Nov 12 2009

Depression so schwer wie Krebserkrankung

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

2001 sorgte ein Buch für Furore: Mit “Saturns Schatten. Die dunklen Welten der Depression” (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main) belegte Andrew Solomon Wesen und Untiefen von Depressionen. Nach eigenen Nervenzusammenbrüchen und Selbstmordversuchen sei er – so oft zu lesen in lobenden Rezensionen – ein „Reisender in Sachen Depressionen“ geworden, interviewte Betroffene (sogar in Grönland und Afrika), lieferte vielfältige kulturspezifische und sozialpsychologische Analysen und diskutierte die therapeutische Praxis. Bei ihm erfuhr ich erstmals, dass eine Depression in der Belastung und Konsequenz der Schwere einer Krebserkrankung in nichts nachstehe.

Zu dem Zeitpunkt hatte die Krankheit in Europa bereits einen prominenten Vertreter: Von Claus von Amsberg, Prinzgemahl von Königin Beatrix der Niederlande, war bekannt, dass er unter Depressionen litt. Und das, obwohl er zum beliebtesten Mitglied der Königsfamilie avanciert war.

Damals schöpfte ich Hoffnung, dass sich Vorurteile gegenüber depressiven Menschen (von „gaga“ bis „unberechenbar/gefährlich“ usw.) langsam aufzulösen begännen. Wie oft hatte ich Menschen von schlimmen Mobbing-Prozessen berichten hören, die nicht aufgegeben hatten, sondern alle Kräfte mobilisierten, um die Stirn zu bieten und ihren seelischen Qualen nicht die Oberhand zu lassen, die tiefen „Durchhänger“ in der hintersten Schublade verschließend.

Immer noch war tabu, sich von „Seelenklempnern“ Hilfe zu holen. Wer es dennoch tat, schlug den Kragen hoch, um beim Betreten des Hauses mit dem entsprechenden Praxisschild nicht erkannt zu werden. „Ich gehe zur Krankengymnastik und Rückenmassage“ ist salonfähig, aber nicht: „Heute muss ich pünktlich Feierabend machen, weil ich eine Sitzung bei meinem Psychotherapeuten/Psychiater habe.“ Wer nach längerem Klinik-Aufenthalt ohne physische Diagnose einen beruflichen Neustart anstrebt(e), musste und muss eine gute Legende erfinden, um „unverdächtig“ im Kreis der Bewerber aufgenommen zu werden.

Bücher über Depressionen sind genug geschrieben worden. Von Fachleuten wie von Betroffenen. Sogar Sportler haben sich schon geoutet – wie Fußballer Sebastian Deisler (Biografische Aufarbeitung „Zurück ins Leben“). Dennoch: Die Reaktionen nach dem tragischen Tod von Torwart Robert Enke verraten, dass offenbar alle zu täuschen gewesen sind.

Daraus ergeben sich mehrere Fragen: Ist so eine “Täuschung” etwa höchst willkommen, um nicht mit der eigenen Hilflosigkeit gegenüber einem an Depression erkrankten Menschen oder psychischer Verletzlichkeit schlechthin konfrontiert zu sein? Wie stumpf sind die Antennen für Labilität, Niedergeschlagenheit, Aufgesetztem? Wie unerbittlich muss man in unserem Land mithalten können, Normen (über-)erfüllen, dem Bild des Starken und Unerschütterlichen entsprechen?

Jetzt dürfen selbst die markantesten Typen weinen – sogar auf Pressekonferenzen vor laufenden Kameras.

Doppelte, ja sogar dreifache Sensibilität muss der Kranke aufbringen: einerseits muss er mit seiner Depression so balancieren, dass sie ihn nicht in eine Katastrophe führt, andererseits muss er umgehen lernen mit dem Diktat der Leistungsnorm („keine Schwäche zeigen, nicht auffallen“) und obendrein vermeiden, dass seine Traurigkeit die Abschottungen der Nahestehenden durchdringt, um ihre Ängste vorm Aus-dem-Tritt-kommen nicht zu wecken. Eine schwere und fatale Anstrengung! Warum wird das Schwere nicht den vermeintlich Gesunden aufgebürdet? Warum muss der Schwache mehr leisten als sie?

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Okt 15 2009

Schwarze Hautfarbe ist gefährlich

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Nächste Woche kommt der Film in die Kinos „Günter Wallraff: Schwarz auf weiß. Eine Reise durch Deutschland“. Der Journalist hatte sich als Somalier schminken lassen und allerlei Fremdenfeindlichkeit und Rassismus am eigenen Leib erfahren. Gestern erzählte er davon am Stand der „ZEIT“ auf der Frankfurter Buchmesse.

Unter anderem wollte Wallraff eine Wohnung in Köln mieten. Eine Vermieterin benahm sich artig, zeigte ihm die Räume. Die anschließenden Miet-Interessenten stammten aus dem Filmteam und verwickelten die Dame in ein Gespräch über den Schwarzen, der sich soeben verabschiedet hatte. Schnell wurde klar, dass die Wohnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe nicht zu haben ist. Dabei half es auch nichts, dass die Vermieterin das Aussehen mit jenem von Seal, dem prominenten Sänger und Publikumsliebling (Ehemann des Models Heidi Klum), in Verbindung brachte – die Farbe rief unwiderrufliches Entsetzen bei ihr hervor. Später stimmte sie sogar zu, dass ihre heimlich gedrehten Aussagen im Film veröffentlicht werden dürfen. Offenbar fühlt(e) sie sich in ihrer Haltung so sicher, dass sie keine Kritik fürchtete bzw. vermutlich mit zustimmenden Kommentaren von Gleichgesinnten rechnete.

Das löste in mir eine Rückblende aus: 1971 hatte ich mir als Schülerin für einen Aufsatzwettbewerb voller Enthusiasmus für eine Welt ohne Grenzen und Ausgrenzungen eine Umfrage zu Ressentiments gegenüber Ausländern ausgedacht und die Ergebnisse dargelegt. Ein Frage lautete: Würden Sie einem Farbigen ein Zimmer vermieten? (Im gleichen Jahr brachte Klaus Staeck das Plakat mit der Zeichnung von Albrechts Dürers Mutter heraus – provokante Frage: Würden sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?) Ich kann mich noch an heiße Debatten erinnern, die letztlich in der Frage an meine Eltern gipfelte, ob sie mich verstoßen würden, wenn ich einen Mann mit anderer Hautfarbe heiraten würde.

Ich musste mich noch nirgendwo wegen meines Weiß-Seins „bewähren“, bin aber froh und dankbar, wenn ich im Ausland aufgrund von Formfehlern, zu geringen Sprachkenntnissen oder sonstiger „Andersartigkeit“ nicht schief angesehen oder gar angegriffen werde. Von der Aktion Sühnezeichen besitze ich seit Jahren den Aufkleber „Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall.“ Beklommen frage ich, ob all die Jahre des Einstehens für Toleranz wirkungslos waren.

Wallraffs Arbeit wünsche ich, dass sie Lust entfache am Genau-Hinsehen und Kritisch-Nachfragen. Deutschland wünsche ich, dass nachwachsende Journalisten das gewissenhafte „Wallraffen“ erlernen und somit Blicke auf die Republik aus vielerlei Perspektiven ermöglichen.

Praktische Übung auf der Heimreise: Vorurteilssuche im eigenen Hirn auf dem Bahnsteig half Distanz üben gegenüber den Unwägbarkeiten, vor denen man nie sicher sein kann > Welcher der Umstehenden würden mich ohne Bedenken umrempeln, wer Andersfarbige herabwürdigen, wer entschlossen Schwächere bei Gefahr in Schutz nehmen?

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Okt 12 2009

Der Preis stärke den Spirit und fördere die Aufgeschlossenheit!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Der Literaturnobelpreis für Herta Müller wurde allseits beifällig aufgenommen, der Friedensnobelpreis für Präsident Obama nicht. Zu jenen, die sich darüber freuen, dass sein Mut belohnt wird, gehöre auch ich. Trotzdem bin ich zurückhaltend in meiner Freude, denn ich weiß nicht, wer noch auf der Liste der der Nominierten stand, der oder die diese Rückenstärkung bzw. Anerkennung seiner/ihrer Bemühungen auch hätte gut oder gar noch besser brauchen können.

Wenn es aber nun schon mal so ist, dass hier dem Spirit Rückenwind gegeben werden soll, dann erübrigt sich die Frage nach Leistung und Erfolg. Erst braucht man Visionen, dann Worte dafür, die Aufgeschlossenheit zu erzeugen verstehen. Anschließend kann man sich ans Werk machen. Denn ohne die Aufgeschlossenheit von Freund und Feind erreicht man gar nichts. Ja, auch der politisch Andersdenkende, der Machtgegner muss die Stärke der Vision spüren und erkennen, dass an ihr keiner vorbei kommt!

Leider gibt es aber auch viele Miesepeter, die mit dem Zeigefinger wackeln, weil auch die schönsten Bäume nicht in den Himmel wachsen und Sonntagsreden doch schnell vom Winde verweht werden. Die Demonstranten von Mutlangen wurden mit ihren Friedensgesängen auch einst belächelt, während an meinem Fenster vorbei – ich wohnte ein Dorf weiter – die Raketen auf den Lkws in den nahen Wald gekarrt wurden. Natürlich nur zu Übungs- und Abschreckungszwecken. Wie hat sich doch das Klima seither gewandelt! Dazu fallen mir mehrere Nobelpreisträger ein, die daran mitgewirkt haben …

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Sep 27 2009

Brause lecken wie einst Oskar

Autor: . Abgelegt unter Kultur

„So lag Katharina Thalbach auch da.“ Normalerweise ist Harald Schmidt beachtet genug, als dass man hier ein Wörtchen über ihn verlieren müsste. Aber wer Erotik so mit Füßen tritt … Äh – es waren nicht die Füße. Es war schlimmer. Aber der Reihe nach:

Die wunderbare Szene mit dem Brausepulver in der Literaturverfilmung „Die Blechtrommel“ enthielt so viel Charme und Witz, dass sie wahrscheinlich etliche Menschen inspirierte, ihre Körper gegenseitig zwischendurch auch mal via Brausepulver (ggf. auch anderen Nahrungs-/Genussmitteln) zu erforschen. Warum nicht?

Hingegen führte uns Harald Schmidt vor Augen, wie die Brause-Bauchnabel-Szene anti-erotisiert dargestellt werden kann. Haltung, Möchtegernunterhaltung, Spucke, Zunge und anzügliche Bemerkungen der hingelegten Frau genügten für ein Würgen in der Kehle. Da bedarf es im Nachhinein nicht mehr der Enthüllung, dass das abgeleckte „Opfer“ ein verabredetes war – nämlich die Ex-Freundin von Ex-Co-Talker Plocher.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Ach nein, man soll das ja frech finden. Das Publikum soll sich ja genarrt vorkommen, indem es keine zufällig Freiwillige aus den Reihen der Studiogäste war, die freudig bei der Blechtrommel-Jubiläums-Aktion mitmachte. Oh Mann! Hätte sich doch nur Oskar Matzerath zwischen Darsteller und Kamera geschoben und mit seiner Stimme alles Glas in Reichweite zerspringen lassen. Die dadurch verursachte Bild- und Tonstörung wäre angemessen gewesen.

In dem Schelmenroman von Günther Grass ist Oskar als unabhängiger Geist angelegt. Insofern ist es kein Wunder, dass Harald Schmidt Anklänge an diese Figur sucht, denn auch er möchte als unabhängiger Geist gelten. Zumindest quasi. Denn gerade durch das Kokettieren mit dem Zeitgeist – nichts ist schräg oder minder genug, um ins Rampenlicht zu drängen und zu kommen und zu passen (siehe auch „Schlämmer“, Beitrag vom 8. Sept. 2009) – ist die Unabhängigkeit stark in Frage gestellt.

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Sep 08 2009

Schlemmer & Schlämmer

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Kultur

Es gab schon mal einen Schlemmer: in Billy Wilders rasanter Komödie „Eins, zwei, drei“. Sie erreichte kurz nach dem Mauerbau die Kinos. Ost und West – beide Systeme bekamen ihr Fett ab. Das Publikum erkor das Meisterstück erst später zum Kultfilm, als die Trauer über den antikapitalistischen Schutzwall incl. Schießbefehl sich abkühlte und das Aufbegehren gegen die Teilung sich in eine unbestimmbare Länge zog.

Schlemmer war damals ein Zeitgenosse der „alten Schule“, der die Hacken zusammen schlug, wenn sein Chef ihm etwas zubellte. Er bellte ihm auch zu, dass er diese Zuchtbezeugungen unterlassen solle – vergebens. Schlemmer blieb ein zackiger Untertan. Nicht ohne Selbstbewusstsein, zuverlässig unverbesserlich. Eine Nebenfigur, die man sich leicht merken konnte. Es war klar, welche Epoche hier auf die Schippe genommen werden sollte.

Nun zieht ein neuer Schlämmer – diesmal mit „ä“ – das Publikum in seinen Bann. Horst Schlämmer ist eine Kunstfigur von Hape Kerkeling, der u. a. als Moderator, Komiker und Schauspieler zu den „Angesagten“ in der Medien-Szene gehört. Mit „Isch kandidiere“ bugsiert Kerkeling seine Kunstfigur kurz vor der Bundestagswahl ins Rampenlicht. Es heißt, die Bundesbürger können mit Schlämmer aus Grevenbroich mehr anfangen als mit anderen – realen – Bewerbern, die in der Politik um Sympathien und Glaubwürdigkeit ringen.

Freilich ist der Film über Horst Schlämmer und seine Partei halb so hinreißend wie einst Billy Wilders Komödie. Es bleibt jedoch bemerkenswert, wodurch er „glänzt“. Der Zeitgeist der Unschärfe wird hier gekonnt verkörpert. Das allseits beliebte Durcheinander (Hauptsache „action“) bedarf keiner Verbindlichkeit, Alleinstellungsmerkmale gehen bis auf einzelne Äußerlichkeiten im Gesuppe unter. Es gibt wunderbare Szenen, die die Beliebigkeit bestens treffen. Die Vorliebe für Mittelmaß oder weniger hätte nicht besser unterstrichen werden können. Das war wohl die Absicht und das ist gelungen. Dank eines sehr professionellen Hape Kerkeling, der in mehrere Rollen schlüpft und es auch verstand, viel Prominenz mit ins Boot zu ziehen – angefangen bei Jürgen Rüttgers (derzeit Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen) bis zu Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher. Auch die Frauen kommen in ihren Rollen gut weg – um einen weiteren Pluspunkt nennen.

„Schlämmer hätt’s nicht kommen können“ – wie köstlich doch die Einigkeit in diesem Empfinden, das eigentlich die Bundespolitik und ihr Wahlkampfgebaren meint und nicht die Handlung in „Isch kandidiere“! Dabei kommt rüber, dass die realen Politgrößen die sinnentleerten Rituale weder schätzen, noch aufzulösen verstehen. Alle sitzen im gleichen Boot, nur einer will es anders machen – Horst Schlämmer eben. Aber auch ihm verschwimmen die neuen Ufer, bevor er sie erreicht.

Schlemmer und Schlämmer – zwei Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jener schlaksige Kerl, der bei Billy Wilder Gehorsam bis in den letzten Blutsropfen symbolisiert, war ein Typ, an dem man sich hätte abarbeiten können, wenn man in tatsächliche Gegnerschaft zu ihm getreten wäre. In der Folge solcher Typen erlebten die sogenannten „68er“ ihre unvergessliche Blüte. An Schlämmer kann man sich nicht reiben. Er ist zwar kein Tollpatsch, bei dem man alles entschuldigen möchte, aber er schafft es auch nicht in wirklich die „Pfui-Ecke“, die unweigerlich Schaum vorm Mund oder Blitze in den Augen seiner Kritiker bzw. Widersacher hervorrufen würde.

Hape Kerkeling stellt ein System in Frage – Billy Wilder zwei Systeme (noch dazu an einer ihrer empfindlichsten Nahtstellen). 1961 stand die Zeit auf Polarisierung. Im Gegensatz dazu sehen sich 2009 Künstler eher einem ärgerlichen Wischiwaschi gegenüber, dass irgendwie ausgehebelt gehört. Die Angriffe darauf mögen hoffentlich ins Bewusstsein tröpfeln, scheinen für den Moment aber trotz hoher Perfektion erst mal seltsam harmlos, ja fast zahnlos und von liebenswürdiger Toleranz durchzogen. „Leben und leben lassen“ als Motto – auch wenn es sich selbst bis zu einem gewissen Punkt konterkariert – taugt als beißende Grundlage für eine Kritik an den Ärgernissen des politischen Jonglierens wenig. Die Langzeitwirkung bleibt abzuwarten.

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Sep 07 2009

Oktoberfest fern der Heimat

Autor: . Abgelegt unter Kultur

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Puh, die heißen Tage haben so richtig ausgetrocknet! Gar manches kühles Blondes wurde da nach Sonnenuntergang gekippt – richtig gemütlich im Biergarten. Vorausgesetzt, man musste nicht mehr hinters Steuer.

Kaum ist flaut der Sommer ab, halten Oktoberfeste den Durst bei Laune. Erst das in München. Traditionell endet es, kaum dass der Oktober angebrochen ist. Da geht es in Florida aber erst richtig los! Kaum ein deutscher oder deutsch-amerikanischer Club, der sich nicht ein Oktoberfest ins Programm schreibt. Da habe ich schon Holzsägewettbewerbe und Schuhplattler erlebt.

Einer der großen Clubs feiert an zwei Wochenenden in Cape Coral. Aus diesem Anlass wird sogar eine Oktoberfest-Königin gekrönt. Es hat bereits Tradition, dass auf dem weitläufigen Areal auch immer eine Kapelle aus Deutschland einheizt. In diesem Jahr ist es die Zimmerer Kapelle Biberach. Siehe > http://www.gasc-capecoral.com/e_start.htm (Aktualisiert ist nur die englische Version.)

Bald werde ich wieder einige Stunden dabei sein, wenn in Cape Coral getanzt und geschunkelt wird. Die ersten Jahre traute ich mich nur mit Dirndl hin. Man hatte mir gesagt, das erwarte man von Gästen aus Deutschland. Nur so werde ich als Deutsche wahrgenommen und anerkannt. Schließlich bemühe man sich, deutsche Tradition aufrecht zu erhalten – sogar über Generationen hinweg, nachdem Enkel und Urenkel längst in Amerika geboren worden sind. Was liegt dann näher, als dass ein Original auch die originale Tracht trägt?

Das Argument sah ich ein. Es kostete trotzdem Überwindung, da das Dirndl in meiner Generation – gelinde gesagt – als verstaubt und nicht im positiven Sinne volkstümlich angesehen wird. Aber nach einigen Stunden unter der Sonne Floridas wurde es zum wirklich angenehmen Kleidungsstück. Erstens versteckt es praktisch Rundungen, zweitens macht es jünger als ich dachte. Eigentlich ist es ja ursprünglich ein Arbeitsgewand. Wie die gute alte Kittelschürze, die ich zum Auftakt des Blogs am 24. + 25. April 2009 thematisierte.

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Aug 17 2009

Keine Nächstenliebe jenseits des Ehrenamts?

Autor: . Abgelegt unter Alltag

Das Ehrenamt ist eine hochwohllöbliche Angelegenheit. Ob man unent-geltlich Kindern bei Hausaufgaben hilft, Senioren die Angst vorm PC nimmt, im Blindenheim vorliest – der Nächstenliebe sind keine Grenzen gesetzt. Es mangelt auch nicht an Initiativen, die für solches Engagement werben – Preisverleihungen inbegriffen.

Man sollte also meinen, wir geben aufeinander liebevoll und rücksichtsvoll acht, fördern und unterstützen uns gegenseitig, niemand ist dem anderen gleichgültig. Weit gefehlt! Allein das skrupellose Fahrverhalten in Spielstraßen oder sogenannten 30er Zonen spricht eine andere Sprache!

Noch deutlicher wird der Kontrast zwischen öffentlich goutiertem Ehrenamt und mangelnder Hilfsbereitschaft im Privaten an jenem Beispiel: Eine Freundin, soeben nach 20 Ehejahren unfreiwillig Single geworden, muss ihre Einrichtung ergänzen. Höflich fragte sie bei zwei von fünf Nachbarn im Haus, ob sie denn anklopfen dürfe, wenn sie etwas Sperriges oder Schweres in ihre Wohnung in den 3. Stock zu schleppen hätte. „Nein“, lautete unumwunden die Antwort.

Dies erschien mir mehr als fremd, zumal gerade jene Freundin weithin als Mensch von großer Hilfsbereitschaft bekannt ist. Da mir Vergleichbares noch nie zugestoßen ist, fragte ich querbeet und hörte auch von anderen: Ein NEIN ist bei Hilfebedarf wahrscheinlicher als ein JA. Offenbar ist diese Verweigerungshaltung salonfähig. Man geniert sich dafür ebenso wenig wie für unreflektierte Geschwindigkeitsübertretungen.

Vielleicht stiftet das pfiffige Strategen an, die Werbung für ehrenamtliches Engagement entsprechend zu ergänzen: Es ist kein Luxus, jemanden auch dann zu helfen, wenn der Lichtkegel der Öffentlichkeit nicht auf die gute Tat und die Haltung dahinter fällt!

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Aug 10 2009

Harmlose Schlager auf dem Index

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag,Kultur

Suchen – wer kennt das nicht – kann ganz schön nerven. Es war mir jedenfalls nicht vergönnt, eine Liste all dessen zu finden, was schon mal auf dem Index des Bayerischen Rundfunks gestanden hat. Vom „Scheibenwischer“ (Einzelsendungen) ist es mir aus meiner Jugendzeit bekannt. Aber dass auch der Bossa Nova …

Was ist eigentlich ein Bossa Nova? Ein dunkelhaariger gut aussehender Mann, besungen von Manuela (1948 – 2001), die damit 1963 quasi übernacht als Schlagerstar bekannt wurde? Nein, es ist ein Tanz, der jungen Mädchen einst gefährlich werden konnte. Diese Gefahr wurde diskret in der Liedzeile ausgedrückt: „Doch am nächsten Tag fragte die Mama: ‚Kind, warum warst du erst heut’ morgen da?‘“

Tja, wie leicht hätte das in Bayern auf dem Tanzboden zur Nachahmung animieren können! Deshalb durfte das Lied im BR nicht mehr auf den Plattenteller. Wie gut, dass man dank der Wiederholung eines Manuela-Porträts im NDR heute daran erinnert wird, wie fürsorglich man damals Gefährdendes in der Schublade verschwinden ließ.

Drafi Deutscher (1946 – 2006) erging es 1965 mit seinem Hit „Marmor, Stein und Eisen bricht“ nicht besser als Manuela. Doch der Grund war hier ein anderer: Sprachsensible wollten keine falsche Grammatik verbreiten. Denn es waren mehrere Gegenstände, die als bruchsicher besungen wurden. Und da hätte es „Marmor, Stein und Eisen brechen“ heißen müssen.

Solchermaßen Standpunkt zeigen, sensibel reagieren – heute ist das längst aus der Mode, wird belächelt.

Um so herziger wirkt ein Ausrutscher wie dieser Satz: Wer hat sich so was ausdenkt? Das fragte sich am Samstag Katja Bauer in der Stuttgarter Zeitung angesichts der Kanzler-U-Bahn. Der Satz stand da ganz ohne Anführungszeichen und wirkte wie ein Seufzer aus tiefster Seele. Der Autorin war diese (mutmaßlich schwäbische) Redewendung entwischt, was sicher Kritiker auf dem Plan ruft. In ihr pulsierte aber noch das Herzblut, das die tragische Geldverschwendung für den U-Bahnstummel hervorquellen ließ. In korrekter Sprache hätte man dies nie und nimmer so brühwarm transportieren können!

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Aug 09 2009

Sensibel – bist du es oder wirst du es?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag

„Du bist Deutschland“ – diese Kampagne fiel mir gestern spontan in einem großen Warenhaus ein. Ich musste mit meinem Einkaufswagen stehen bleiben, denn ein Pärchen beriet sich vor den Drucker-Patronen, welche denn daheim passen würde. Die Frau war nicht das Problem, der Mann war in die Hocke gegangen und blockierte damit mein Durchkommen mit dem Einkaufswagen.

Ich überlegte, ob ich zurück rangieren und die nächste freie Bahn nehmen sollte. Aber mich begann zu interessieren, wie lange es wohl dauern würde, bis der Mann merkte, dass er ein Hindernis darstellte. Er hätte nur einen Schritt vorwärts zu hoppeln brauchen. Aber mit Abstand betrachtet sich die Patronen-Auswahl natürlich besser.

Er merkte seine Rolle nicht. Er erhob sich erst, als er fertig war mit der Betrachtung des Warenangebots. Sein Blick fiel auch dann keine Sekunde auf mich. Mein höfliches stilles Warten drang zu seinem Bewusstsein gar nicht vor.

Darum die Erinnerung an die Kampagne. Man könnte eine neue starten: „Du bist sensibel“. Mit entsprechendem Aufwand könnte man verdeutlichen, was damit gemeint ist. Sensibel nicht nur, wenn es um die eigenen Pfründe geht. Sondern sensibel für das Miteinander, das Gemeinwohl.

Denn der kauernde Mann ist nur symptomatisch dafür, wie sehr sich viele abgeschottet haben und nicht mehr wahrnehmen, was um sie herum vor sich geht. Folglich haben sie auch keine Bringschuld dem Miteinander gegenüber. Das mit „Reizüberflutung“ zu entschuldigen, ist ungeheuer praktisch. Aber man müsste dies ja nicht auf sich beruhen lassen, wenn es einen Sponsor für die Sensibel-Kampagne geben würde.

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Jul 24 2009

Dschungel braucht Lotsen oder: wenn die Telekom plötzlich den Vertrag kündigt …

Autor: . Abgelegt unter Alltag

„Ärzte und Krankenschwestern sind immer häufiger Mangelware“, darauf hat die Geschäftsführerin der … hingewiesen. > Die Vielzahl der Mangelware ließ mich schmunzeln. Das Zusammentreffen der Worte “häufig” und “Mangelware” wirkt komisch, auch wenn sprachlich die Aussage logisch ist. Bei Pressemitteilungen passiert das in der Eile schon mal …

Newsletter, Pressemitteilungen, Werbebriefe – sie alle berühren nicht nur unser Sprachempfinden, sondern lösen auch darüber hinaus noch etwas bei uns aus. Dieser Tage lernte ich beispielsweise ein neues Wort: Präsentismus. Es „bezeichnet ein Verhalten, bei dem Beschäftigte krank zur Arbeit gehen“. Danke! Wieder um ein Wort reicher. Hoffentlich kann ich es mir merken! Es gibt schon so viele Fremdwörter, die ich mir schwer merken kann. Trotzdem sind sie da. Niemand kann sie ungeschehen machen.

Jedenfalls muss man auf der Hut sein, wenn Post kommt. Von meiner Zahnzusatzversicherung schneien ständig Briefe scheinbar alarmierenden Charakters herein. Die Überschrift will mir immer glauben machen, die seitherigen Vereinbarungen seien dem Verfallsdatum zum Opfer gefallen und ich müsse dringend auf Neuerungen reagieren. Bei näherem Betrachten handelt es sich um Werbung – ich könnte meinen Vertrag erweitern. Also brauche nichts zu unternehmen, denn alles ist so, wie ich es für mich einst als passend gewählt habe und entspricht immer noch meinem Bedarf. Ärgern tut mich, dass ich dies ständig neu überprüfen muss, bevor ich den Brief erleichtert dem Papierkorb anvertrauen kann.

Zu überprüfen hatte ich allerdings nichts, als mir die Telekom unlängst die Kündigung für meinen Tarif schickte. Dieses Auslaufmodell wollte sie nicht länger bedienen. Den Widerspruch per Einschreiben mit Rückschein hätte ich mir sparen können, denn er wurde schlichtweg ignoriert. Es kam noch mal eine Erinnerung, dass mit 31.7.09 mein Vertrag ende und man ohne mein Zutun keine neue Vertragsbasis aktivieren könne. Um nicht ohne telefonische Verbindung zur Außenwelt zu sein, bequemte ich mich schließlich zum Telekom-Laden in der Innenstadt, um einen neuen Tarif auszusuchen. Ich konnte nur darauf achten, dass er jederzeit kündbar wäre, denn ich fühlte mich meiner Sache keineswegs sicher. Wurde ich hier über den Tisch gezogen? Was würde in einem halben Jahr an Möglichkeiten offen stehen, die zu nutzen ich mir nicht verbauen wollte?

Der Dschungel an Informationen & Möglichkeiten – wohl dem, der gute Lotsen hat!

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