Jan 26 2011

Literaturempfehlung: Räume aufschlüsseln und das Tänzelnde genießen

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Thomas Ballhausens „Bewegungsmelder“ offenbaren präzise Beobachtungen und reflektierte Stimmungen

Mit „Bewegungsmelder“ hat Thomas Ballhausen ein Buch vorgelegt, das sich in zwei Teile gliedert. Im ersten Teil – „Fluchtversuche“ – geht es um Liebe und wie schwer es ist, sich bei Entfremdung zu entziehen; im zweiten Teil – „Interventionen“ – folgt man einem Gedankenfluss, Schrägstriche setzen hier scharfkantige Schnitte, damit diese Selbstreflexionen einen nicht mitziehen in ungeahnte Fernen und Tiefen.

Der 35-jährige Kulturwissenschaftler Thomas Ballhausen ist in Österreich in mehreren Sparten unterwegs. So lehrt er nicht nur an die Universität Wien, sondern engagiert sich auch am Filmarchiv Austria, am Musik-Journal „skug“ und war Mitbegründer der Autorenvereinigung „die Flut“. Er selbst bezeichnet sich als „ernsthaft“ und „fleißig“. Dennoch kann er mit Schwung, Rhythmus und Spielerischem etwas anfangen. In einem Interview hat er jüngst bekundet: „…ich glaube, Autorinnen und Autoren sollen schon auch tanzen können.“ Genau diese zwei Seiten, das Tänzelnde und das assoziativ Tiefgründige finden in „Bewegungsmelder“ reibungslos zueinander, und beide bilden eine berührende Symbiose.

Beim Wettlesen zum Bachmann-Preis in Klagenfurt hat er nicht viel Schmeichelhaftes gehört. Kaum zu glauben, dass er häufig mit dem Etikett „verkopft“ konfrontiert wird! Spielen da Ressentiments gegen seine Genauigkeit eine Rolle? Dieses Um- und Umwenden von Sprache findet so souverän statt, dass sowohl die Erzählungen als auch die mittels Schrägstrichen getaktete Prosa intensive Stimmungsbilder entstehen lassen. Formulierungsgenauigkeit macht hier als eine Art Abenteuer Spaß, weil sie die Tür zu schlüssigen Assoziationen öffnet. Die Freude über eröffnete Blickwinkel und Wendungen macht wett, sich eingelassen zu haben auf zunächst Undurchsichtiges. Das Unerwartete kommt nahe und wird im Nu vertraut, als hätte es seit ewigen Zeiten unerkannt in einem selbst geschlummert.

Gerne zitiert wird die Passage „immer schon ein vollkommen OFFENES Buch schreiben wollen / das aus Türen besteht / aus Angeboten / aus Fenstern und Durchgängen / jede Passage führt zu einem anderen Raum / schlüsselt ihn auf / wir basteln alle am Kontinuum“. Man könnte dies als Bekenntnis verstehen, weil in diesem Bändchen wirklich viele Zugänge ermöglicht werden.

Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann darauf, dass Fluchtversuche aus der Feder von Thomas Ballhausen hier nicht ins Leere laufen, sondern mit der Selbstfindung verwoben bleiben. Einer teils heiteren sogar. Der Ernst des Lebens drückt sich zwar in klassischem Erzählstoff aus – etwa bei der Beendigung einer schal gewordenen Beziehung – , doch er beherrscht nicht unbedingt den Vordergrund der Geschichte. Immer wieder dominiert hier ein Offenlassen von Schritten, die vorangegangen sein mögen oder folgen werden. Und damit ist der Leser auf der gleichen Stufe wie der Autor. Die beiden sind sich durch das Unbenannte sehr nahe, weil nur das Jetzt zählt, das einen Schatten haben mag, in dem aber niemand gefangen bleiben muss.

Wo Ballhausen „Das konkurrierende Nebeneinander von Erträumtem und Wirklichem“ als „fast (…) ungehörig“ vor Augen führt, ist das eine klare Aussage. Genauso später die „Vergangenheit, die nicht vergehen will, weil sie mir innewohnt, mich mehr bestimmt und ausmacht, als ich bereit bin einzugestehen. Es ist mir unmöglich, mit meinem Leben, meinem Sein zu brechen.“ Es sind sehr präzise Beobachtungen und Sprachbilder, die die Oberfläche transparent machen, so dass darunter Sehnsüchte und Leidenschaften gegenwärtig werden. Sie scheinen zu brodeln, doch der Autor will mit ihnen nicht hausieren gehen. Wie ein Archäologe will er sie freilegen, sie aber nicht in ihrer vollen Verletzlichkeit preisgeben.

So wirkt er wie einer in seinen Brüchen heiler Erzähler, der Räume entstehen lassen will. „Sätze wie Widerhaken“ – von dieser Absicht ist die Rede. Doch es sind Sequenzen, die gründlich gegen den Strich gekämmt und dadurch (gelegentlich) stachlig werden. Die spürbare Ehrlichkeit nimmt die ihnen die ärgste Spitze. Ist man dafür empfänglich, hängt man wie ein Fisch an der Angel – mit und ohne Widerhaken.

Thomas Ballhausen: Bewegungsmelder. Prosa. Haymon Verlag, Innsbruck 2010. 104 Seiten, 17,90 EUR. ISBN-13: 9783852186436

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