Archiv für die Kategorie 'Allgemein/Politik'

Dez 27 2014

Pillen eckig, länglich, rund – Hauptsache, sie unterscheiden sich deutlich!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag

Die Pharma-Industrie ist kein rundum verlässlicher Partner. Es geht zwar nur um „Äußerlichkeiten“, aber die können schnell eine unliebsame Wirkung haben. Wie sehen Pillen aus? Farbe, Form, Größe? Nie hätte ich gedacht, dass mich das mal interessieren würde!
Aber von vorn. Man ist ja bei dauerhaftem Medikamentenbedarf so einiges gewöhnt. Wenn man zufrieden ist mit der medikamentösen Einstellungen durch den Arzt oder die Ärztin des Vertrauens, ist schon mal eine gute Basis erreicht. Dankbar für das Versicherungssystem, das in Deutschland die zugelassenen Wirkstoffe bezahlt, die vor einem frühen Siechtum oder Tod bewahren. Da darf die Krankenkasse (sprich die Versichertengemeinschaft) auch erwarten, dass man beim Sparen mithilft und sich flexibel zeigt, wenn günstige Verträge mit den Pillenherstellern den Abschied vom gewohnten Pillenproduzenten bedeuten. Ein bisschen Flexibilität des Einzelnen bedeutet großen Vorteil für alle. So dachte ich bisher.
Lange klappte das hervorragend. Dann plötzlich ähnelten sich zwei der Pillen. Meine Brille war aber noch gut genug. Trotzdem: Risiko-Potential! Bald löste sich die Konstellation aber wieder auf, weil andere Verträge wieder ein anderes Pillen-Outfit bedeuten.
Zwischendurch hatte ich eine herzchenförmige, eine längliche (mit zwei Rillen bequem in drei Teile spaltbar) und eine runde, rosa Pille zu nehmen. Weil abends nur ein halbes Herzchen fällig war, nahm ich es für selbstverständlich, dass sich diese Pille gut brechen ließ. Mit dem übernächsten Rezept wurde leider alles anders: kein Herzchen mehr, dafür eine weiße Mini-Pille, die sich bei der notwendigen Teilung widersetzte und häufig in mehrere Splitter zersprang. Splitter wegwerfen? Hat die Sparpolitik das beabsichtigt? Oder schlampige Einnahme, weil da mal ein Eck fehlt und dort was zu viel ist?
„Aut-idem“ wähnte ich als Zauberwort, gab also in der Arztpraxis an, welcher Hersteller bisher das „umgänglichste“ Präparat hatte. Zurück zum Herzchenhersteller, auch wenn der nicht mehr der billigste war. Ironie des Schicksals: er hatte die Form umgestellt: weiß, klein, aber wenigstens nicht mini.
Nicht nur dem Herzchen trauere ich nach. Die längliche Pille gibt es von dem Hersteller mit der neuen Vertragsbindung nur noch rund. Damit sieht sie jener zum Verwechseln ähnlich, die bisher rosa war und nun weiß ist. Ingesamt stehe ich vor drei weißen Pillen. Die kleinste verlangt mir das Kunststück ab, sie zu teilen (s. o.), die größere sieht ihr zum Verwechseln ähnlich und die große kann ich nur noch halbieren und nicht mehr in drei Stücke teilen. Geht man so mit mündigen Patienten um?
Fazit: es gibt zu viele Pharma-Firmen, die den gleichen Wirkstoff anbieten, die immer neue Vertriebsformen wählen und mit ihrer Wettbewerbspolitik alles andere als günstig auf den Markt einwirken.

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Okt 25 2014

Kleine Philospohie zum Genügen

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Seit die Babyboomer 50 werden, kann man viel über das Älterwerden lesen. Einen empfehlenswerten Beitrag hierzu hat die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Antje Schrupp, Jahrgang 1964, im FAZ-Blog „Ich. Heute. 10 vor 8.“ veröffentlicht. Sie empfindet, mit 50 gehe es geradeaus, nicht mehr bergauf, aber auch noch nicht bergab. Doch lesen Sie selbst: http://url9.de/VPm

Ihre Auseinandersetzung mit der Redewendung „genug haben“ oder „es ist genug“ gefällt mir besonders gut. Immer wieder werde ich komisch angeschaut, wenn ich „Genügsamkeit“ anmahne, denn ohne sie kann man nach meiner Erfahrung Erreichtem nicht würdigend nachspüren. „Sich selbst genügen“ ist ebenso wenig modern und wird selten geschätzt, hat es doch ein „Gschmäckle“ von Ignoranz und Selbstgefälligkeit. Dass man sich aber bei zu viel Trubel selbst abhanden kommt, ist nach den Sturm- und Drang-Jahren sogar für jene leicht nachvollziehbar, die von ihrem Naturell her immer auf Hochtouren laufen (müssen).

Einst sang Konstantin Wecker „genug ist nie genug“ – was meiner Leidenschaftlichkeit (vor allem in politischen Angelegenheiten) entsprach. Und von manchem habe ich – die ich etwas älter bin als Antje Schrupp – immer noch nicht genug. Zum Beispiel kann man nie genügend über ein Thema nachdenken oder an einem Text feilen. Man muss die Grenzen sehr bewusst ziehen. Immer und immer wieder. Es liegt an der Auswahl, wovon man sich beeinflussen oder prägen lässt, denn dank Internet sind Informationsvielfalt und ein „In-die-Tiefe-gehen“ ständig möglich. Man braucht einen guten Kompass dafür, wann es „genug“ ist und alles einer vernünftigen Einordnung/Gewichtung zugeführt werden sollte.

Übrigens: Wer gerne gute Texte liest, kommt beim FAZ-Blog „Ich. Heute. 10 vor 8“ auf seine/ihre Kosten > http://url9.de/VPn – Es ist nach eigenen Angaben „das erste kollektive Frauenblog auf den Seiten eines überregionalen deutschen Mediums.“ Weiter heißt es: „Wir finden, dass unsere Gesellschaft mehr weibliche Stimmen in der Öffentlichkeit braucht. (…) Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung.“

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Okt 01 2014

„Das Beste“ und die Selbstbestimmung

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Neulich überraschte mich die Nachricht, ich sei seit 25 Jahren Mitglied bei „meiner“ Krankenkasse. Man lobte meine Treue. Bevor ich mich von diesem Lob geschmeichelt fühlen konnte, ging es in dem Brief schnurstracks um eine kleine Zuwendung (als Würdigung), die man aber den vielen, die ein Mitgliedschaftsjubiläum haben, nicht auszahlt. Die Höhe war nicht genannt („ein minimaler Geldbetrag“ stehe für ein Präsent zur Verfügung), das Prinzip, um das es ging, war wichtiger.

Man hatte – repräsentativ oder nicht – Versicherte (welche und wie viele?) darüber abstimmen lassen, wohin man den Jubiläumsbonus spenden soll. Die Transparenz über diesen Hintergrund war minimal, aber bei der angeblichen Abstimmung war etwas Vernünftiges herausgekommen: Deutsche Kinderkrebsstiftung. Wer konnte gegen dieses Unterstützungsziel schon Einwände haben?! Schwerkranke Kinder würden dank meiner Treue evtl. bessere Heilungschance haben. Was will ich mehr?

Es grummelte trotzdem in meinem Bauch. Wie demokratisch war das eigentlich? Da stimmen Leute ab, die ich nicht dazu ermächtigt habe, wohin mein Bonus gespendet wird. Hätte diese Kleinigkeit der vielen Jubilare nicht in den Leistungstopf fließen können, auf dass die Eigenbeteiligungen – bei chronischen Erkrankungen gehen die echt ins Geld! – gesenkt oder verzichtbar würden? Was ist mit jenen, die am Existenzminimum leben und dank des Bonus’ sich vielleicht endlich aufwändigere Zahnreinigungsutensilien oder einen Thermalbadbesuch hätten leisten können?

Ich hatte nicht mit einer Ausschüttung für Treue gerechnet, finde selbige bei einer Solidargemeinschaft (ich bin pflichtversichert) sogar ein wenig fragwürdig. Doch so ein unverhofftes „Geschenk“ hätte ich vielleicht lieber der Forschung über Alzheimer, MS oder Parkinson zukommen lassen? Oder an Foodwatch, einer Flüchtlingshilfe oder der Musikschule in der Gemeinde gespendet? Egal, ich war ohne Stimme und ohne Handlungsmöglichkeit geblieben und mobilisierte meine Toleranz.

Ich versetzte mich auf die andere Seite. (Das hilft oft, mit innerem Grummeln besser fertig zu werden.) War ich nicht einst froh, dass die Sparkasse in der Broschüre unserer gemeinnützigen Initiative eine Anzeige für 100 € geschaltet hatte, ohne dass ihre Kundschaft, der sie ja in erster Linie verpflichtet ist, dazu befragt worden war? Andererseits: ich hatte meinen Stromanbieter gewechselt, weil ich nicht weiter für sein großflächiges Sportsponsoring mit bezahlen wollte. Und ich frage mich schon lange, warum meine Bank Konzerte sponsert, anstatt für Guthaben höhere Zinsen zu gewähren.

Hoppla, ich war zwar auf die andere Seite gehopst, aber ebenso schnell wieder zurück. Häufiger stehe ich also auf der Seite, mit deren Geld undemokratisch Dinge veranlasst bzw. unterstützt werden, die mir mal fern, mal nah liegen – aber die ich verdammt noch mal auch in eigener Initiative unterstützen kann! Zu einem Zeitpunkt, der für mich „reif“ ist. Und nicht automatisch, weil ich eben irgendwo Kunde, Mitglied oder sonst wie „verbandelt“ bin.

Alle wollen nur das Beste. Ich auch.

 

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Sep 21 2014

Schon vor 1993 kann Günter Gaus „nicht mehr ungeniert journalistisch tätig sein“

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Gehörigen Abstand haben wir Nachgeborenen inzwischen zu Günter Gaus, der als politischer Journalist Maßstäbe setzte und 1974 – 1981 Erster Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der DDR war. Er galt als vortrefflicher Interviewer, seine tv-Porträts sind im Haus der Geschichte zu finden und somit „geadelt“ als Zeitzeugnisse, die über Generationen hinweg der Orientierung dienen können. Einer Orientierung über gesellschaftliche/politische Verhältnisse im wieder erstarkenden Deutschland (West), die er mit kühler Distanziertheit transparent zu machen suchte. Wie sich diesem herausragenden Medienmann nähern, ohne zu lobhudeln oder zu polarisieren? Hans-Dieter Schütt schaffte dies auf differenzierte, gehaltvolle Weise in „Günter Gaus. Von den Hoffnungen eines Skeptikers“.

Schütt, selbst Journalist, Jahrgang 1948, hat seinen neunzehn Jahre älteren Kollegen vier Jahre nach dem Mauerfall interviewt. In einer der Antworten sagt Gaus, er nehme mehr und mehr „Grautöne wahr, und diese sind sehr viel umständlicher zu beschreiben. Ich kann schon lange nicht mehr ungeniert journalistisch tätig sein, ich stelle mir selber zu viele Fragen, bevor ich anderen eine Frage stelle, und ich erschrecke über die fraglose Selbstgewissheit vornehmlich jüngerer Journalisten heutzutage.“ Wenn ein ehemaliger Spiegelredakteur so etwas mit 64 zu Protokoll gibt, haben ihn seine Antennen vor Selbstgefälligkeit bewahrt? Konnte er seinen Horizont so entwickeln, dass er – Altersweisheit hin oder her – 2004 wirklich mit mehr Fragen als Antworten starb?

Schütt ist Herausgeber von „Günter Gaus: Was bleibt, sind Fragen. Die klassischen Interviews“. Sein „Nachdenken über den bürgerlichen Menschen“ – ausdrücklich will er das 2014 vorgelegte Buch nicht als Biografie verstanden wissen – legt nahe, dass der viel Gelobte zwar Maßstäbe sowie Marksteine gesetzt und der Transparenz höchst diszipliniert gedient hat und dennoch einiges Scheitern wegstecken musste. Aber der Reihe nach: Günter Gaus war seit 1953 durch und durch politischer Redakteur. Dank Helmut Kohl, damals noch in Rheinland-Pfalz, wurde er mit 35 Jahren Programmdirektor bei Südwestfunk Baden-Baden (der jüngste in der ARD bis heute), anschließend vier Jahre lang Chefredakteur beim „Spiegel“, bevor er die Seite wechselte und in die Politik ging, Ostberlin wurde bereits erwähnt, seit Anfang der 90er Jahre war er Mitherausgeber der Wochenzeitung „Freitag“.

34 Jahre war Gaus jung, als seine Sendung „Zur Person“ 1963 im ZDF startete (Noch-nicht-Bundeskanzler Ludwig Erhard war sein erster Gast), „Zu Protokoll“ gab es bis 1973 in der ARD, „Deutsche“ strahlte der WDR von 1984 bis 1989 aus. Gerhard Schröder durfte zwei Mal kommen, Christa Wolf auch. Das waren die Ausnahmen von der Regel, dass man nur einmal die Chance bekam, Farbe zu bekennen. Es handelte sich um die Momentaufnahme einer Person, die der „raffinierten Unantastbarkeit des höflich Fragenden“ standzuhalten hatte. Die Kunst bestand darin, dass Schonung genauso tabu war wie das Vorgeführtwerden in der heute sattsam bekannten Effekthascherei.

Obwohl er selbst einer Elite angehörte und sich dessen bewusst war, verstand er sich als solidarisch mit weniger Privilegierten. Schon in seinem Abituraufsatz erkannte er: „Der Mensch ist die einzige Münze, mit der auf dieser Welt gehandelt wird.“ Das begründete seine Haltung durchgängig und schwang auch in dem Stil mit, dass er in seinen Interviews nicht diskutierte, argumentierte oder gar stritt. Respekt, Anstand – damals Werte, die goutiert wurden und mit denen mehr zu entlarven und zu enthüllen war als mit dem heutigen Wortwechseln in Talkshows. So der Eindruck von mir als Nachgeborenen, die gelegentlich gerne Aufzeichnungen mit Gaus im Internet studiert.

Auch Schütt arbeitet das heraus, zollt dafür Anerkennung. Und attestiert, dass Gaus zuletzt auch als Erzähler veranschaulichen will, „was Menschen so widersprüchlich, letztlich so unfassbar macht“. Tief durchdringt das „Nachdenken“ des Hans-Dieter Schütt den Skeptiker Gaus. Er verschmilzt aber nicht mit ihm, sondern thematisiert ihn als – zuletzt – eine „Stimme am Rand“, beleuchtet seine Isolation in den späten Lebensjahren, verschränkt dies mit der Einstufung „gescheitert“ – worüber man auch anderer Meinung sein kann.

Dass er Gaus für etliche Jahre als „so ziemlich zwischen allen Fronten der deutsch-deutschen Geschichtsdeutung“ definiert, kann man auch so deuten, dass gerade hier eine Stärke dieses politisch Aufgeweckten liegt, der sich nicht scheute, Eitelkeit und Unsicherheit einzugestehen! Zu den Widersprüchen von Gaus gehörte wohl auch, dass er sich am Ende seines Lebens nicht mehr als Demokrat bezeichnen mochte.

Insgesamt hält sich Schütt mit subjektiven Bewertungen zurück. Das Bemühen, die Materie auch in ihren Tiefen aufzudröseln, transportiert natürlich trotzdem den Blickwinkel, aus dem der Autor die Welt sieht. Kostprobe: „Er (Gaus, A. d. V.) hielt die unantastbare Sicherheit der weniger Begüterten vor sozialen Übergriffen und vor einem fahrlässigen, gemeinen Desinteresse der Elite für den ‚inneren Kern‘ der bürgerlichen Gesellschaft. Fragen nach diesem Kern bildeten im Grunde genommen das Zentrum all seiner biographischen Befragungen, und er sah diesen Kern am Ende seines Lebens gesprengt.“

Schade, ich hätte Gaus eine günstige Bilanz gegönnt. Das zu erwähnen ist subjektiv, im journalistischen Sinne alles andere als politisch korrekt. Doch Gaus hat sich ebenfalls positioniert – wer eine Haltung hat, positioniert sich. Es ist nur wichtig, diese Haltung nicht zu verhehlen bzw. zu vertuschen. Sonst wird es unredlich. Und dies hat Gaus auch nicht gemacht. Jedenfalls ist mir nichts anderes zu Ohren oder zu Augen gekommen. Weder von Hans-Dieter Schütt, noch von anderen Eingeweihten. Nachdenkenswert noch ein letztes Zitat aus dem lesenswerten Buch: „Aber das Beharrungsvermögen, das aus einem Gestern kommt, arbeitet doch wesentlich mit an der Balance einer Welt, die sich ihre Fähigkeit für Gedächtnis bewahren möchte. Sieger machen nur Meldung, Verlierer aber Erfahrungen. Zweiteres ist womöglich wertvoller. Gaus’s Vermächtnis.“

Hans-Dieter Schütt. Günter Gaus. Von den Hoffnungen eines Skeptikers. 2014, 175 Seiten, Klappenbroschur, Dietz Berlin, 16,90 Euro, ISBN 978-3-320-02305-8

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Aug 20 2014

Alte Liebe: “Nachrichtenzeit”

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Alte Liebe rostet nicht. Auch nicht die zu jenen Büchern, die man besonders schätzt. So zog ich angesichts der neuen Kämpfe in Israel abermals „Nachrichtenzeit“ – die „unfertigen“ Erinnerungen von Wibke Bruhns (Droemersche Verlagsanstalt) – aus dem Schrank. Ich erwähnte es  unter der Überschrift >> Aus den Nähkästchen: Vom Blauflossenthunfisch über Wolf Schneider zu Wibke Bruhns <<  bereits am 21.9.2012 in diesem Blog. Da ich Bruhns’ Gespräche und Erfahrungen in Israel – sie war dort als Korrespondentin für die Zeitschrift „Stern“ – interessant finde, wollte ich mich ein weiteres Mal vertiefen in den Konflikt, über den sich schon viele kluge Menschen die Köpfe zerbrochen haben. Bruhns’ Eindrücke empfehle ich gerne nochmal. Hier meine komplette Rezension:

Woher der lange Eugen seinen Namen hat

„Nachrichtenzeit“: Wibke Bruhns’ Erinnerungen sind eine wahre Fundgrube für politisch Neugierige

Persönliche Marotten, Verstrickungen und Schicksalsschläge scheinen bei der Fülle von Erlebnissen und Begegnungen, auf die Wibke Bruhns in den „unfertigen Erinnerungen“ zurück blickt, nur Beiwerk zu sein. Die Journalistin erzählt in „Nachrichtenzeit“, was man von diesem Berufsstand erwartet: interessante „Geschichten hinter den Geschichten“.
Sie hatte die Qual der Wahl, und anhand ihrer Fotosammlung nennt sie etliche Personen, über die sie auch etwas hätte „aufschreiben“ können. „Jeder malte seine Tupfer in unsere Welt. Schöner Beruf!“ Und an anderer Stelle: „Das war das Schöne an meinem Beruf: Wenn ich etwas wissen wollte, konnte ich mir die Antwort selber holen.“ Diese Neugier und Freude am Beruf bestimmt Wibke Bruhns. Zur beruflichen Leidenschaft gehörte immer, klug auswählen zu können. Und so gelingt ihr mit dieser Reise in die Vergangenheit sowohl das Vordringen in komplizierte Begebenheiten und Zusammenhänge – wie zum Beispiel in Nahost, wo sie als Korrespondentin des Magazins „Stern“ arbeitete – als auch der Versuch, Atmosphärisches prägnant zu verdichten. Vermeintlich Heikles – wie das Gerücht, sie sei Willy Brandts Geliebte gewesen – rückt sie unaufgeregt zurecht.
In die Mediengeschichte ist Wibke Bruhns, geboren 1938, als erste Frau eingegangen, die im westdeutschen Fernsehen Nachrichten präsentierte. Das war 1971. Zuvor hatte sie ihr Volontariat bei der Bild-Zeitung „aus politischen Gründen“ abgebrochen. Für beides braucht man Mut. Und den bewies Wibke Bruhns auch, als sie sich als Wahlkampfhelferin für Willy Brandt parteipolitisch betätigte, was für Journalisten ja nicht unbedingt als schicklich gilt. Doch damals tickte die Welt noch ein bisschen anders als heute.
Wibke Bruns erinnert uns an eine Zeit, in der es noch strittig war, ob man DDR mit oder ohne Gänsefüßchen schreiben solle oder müsse. Viele dieser „Kleinigkeiten“ leben wieder auf bei der Lektüre von „Nachrichtenzeit“: nach wem der „lange Eugen“, das Abgeordnetenhaus in Bonn, benannt wurde; wie sich die Müllwerker 1975 dank ÖTV-Chef Heinz Kluncker elf Prozent mehr Lohn erstreikten und dass Martha Nannen, Ehefrau des Chefredakteurs Henri Nannen, ausschlaggebend dafür war, was als „verständlich“ im Stern gedruckt werden durfte. „Große“ Angelegenheiten wie die Hintergründe um die Guillaume-Affäre und die gefälschten Hitler-Tagebücher („Hitler sells.“) werden kompakt aufbereitet. Allein die Kompliziertheit der Auseinandersetzungen in und rund um Israel ist an manchen Stellen nur für jene auf Anhieb leicht zu verstehen, die bereits mit der Materie vertraut sind.
Mut muss Wibke Bruhns auch privat gehabt haben. Ihre Töchter, geboren 1966 und 1968, führten sie in die Kinderladenbewegung, aber die Nähe zum Beruf blieb. Als ihr Mann nach zwölf Jahren Ehe 1977 stirbt, will sie weg aus Hamburg: „… ich musste mein Leben umkrempeln, um damit zurechtzukommen.“ Als sie vom Stern grünes Licht hatte, als Korrespondentin in den Nahen Osten zu gehen, entschied sie sich für Jerusalem. Zuvor hatte sie gründlich erwogen, ob sie dies ihren Töchtern zumuten konnte: „Ihnen war in Deutschland beigebracht worden, alle Menschen seien gleich. Hier lernten sie: Alle Menschen haben ein Recht darauf, verschiedenen zu sein.“
Sätze wie diese machen deutlich, wie wohltuend es ist, eine Haltung entwickeln und vertreten zu können. Denn auch das gehört zu den „unfertigen Erinnerungen“: kein Tratsch, nur symptomatische Fakten werden so knapp und plausibel wie möglich dargelegt. Bei allem, was sie für berichtenswert hält, gibt Wibke Bruhns Orientierung und erfüllt damit die Lotsenfunktion, die Journalismus haben soll. Sehr erstaunt ist sie deshalb über ihre Erfahrungen bei Pressekonferenzen des US-Präsidenten. Die nennt sie „Darbietungen“, bei denen die Stühle den US-Medien gehörten, ausländische Journalisten mussten stehen und durften keine Fragen stellen. So war es auch bei Auslandsreisen des Präsidenten arrangiert. „Der Kontinent USA ist sich selbst genug, und Auslandsreisen des Präsidenten sind Innenpolitik.“ Bedarf an Analysen über das jeweilige Land und die die Beziehung zu ihm? Fehlanzeige!
Ab 1984 ist Bruhns als Stern-Korrespondentin in den Vereinigten Staaten. Ein Jahr zuvor waren die Pershing-II-Raketen in Deutschland stationiert worden. Die Proteste gegen die nukleare Abschreckung verebbten hierzulande nicht. Was lag näher, als für den Stern zu recherchieren, wo das „Teufelszeug“ herkommt, wer die Waffen baut. Die Jahre in Israel – viele Religionen auf engstem Raum – im Hinterkopf, will Bruhn aber auch herausfinden, welche Glaubensgemeinschaften in den USA sich im „Besitz der Wahrheit“ wähnen und wie sie leben. Das spannende Kapitel beendet sie mit dem Hinweis, dass US-Politiker gerne ihr „inniges Verhältnis zu Gott als politische Waffe“ benutzen und hierbei der Begriff „Wahrheit“ anders aufgeladen ist als wir es kennen.
Ein wirklich großes und grundlegendes „Abenteuer“ halbprivater Natur durchlebte Wibke Bruhns, als sie die Geschichte ihrer Familie erforschte. Darüber reflektiert sie im letzten Kapitel von „Nachrichtenzeit“. Das Ergebnis heißt „Meines Vaters Land“ und findet seit 2004 viel Beachtung, weil hier eine interessante Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte gelingt.
Damit schließt sich der Kreis, denn zum Auftakt von „Nachrichtenzeit“ schildert sie, wie ihre Mutter nach dem Krieg als Alleinerziehende mit fünf Kindern das Überleben zu organisieren hatte und davon ständig überfordert und erschöpft war. Die Nazis hatten ihr nichts von dem einstigen Vermögen in Halberstadt gelassen, nachdem ihr Mann, der Kaufmann Hans Georg Klamroth, 1944 wegen Hochverrats hingerichtet worden war. Er wurde als Mitwisser des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli verurteilt. Else Klamroth war mittellos: „Selbst die Kosten für die Hinrichtung – die kamen per Rechnung! – hatte sie sich leihen müssen.“
Als Kind einer der „Regisseure des Dolchstoßes“ – dieser Vorwurf hielt sich nach 1945 hartnäckig – zeigte sich die kleine Wibke zwar hart im Nehmen, war aber keineswegs gegen Einsamkeit, Heimweh und schmerzliche Niederlagen gefeit. Aber sie schlug sich tapfer und staunt, welchen Einfluss ihr Vater, den sie gerne persönlich besser kennengelernt hätte, trotz seines frühen Todes noch heute auf ihr Leben hat.

PS.: 1982 erschien bei Gruner & Jahr “Mein Jerusalem” von Wibke Bruhns und Amos Schliack (Fotograf).

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Jun 02 2014

Journalisten sollen nicht nur coden … Diskussion über die Medien von morgen in Flügel-tv

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Soeben komme ich von „quergedacht – Politische Kultur im Umbruch? Die Medien von morgen!“* Mitgenommen habe ich daraus unter anderem, dass der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen** einen stärkeren Schulterschluss zwischen Universitäts- und Zeitungsmilieu fordert. Bravo! Vielleicht zettelt das endlich ein Denken von einem anderen Ende her an! Natürlich wurde Qualitätsjournalismus angemahnt bzw. die dazugehörigen Rahmenbedingungen. Ja, ja – dachte ich bei mir – schon mancher gut ausgebildete Journalist ging lieber in eine andere Branche, weil sein Qualitätsbewusstsein im Redaktionsalltag nicht durchsetzbar war und das für ihn auf lange Sicht unbefriedigend bis gesundheitsschädlich gewesen wäre.

Die Veranstaltung wurde mitgeschnitten und kann in in Flügel-tv nachvollzogen werden > http://www.fluegel.tv/beitrag/9504

Daheim zog ich dann aus dem Netz das Neueste von Hubert Burda: „Wer schon heute als Journalist ein paar Zeilen Code schreiben kann und weiß, wo er die Daten findet und diese dann visualisiert, ist gut für die Zukunft aufgestellt, Journalisten sollen aber nicht nur coden und visuell denken lernen, sondern sich immer mehr mit Entwicklern und Designern zusammenschließen – nur so entstehen innovative Medienprojekte. Auch wir als Verlag brauchen immer mehr solche jungen Menschen, die keine Scheu vor neuen Technologien haben.“ (http://www.burda-news.de/content/hacken-im-badischen; Hervorhebung von mir.)

Peng – Burda definiert das „Morgen“ erwartungsgemäß anders. Er und seine Medien bevorzugen den Journalistentyp „eierlegende Wollmichsau“. Der Generalist, der alles kann, hat aber auch nur 24 Stunden pro Tag, muss davon einiges abziehen für essen, schlafen, Hygiene und Beziehungen. Vertiefen in ein Thema kann er sich kaum, in weit verzweigte Zusammenhänge schon gar nicht; nachhaltig berichten, wo das vermisste Flugzeug tatsächlich gestrandet ist und warum und welche Konsequenzen das für die Kinder der Opfer jetzt und fünf Jahre später hat – wird er das gratis arbeitenden Bürgerreportern übertragen, um den Rücken frei zu haben für die technischen Herausforderungen in immer kürzeren Abständen?

Es wird Zeit, dass die Publika sich aufschwingen und als Verbündete der JournalistInnen sich für verbesserte Bedingungen in den Medien-Unternehmen mit einsetzen. Denn die Entwicklung hin zu schlechteren Inhalten lässt sich leicht „verschlafen“, während wir bei den Streiks von Bahnbediensteten, Polizisten und Piloten durchaus hoffen, dass er zu einem positiven Ergebnis führt, damit wir als Verbraucher pünktlich ankommen, als Bürger vor Straftätern sicher sind und auf Urlaubs- oder Dienstreisen nicht von Himmel fallen, falls der Flugkapitän nach zu vielen Überstunden einnickt. Die Demokratie ist eng an unsere Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten geknüpft und stirbt im Zweifelsfall leise.
* Eine Veranstaltung des Fritz-Erler-Forums Baden-Württemberg und Mehr Demokratie e.V. im Alten Rathaus zu Esslingen. Mit Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Uni Tübingen; Ulrike Winkelmann, taz-Redakteurin; Ulla Fiebig, SWR; Gerd Manthey, ver.di.
** Breitenwirksam publizistisch hervorgetreten u. a. mit Der entfesselte Skandal (2012, mit Hanne Detel)

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Apr 24 2014

Frieden ist kein Selbstläufer

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

 

PENTAX Image Kurz vor Ostern konnte ich einen neuen Follower auf Twitter begrüßen: „atomwaffenfrei.jetzt“. Aha, dachte ich, es ist wieder die Zeit der Friedensmärsche, die in der Öffentlichkeit am Rande wahrgenommen werden, aber dennoch das Bewusstsein wach halten, dass Frieden sich nicht von selbst „ereignet“, sondern immer wieder angemahnt und neu verhandelt werden muss.

Ostern und Frieden gehören für mich so untrennbar zusammen wie Mutlangen und die Friedensbewegung.
Dank Twitter, wo ich selbst bereits 1230 tweets postete, kam ich auf die homepage www.atomwaffenfrei.de und erfuhr, dass die Urkraine atomwaffenfrei ist. Aufatmen!

Abgesehen davon, dass ich in einem Vorort von Mutlangen zehn Jahre lebte und erlebte, wie die wie amerikanischen Streitkräfte erst mit schwerem Gerät in unserem Wald manövrierten und dann abgezogen wurden, bleiben Waffenhandel, Versöhnung und Frieden für mich wichtige Themen. Zu meinen Informationsquellen zählt u. a. das Magazin Freiraum, herausgegeben von der Pressehütte in Mutlangen.

Diese hat übrigens keineswegs ausgedient, sondern ist heute ein Tagungs- und Seminarhaus im Selbstversorgerstil, das Interessierte mieten können. Vor sieben Jahren fotografierte ich in deren Vorgarten einen unvergesslich gestalteten Wohnwagen – siehe oben. Besucher aus allen Himmelsrichtungen kommen noch immer, um sich über die Arbeit in der Friedens- und Begegnungsstätte zu informieren und staunen über die schmucke Wohnsiedlung, die auf dem ehemaligen Stationierungsgelände der Pershing II entstanden ist, wozu auch die zweitgrößte Solaranlage Baden-Württembergs gehört.

Laien fällt es mitunter schwer, Gespräche über Waffenhandel, Rüstungs- und Friedenspolitik mit Politikern außerhalb des Kreises von Gleichgesinnten anzustrengen. Doch sie können sich eines Leitfadens für Gespräche mit Abgeordneten bedienen, der hier zu finden ist > Leitfaden Wie gesagt: Frieden „herrscht“ nicht automatisch, sondern ist vergleichbar mit einer Ehe, die bekanntlich auch nicht als Selbstläufer funktioniert, sondern unter anderem auf kontinuierlichem Bemühen und verlässlicher Kommunikation beruht.

Als ich einst – übrigens noch in meinem Mutlanger Büro – den Artikel „Verzeihen Sie sich selbst“ für Reader’s Digest schrieb, ahnte ich noch nicht, dass er einmal in ein Buch der Reihe WENN DER SEELE FLÜGEL WACHSEN aufgenommen würde. Besonders froh aber bin ich, dass der Band „In Frieden leben“* heißt und unter anderem Beiträge von Christian Nürnberger (über Rosa Parks) und Josef Quadflieg (über Bertha von Suttner) versammelt. Als Klammer um die insgesamt 20 Beiträge mahnt ein Zitat von Jean-Jacques Rousseau: Wollen wir in Frieden leben, muss der Frieden aus uns selbst kommen.


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* Das Buch kann nur von Reader’s Digest direkt bezogen werden: ISBN 978-3-89915-994-3

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Mrz 10 2014

Vielworterei und andere Unhöflichkeit

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag

Rabatt für Freundlichkeit – darüber berichtete heute die Landesschau Baden-Württemberg vom Stuttgarter Karlsplatz. Ein Kaffee-Verkäufer hatte die pfiffige Idee, seine Preise hochzusetzen, um dann aber auf das Zauberwort „bitte“ zwei Euro Nachlass zu gewähren. Dazu wurde mit einem Euro belohnt, wer das Gegenüber hinter der Theke mit einem „hallo“ begrüßte.

Das muffige Deutschland hat so was anscheinend nötig. Zufällig befragte Passanten sagten in Mikrofon und Kamera, sie fänden das gut. Man sollte insgesamt viel freundlicher miteinander umgehen.

Mich erinnerte das an die kurze Phase in meiner Kindheit, in der ich die Welt nach überflüssigen Worten durchforstete und diese von nun an weglassen wollte. Plötzlich sagte ich nicht mehr „guten Morgen“, denn was hätte das schon bewirken können. Meine Mutter guckte zwar indigniert, übersah meine Maulfaulheit aber großzügig. Als ich nach mehreren Tagen nicht gesprächiger wurde, lautete die These, ich sei eingeschnappt und würde auch wieder „ausschnappen“.

Das geschah auch bald, dennoch ist „small talk“ eine Kunst, für die ich ziemlich spät zu üben begann, denn in meinem Beruf als Journalistin entfielen alle Füllworte. Alles sollte kurz, knapp, eben „knackig“ sein. Sprache als Gleit- oder Schmiermittel – wie bei Moderationen geboten – lernte ich erst, als ich in Vorträgen darauf aus war, Aufmerksamkeit für ein Thema zu gewinnen. Sprache blieb für mich aber zuvorderst Transportmittel für Informationen, und noch heute unterschreibe ich die Maxime: Man hat eh genug damit zu tun, das Wesentliche zu erfassen und zu verarbeiten. Und Zeitungspapier ist teuer (und schwer, schönen Gruß an die AusträgerInnen!), man hat nicht unendlich viel Platz, um sich zu verbreiten.

Doch es gibt auch die umgekehrte Unhöflichkeit – zu viele Worte. Damit meine ich jetzt nicht jene, die man unfreiwillig in der S-Bahn zu hören bekommt, weil alle Welt in Mobiltelefone plappert, was das Zeug hält. Auch nicht jene ZeitgenossInnen, die im Wartezimmer von MedizinerInnen ungefragt ihre Lebens- oder Leidensgeschichte auftischen. Nein, ich meine die veröffentlichte Vielworterei, die die Sinn-Erfassung erschwert.

Lange genug haben sie mich geärgert – die Pressemitteilungen, deren Betreff mit dem Wort “Pressemitteilung” beginnt. Die halbe Zeile ist damit verbraucht, und ich weiß immer noch nicht, worum es gehen soll in solchen e-Mails, die ja schnellstmöglich News unter die Leute bringen wollen. Seit letzter Woche lasse ich deren AbsenderInnen wissen, wie lästig das ist. Darauf erhielt ich sogar schon freundlich-positive Rückmeldungen!

Die Brisanz von News ausbremsen mit dem langweiligen Wort „Pressemitteilung“ – immer wieder wundert es mich, dass Profis das übers Herz bringen. Oder sind es gar keine Wort-Profis, die Pressemitteilungen verfassen, Öffentlichkeitsarbeit zu verantworten haben? Klar: immer noch gilt die irrige Meinung: schreiben kann jeder! Es stimmt ja auch – irgendwie. Aber wenn ich etwas in die Welt posaunen will, muss das doch nach allen Regeln des Metiers geschehen, sonst verschmutzt es doch nur die Kommunikationskanäle, ohne sein Ziel zu erreichen. Das möchte ich gerne zum Zwecke der Höflichkeit und Effizienz wieder ins Gedächtnis rufen. Denn alles andere ist Zeit- und Energieverschwendung!

Noch nicht entschieden habe ich mich, ob ich mein Sprachgefühl jenen Laien aufdrängen möchte, die in Internet-Foren den Platz für Nichtigkeiten in den Überschriften vergeuden, obwohl sie womöglich etwas Wichtiges kundzutun hätten. Sie posten unbedacht Headlines, bei denen sich mir die Fußnägel rollen. Weil alles Interesse schmerzhaft auf die Streckbank gezogen wird, als sei der/die LeserIn an einer Sado-Maso-Folter interessiert. Anstatt schnell das Thema erfassen zu können, wurstle ich mich durch unnötig viele Worte.

Was soll zum Beispiel das Wort „Einladung“ in der Rubrik „Aktuelle Veranstaltungen“? eine Veranstaltung, die ohne Gäste stattfinden soll, würde doch hier nicht gepostet – oder? Und wenn dann noch ein „Event“ angekündigt wird, wird es mir echt übel! Denn alles ist ein Event, nämlich ein Ereignis. Nur die Spezifizierung lockt wirklich: ist es eine Städtereise oder ein Yoga-Wochenende? Auch eine Trauerfeier ist ein Ereignis oder der Abschied vom allseits beliebten Hausmeister im Hallenbad.

Unspezifische Begriffe sind des Hasen Tod. Augen und Verstand suchen, finden aber leider viel zu oft kein Futter für Ihre Vorstellungskraft. Ein Kuss kann ein Ereignis sein, ein Konzert oder eine Kundgebung. Aber von einer Kundgebung würde mich auch nicht interessieren, dass sie stattfindet, sondern wer spricht! “Kundgebung zum Frauentag” das ist für mich kein Magnet! Wenn aber zu lesen ist “Rita Süßmuth analysiert Wohlstandsentwicklung am … (Datum) in … (Ort), stachelt das meine Neugier an und ich lese weiter.

Was für ein „Event“, wenn eine Schlagzeile mit der Tür ins Haus fällt – und peng, alle fesselt. Und wie schön, dass der Wink mit dem Zaunpfahl – wenn das kleine Wörtchen „bitte“ zwei symbolische Euro Wert wird – Sympathie auslöst!

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Dez 08 2013

Köstlich: Ghost Konrad & sein Tabu-Job

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Kultur

Aufregend klingt der Titel nicht: „Der Bearbeiter“. Wir haben es hier aber mit einem Roman zu tun, der es faustdick hinter den Ohren hat! Einem geschmeidigen Roman, der mit wenig Personal auskommt, uns leichtfüßig unterhält und oft schmunzeln lässt, ohne dass seine Ironie aufdringlich wäre. Das Subtile an dem Stoff ist, dass wir ein Stückchen „Untergrund“ erfahren, denn der „Bearbeiter“ ghostwritert für Menschen, die an Hochschulen und Universitäten einen Titel erlangen möchten. Und so ist es logisch, dass er sich „Bearbeiter“ nennt, statt „Doktormacher“, denn in dem Geschäft darf niemand zugeben, je eine/r der Beteiligten gewesen zu sein.

Das Unaufgeregte hat also System. Ghostwriter sind das Gegenteil von jenen, die sich in den Vordergrund drängen. Mögen sie ächzen und stöhnen unter ihrer Arbeit, sich ihrer Macht bewusst sein – im Grunde verdingen sie sich in einem ziemlich eng anliegenden Korsett. Zumal Konrad Richter, dem wir 287 Seiten lang über die Schulter schauen dürfen. Er kennt nämlich seine Kunden nicht einmal, sie werden ihm vermittelt. Das hat Vor- und Nachteile. Der Schutz der Anonymität für Auftraggeber und -nehmer ist lukrativ für den Vermittler, die Kärrnerarbeit im Verhältnis dazu schlecht bezahlt.

Der Autor Wolfgang Klinghammer kennt sich in dem Geschäft aus, arbeitet selbst aus Ghost „auf verschiedenen Gebieten“. In einem Interview mit Jenapolis räumte er ein, dass der Roman teilweise autobiografisch angelegt ist, will ihn aber in erste Linie als „Wissenschaftssatire“ verstanden wissen. Denn der Wissenschaftsbetrieb mit all seinen Eitelkeiten und seiner Obrigkeitshörigkeit bekommt gehörig sein Fett weg. Hierzu sei das köstliche Probekapitel „Habermas“ www.derbearbeiter.de/ empfohlen – 14,5 Minuten kann man sich hier einhören.

Seitenhiebe gibt es aber auch auf ein Intelligenznetzwerk, das „Pi“ (es könnte sich in unmittelbarer Nachbarschaft von „Xing“ tummeln), das jeden mit einem IQ von 130 und mehr willkommen heißt. Und weil Ghosts ja im stillen Kämmerlein writern (wenn sie mal nicht Bibliotheken durchkämmen und kostbare Zeit am Kopiergerät verbringen), streckt Konrad hier neugierhalber seine Fühler aus. Auch das ist eine vergnügliche Schiene, die dem Buch einige Würze hinzufügt.

Überhaupt: Wo geht die Reise hin, wie entwickelt sich der Held? Schreiben ist ein sehr einsames Geschäft, über das man in diesem Fall nicht einmal kommunizieren darf. Wird er gefährlich und lässt jemanden auffliegen? Dann adieu Broterwerb hinter den Kulissen! Denn Diskretionsverletzungen sprechen sich in dieser Branche unweigerlich herum. Trotzdem ist da ein Spiel mit dem Feuer, das als Lesebeschleuniger funktioniert. Und noch etwas umkreist schließlich den eher zurückhaltenden Konrad Richter, so dass wohltemperierte Spannung aufkommt und wir auf ein Happyend hoffen.

Ein wichtiges Buch, das ein Tabu unverkrampft beschreibt, unverzagt den Finger in mehrere Wunden legt und damit die Mundwinkel frohgemut nach oben zieht.

Wolfgang Klinghammer: Der Bearbeiter. Paperpack: 287 Seiten, Macciato-Verlag, ISBN 978-3-940721-16-7, EUR 16,50

Interview zur Tätigkeit eines Ghostwriters > http://www.jenapolis.de/2011/04/interview-mit-einem-jenaer-ghostwriter/

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Nov 03 2013

Lohnt sich > Nova, Dummy & Reportagen

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Logisch, dass ein Blog wie dieser Medienbeobachtung ernst nimmt. Heute soll es um drei Zeitschriften gehen, die herausragen aus der Medienlandschaft:

                                   Nova, Dummy und Reportagen.

„Nova“ nennt sich ein Frauenmagazin mit Eigensinn, das reflektieren und inspirieren will – ohne der gängigen Nabelschau zu huldigen. Lieber zu sich stehen, zur eigenen Einzigartigkeit, als alles mit dem Gedanken an „Optimierung“ zu unterlegen. Dazu soll es Ermutigung geben, was sich in der ersten Ausgabe 1/2013 andeutet und nach Fortsetzung ruft. Doch wie es weitergeht, hängt von den Finanzen ab. Das Magazin wird von Marietta Duscher-Miehlich und Birte Pütjer im Eigenverlag herausgegeben und kommuniziert auch via Facebook mit seinen LeserInnen. Wünschen wir ihm also nicht nur gute Geschichten, sondern auch geschäftlichen Erfolg, damit Nova (5,90 €) auf dem hart umkämpften Zeitschriftenmarkt nicht verdörrt. https://www.facebook.com/Nova.Magazin.de

„Dummy“ hat schon zehn Jahre auf dem Buckel und lässt seine Jubiläumausgabe von 40 Grafikern gestalten, was kein Schongang fürs Auge ist, aber als interessantes Experiment zwischendurch hingenommen werden kann. Die Dummy-Macher haben herausgefunden, dass man der Leserschaft auch mal etwas zumuten kann und es nicht nötig ist, den Leser entsprechend der beliebten Medien-Maxime immer brav da abzuholen, wo er gerade steht. Weichgespültes sucht man vergeblich in dem „Gesellschaftsmagazin“, das pro Ausgabe ein Thema ausleuchtet und sich dazu jeweils einen anderen Grafikdesigner gönnt. „Dummy“ (6 €, vier Ausgaben pro Jahr) gibt sich bewusst eckig und kantig, bietet Lesestoff zum Schmunzeln, Staunen, Irritieren und wird in seiner Nische wahrscheinlich weiterhin genügend Fans finden, die ihm die Treue halten. http://www.dummy-magazin.de

Freunde von Reportagen kommen bei „Reportagen“ (15 €, sechs Ausgaben pro Jahr) auf ihre Kosten. Dieser Journalismus der Extra-Klasse verkauft sich nun schon seit zwei Jahren als „Weltgeschehen im Kleinformat“ (fast ein Buch); das strenge Layout stellt bewusst das geschrieben Wort in den Vordergrund, verzichtet auf Fotos, Illustrationen werden sparsam eingestreut. Jeweils sechs Reportagen entführen in alle Kontinente. Spannend auch die historische Reportage, die in jeder Ausgabe zeigt, was zeitlos fesselt oder wie ggf. das Genre sich entwickelt hat. Aktuell meldet die Publikation in ihrem Blog (http://www.reportagen.com/blog), dass Reportagen den Design-Preis 2013 der Schweiz erhält und Mafioso außer Dienst” von Sandro Mattioli sowie “Der Mörder als Pfleger” von Claas Relotius (Ausgaben Nr. 11 und 9) für den Deutschen Reporterpreis 2013 nominiert sind. Die Entscheidung fällt am 2. Dezember. Deutsche LeserInnen mögen erstaunt sein über den stolzen Preis, doch die Publikation wendet sich keinesfalls nur an gut verdienende Eliten!

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