden. Natürlich nur zu Übungs- und Abschreckungszwecken. Wie hat sich doch das Klima seither gewandelt! Dazu fallen mir mehrere Nobelpreisträger ein, die daran mitgewirkt haben …

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Sep 08 2009

Schlemmer & Schlämmer

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Kultur

Es gab schon mal einen Schlemmer: in Billy Wilders rasanter Komödie „Eins, zwei, drei“. Sie erreichte kurz nach dem Mauerbau die Kinos. Ost und West – beide Systeme bekamen ihr Fett ab. Das Publikum erkor das Meisterstück erst später zum Kultfilm, als die Trauer über den antikapitalistischen Schutzwall incl. Schießbefehl sich abkühlte und das Aufbegehren gegen die Teilung sich in eine unbestimmbare Länge zog.

Schlemmer war damals ein Zeitgenosse der „alten Schule“, der die Hacken zusammen schlug, wenn sein Chef ihm etwas zubellte. Er bellte ihm auch zu, dass er diese Zuchtbezeugungen unterlassen solle – vergebens. Schlemmer blieb ein zackiger Untertan. Nicht ohne Selbstbewusstsein, zuverlässig unverbesserlich. Eine Nebenfigur, die man sich leicht merken konnte. Es war klar, welche Epoche hier auf die Schippe genommen werden sollte.

Nun zieht ein neuer Schlämmer – diesmal mit „ä“ – das Publikum in seinen Bann. Horst Schlämmer ist eine Kunstfigur von Hape Kerkeling, der u. a. als Moderator, Komiker und Schauspieler zu den „Angesagten“ in der Medien-Szene gehört. Mit „Isch kandidiere“ bugsiert Kerkeling seine Kunstfigur kurz vor der Bundestagswahl ins Rampenlicht. Es heißt, die Bundesbürger können mit Schlämmer aus Grevenbroich mehr anfangen als mit anderen – realen – Bewerbern, die in der Politik um Sympathien und Glaubwürdigkeit ringen.

Freilich ist der Film über Horst Schlämmer und seine Partei halb so hinreißend wie einst Billy Wilders Komödie. Es bleibt jedoch bemerkenswert, wodurch er „glänzt“. Der Zeitgeist der Unschärfe wird hier gekonnt verkörpert. Das allseits beliebte Durcheinander (Hauptsache „action“) bedarf keiner Verbindlichkeit, Alleinstellungsmerkmale gehen bis auf einzelne Äußerlichkeiten im Gesuppe unter. Es gibt wunderbare Szenen, die die Beliebigkeit bestens treffen. Die Vorliebe für Mittelmaß oder weniger hätte nicht besser unterstrichen werden können. Das war wohl die Absicht und das ist gelungen. Dank eines sehr professionellen Hape Kerkeling, der in mehrere Rollen schlüpft und es auch verstand, viel Prominenz mit ins Boot zu ziehen – angefangen bei Jürgen Rüttgers (derzeit Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen) bis zu Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher. Auch die Frauen kommen in ihren Rollen gut weg – um einen weiteren Pluspunkt nennen.

„Schlämmer hätt’s nicht kommen können“ – wie köstlich doch die Einigkeit in diesem Empfinden, das eigentlich die Bundespolitik und ihr Wahlkampfgebaren meint und nicht die Handlung in „Isch kandidiere“! Dabei kommt rüber, dass die realen Politgrößen die sinnentleerten Rituale weder schätzen, noch aufzulösen verstehen. Alle sitzen im gleichen Boot, nur einer will es anders machen – Horst Schlämmer eben. Aber auch ihm verschwimmen die neuen Ufer, bevor er sie erreicht.

Schlemmer und Schlämmer – zwei Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jener schlaksige Kerl, der bei Billy Wilder Gehorsam bis in den letzten Blutsropfen symbolisiert, war ein Typ, an dem man sich hätte abarbeiten können, wenn man in tatsächliche Gegnerschaft zu ihm getreten wäre. In der Folge solcher Typen erlebten die sogenannten „68er“ ihre unvergessliche Blüte. An Schlämmer kann man sich nicht reiben. Er ist zwar kein Tollpatsch, bei dem man alles entschuldigen möchte, aber er schafft es auch nicht in wirklich die „Pfui-Ecke“, die unweigerlich Schaum vorm Mund oder Blitze in den Augen seiner Kritiker bzw. Widersacher hervorrufen würde.

Hape Kerkeling stellt ein System in Frage – Billy Wilder zwei Systeme (noch dazu an einer ihrer empfindlichsten Nahtstellen). 1961 stand die Zeit auf Polarisierung. Im Gegensatz dazu sehen sich 2009 Künstler eher einem ärgerlichen Wischiwaschi gegenüber, dass irgendwie ausgehebelt gehört. Die Angriffe darauf mögen hoffentlich ins Bewusstsein tröpfeln, scheinen für den Moment aber trotz hoher Perfektion erst mal seltsam harmlos, ja fast zahnlos und von liebenswürdiger Toleranz durchzogen. „Leben und leben lassen“ als Motto – auch wenn es sich selbst bis zu einem gewissen Punkt konterkariert – taugt als beißende Grundlage für eine Kritik an den Ärgernissen des politischen Jonglierens wenig. Die Langzeitwirkung bleibt abzuwarten.

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Aug 10 2009

Harmlose Schlager auf dem Index

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag,Kultur

Suchen – wer kennt das nicht – kann ganz schön nerven. Es war mir jedenfalls nicht vergönnt, eine Liste all dessen zu finden, was schon mal auf dem Index des Bayerischen Rundfunks gestanden hat. Vom „Scheibenwischer“ (Einzelsendungen) ist es mir aus meiner Jugendzeit bekannt. Aber dass auch der Bossa Nova …

Was ist eigentlich ein Bossa Nova? Ein dunkelhaariger gut aussehender Mann, besungen von Manuela (1948 – 2001), die damit 1963 quasi übernacht als Schlagerstar bekannt wurde? Nein, es ist ein Tanz, der jungen Mädchen einst gefährlich werden konnte. Diese Gefahr wurde diskret in der Liedzeile ausgedrückt: „Doch am nächsten Tag fragte die Mama: ‚Kind, warum warst du erst heut’ morgen da?‘“

Tja, wie leicht hätte das in Bayern auf dem Tanzboden zur Nachahmung animieren können! Deshalb durfte das Lied im BR nicht mehr auf den Plattenteller. Wie gut, dass man dank der Wiederholung eines Manuela-Porträts im NDR heute daran erinnert wird, wie fürsorglich man damals Gefährdendes in der Schublade verschwinden ließ.

Drafi Deutscher (1946 – 2006) erging es 1965 mit seinem Hit „Marmor, Stein und Eisen bricht“ nicht besser als Manuela. Doch der Grund war hier ein anderer: Sprachsensible wollten keine falsche Grammatik verbreiten. Denn es waren mehrere Gegenstände, die als bruchsicher besungen wurden. Und da hätte es „Marmor, Stein und Eisen brechen“ heißen müssen.

Solchermaßen Standpunkt zeigen, sensibel reagieren – heute ist das längst aus der Mode, wird belächelt.

Um so herziger wirkt ein Ausrutscher wie dieser Satz: Wer hat sich so was ausdenkt? Das fragte sich am Samstag Katja Bauer in der Stuttgarter Zeitung angesichts der Kanzler-U-Bahn. Der Satz stand da ganz ohne Anführungszeichen und wirkte wie ein Seufzer aus tiefster Seele. Der Autorin war diese (mutmaßlich schwäbische) Redewendung entwischt, was sicher Kritiker auf dem Plan ruft. In ihr pulsierte aber noch das Herzblut, das die tragische Geldverschwendung für den U-Bahnstummel hervorquellen ließ. In korrekter Sprache hätte man dies nie und nimmer so brühwarm transportieren können!

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Aug 09 2009

Sensibel – bist du es oder wirst du es?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag

„Du bist Deutschland“ – diese Kampagne fiel mir gestern spontan in einem großen Warenhaus ein. Ich musste mit meinem Einkaufswagen stehen bleiben, denn ein Pärchen beriet sich vor den Drucker-Patronen, welche denn daheim passen würde. Die Frau war nicht das Problem, der Mann war in die Hocke gegangen und blockierte damit mein Durchkommen mit dem Einkaufswagen.

Ich überlegte, ob ich zurück rangieren und die nächste freie Bahn nehmen sollte. Aber mich begann zu interessieren, wie lange es wohl dauern würde, bis der Mann merkte, dass er ein Hindernis darstellte. Er hätte nur einen Schritt vorwärts zu hoppeln brauchen. Aber mit Abstand betrachtet sich die Patronen-Auswahl natürlich besser.

Er merkte seine Rolle nicht. Er erhob sich erst, als er fertig war mit der Betrachtung des Warenangebots. Sein Blick fiel auch dann keine Sekunde auf mich. Mein höfliches stilles Warten drang zu seinem Bewusstsein gar nicht vor.

Darum die Erinnerung an die Kampagne. Man könnte eine neue starten: „Du bist sensibel“. Mit entsprechendem Aufwand könnte man verdeutlichen, was damit gemeint ist. Sensibel nicht nur, wenn es um die eigenen Pfründe geht. Sondern sensibel für das Miteinander, das Gemeinwohl.

Denn der kauernde Mann ist nur symptomatisch dafür, wie sehr sich viele abgeschottet haben und nicht mehr wahrnehmen, was um sie herum vor sich geht. Folglich haben sie auch keine Bringschuld dem Miteinander gegenüber. Das mit „Reizüberflutung“ zu entschuldigen, ist ungeheuer praktisch. Aber man müsste dies ja nicht auf sich beruhen lassen, wenn es einen Sponsor für die Sensibel-Kampagne geben würde.

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Jun 28 2009

Treffend skizziert

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag,Kultur

Kennt den noch jemand

Kennt den noch jemand?

Die East-Side Galery in Berlin wird restauriert. Hier sind Kunstwerke verblasst, die einst die Annäherunge zwischen Ost und West feierten. Es gibt Jüngere, die keinen blassen Schimmer mehr haben, dass es eine DDR gab bzw. die drei Buchstaben für ein Kürzel halten, hinter dem sich eine angesagte Band oder eine “In”-Curry-Wurst verbirgt. Aber der Mann war echt! Wie das System, dessen Schlusslicht er verkörperte. Er machte nicht das Licht aus, denn er war nicht der Letzte. Aber das Abdanken seiner Majestät ist hier gut auf die Schippe genommen! Wer den antikapitalistischen Schutzwall vor 1989 nachts am gespenstigen Potsdamer Platz einen Besuch abstattete, wird den dramatischen Blick über den Todesstreifen nie vergessen …

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Jun 09 2009

Hohles entlarven

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

Bölls Originalstimme. Die CD mit seinen Satiren ist etwas Besonders. Erinnerungen an eine Zeit steigen hoch, in der viel um den heißen Brei herum geredet wurde. Deshalb Satire. Sie nimmt das aufs Korn. Das beredte Schweigen. Die Abfälschungsmanöver.

“Eine gute Zeitung erkennt man daran, was sie weg lässt”, hörte ich in meiner Ausbildung. Das prägt meine Medienrezeption bis heute. Ich bin nicht mehr so streng wie früher. Aber wenn ich mir “Dr. Murkes gesammeltes Schweigen” vergegenwärtige, wünsche ich mir die Strenge von früher zurück. Hohles gehört als “Hohles” entlarvt.

Heinrich Böll saß in Mutlangen vorm Raketendepot. Die Fotos von der Promi-Blockade gingen um die Welt. Es war eindeutig: Hier steh ich, ich kann nicht anders. Solche Unbeirrbarkeit ist selten geworden. Das macht nachdenklich.

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