Aug 20 2014
Alte Liebe: “Nachrichtenzeit”
Alte Liebe rostet nicht. Auch nicht die zu jenen Büchern, die man besonders schätzt. So zog ich angesichts der neuen Kämpfe in Israel abermals „Nachrichtenzeit“ – die „unfertigen“ Erinnerungen von Wibke Bruhns (Droemersche Verlagsanstalt) – aus dem Schrank. Ich erwähnte es unter der Überschrift >> Aus den Nähkästchen: Vom Blauflossenthunfisch über Wolf Schneider zu Wibke Bruhns << bereits am 21.9.2012 in diesem Blog. Da ich Bruhns’ Gespräche und Erfahrungen in Israel – sie war dort als Korrespondentin für die Zeitschrift „Stern“ – interessant finde, wollte ich mich ein weiteres Mal vertiefen in den Konflikt, über den sich schon viele kluge Menschen die Köpfe zerbrochen haben. Bruhns’ Eindrücke empfehle ich gerne nochmal. Hier meine komplette Rezension:
Woher der lange Eugen seinen Namen hat
„Nachrichtenzeit“: Wibke Bruhns’ Erinnerungen sind eine wahre Fundgrube für politisch Neugierige
Persönliche Marotten, Verstrickungen und Schicksalsschläge scheinen bei der Fülle von Erlebnissen und Begegnungen, auf die Wibke Bruhns in den „unfertigen Erinnerungen“ zurück blickt, nur Beiwerk zu sein. Die Journalistin erzählt in „Nachrichtenzeit“, was man von diesem Berufsstand erwartet: interessante „Geschichten hinter den Geschichten“.
Sie hatte die Qual der Wahl, und anhand ihrer Fotosammlung nennt sie etliche Personen, über die sie auch etwas hätte „aufschreiben“ können. „Jeder malte seine Tupfer in unsere Welt. Schöner Beruf!“ Und an anderer Stelle: „Das war das Schöne an meinem Beruf: Wenn ich etwas wissen wollte, konnte ich mir die Antwort selber holen.“ Diese Neugier und Freude am Beruf bestimmt Wibke Bruhns. Zur beruflichen Leidenschaft gehörte immer, klug auswählen zu können. Und so gelingt ihr mit dieser Reise in die Vergangenheit sowohl das Vordringen in komplizierte Begebenheiten und Zusammenhänge – wie zum Beispiel in Nahost, wo sie als Korrespondentin des Magazins „Stern“ arbeitete – als auch der Versuch, Atmosphärisches prägnant zu verdichten. Vermeintlich Heikles – wie das Gerücht, sie sei Willy Brandts Geliebte gewesen – rückt sie unaufgeregt zurecht.
In die Mediengeschichte ist Wibke Bruhns, geboren 1938, als erste Frau eingegangen, die im westdeutschen Fernsehen Nachrichten präsentierte. Das war 1971. Zuvor hatte sie ihr Volontariat bei der Bild-Zeitung „aus politischen Gründen“ abgebrochen. Für beides braucht man Mut. Und den bewies Wibke Bruhns auch, als sie sich als Wahlkampfhelferin für Willy Brandt parteipolitisch betätigte, was für Journalisten ja nicht unbedingt als schicklich gilt. Doch damals tickte die Welt noch ein bisschen anders als heute.
Wibke Bruns erinnert uns an eine Zeit, in der es noch strittig war, ob man DDR mit oder ohne Gänsefüßchen schreiben solle oder müsse. Viele dieser „Kleinigkeiten“ leben wieder auf bei der Lektüre von „Nachrichtenzeit“: nach wem der „lange Eugen“, das Abgeordnetenhaus in Bonn, benannt wurde; wie sich die Müllwerker 1975 dank ÖTV-Chef Heinz Kluncker elf Prozent mehr Lohn erstreikten und dass Martha Nannen, Ehefrau des Chefredakteurs Henri Nannen, ausschlaggebend dafür war, was als „verständlich“ im Stern gedruckt werden durfte. „Große“ Angelegenheiten wie die Hintergründe um die Guillaume-Affäre und die gefälschten Hitler-Tagebücher („Hitler sells.“) werden kompakt aufbereitet. Allein die Kompliziertheit der Auseinandersetzungen in und rund um Israel ist an manchen Stellen nur für jene auf Anhieb leicht zu verstehen, die bereits mit der Materie vertraut sind.
Mut muss Wibke Bruhns auch privat gehabt haben. Ihre Töchter, geboren 1966 und 1968, führten sie in die Kinderladenbewegung, aber die Nähe zum Beruf blieb. Als ihr Mann nach zwölf Jahren Ehe 1977 stirbt, will sie weg aus Hamburg: „… ich musste mein Leben umkrempeln, um damit zurechtzukommen.“ Als sie vom Stern grünes Licht hatte, als Korrespondentin in den Nahen Osten zu gehen, entschied sie sich für Jerusalem. Zuvor hatte sie gründlich erwogen, ob sie dies ihren Töchtern zumuten konnte: „Ihnen war in Deutschland beigebracht worden, alle Menschen seien gleich. Hier lernten sie: Alle Menschen haben ein Recht darauf, verschiedenen zu sein.“
Sätze wie diese machen deutlich, wie wohltuend es ist, eine Haltung entwickeln und vertreten zu können. Denn auch das gehört zu den „unfertigen Erinnerungen“: kein Tratsch, nur symptomatische Fakten werden so knapp und plausibel wie möglich dargelegt. Bei allem, was sie für berichtenswert hält, gibt Wibke Bruhns Orientierung und erfüllt damit die Lotsenfunktion, die Journalismus haben soll. Sehr erstaunt ist sie deshalb über ihre Erfahrungen bei Pressekonferenzen des US-Präsidenten. Die nennt sie „Darbietungen“, bei denen die Stühle den US-Medien gehörten, ausländische Journalisten mussten stehen und durften keine Fragen stellen. So war es auch bei Auslandsreisen des Präsidenten arrangiert. „Der Kontinent USA ist sich selbst genug, und Auslandsreisen des Präsidenten sind Innenpolitik.“ Bedarf an Analysen über das jeweilige Land und die die Beziehung zu ihm? Fehlanzeige!
Ab 1984 ist Bruhns als Stern-Korrespondentin in den Vereinigten Staaten. Ein Jahr zuvor waren die Pershing-II-Raketen in Deutschland stationiert worden. Die Proteste gegen die nukleare Abschreckung verebbten hierzulande nicht. Was lag näher, als für den Stern zu recherchieren, wo das „Teufelszeug“ herkommt, wer die Waffen baut. Die Jahre in Israel – viele Religionen auf engstem Raum – im Hinterkopf, will Bruhn aber auch herausfinden, welche Glaubensgemeinschaften in den USA sich im „Besitz der Wahrheit“ wähnen und wie sie leben. Das spannende Kapitel beendet sie mit dem Hinweis, dass US-Politiker gerne ihr „inniges Verhältnis zu Gott als politische Waffe“ benutzen und hierbei der Begriff „Wahrheit“ anders aufgeladen ist als wir es kennen.
Ein wirklich großes und grundlegendes „Abenteuer“ halbprivater Natur durchlebte Wibke Bruhns, als sie die Geschichte ihrer Familie erforschte. Darüber reflektiert sie im letzten Kapitel von „Nachrichtenzeit“. Das Ergebnis heißt „Meines Vaters Land“ und findet seit 2004 viel Beachtung, weil hier eine interessante Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte gelingt.
Damit schließt sich der Kreis, denn zum Auftakt von „Nachrichtenzeit“ schildert sie, wie ihre Mutter nach dem Krieg als Alleinerziehende mit fünf Kindern das Überleben zu organisieren hatte und davon ständig überfordert und erschöpft war. Die Nazis hatten ihr nichts von dem einstigen Vermögen in Halberstadt gelassen, nachdem ihr Mann, der Kaufmann Hans Georg Klamroth, 1944 wegen Hochverrats hingerichtet worden war. Er wurde als Mitwisser des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli verurteilt. Else Klamroth war mittellos: „Selbst die Kosten für die Hinrichtung – die kamen per Rechnung! – hatte sie sich leihen müssen.“
Als Kind einer der „Regisseure des Dolchstoßes“ – dieser Vorwurf hielt sich nach 1945 hartnäckig – zeigte sich die kleine Wibke zwar hart im Nehmen, war aber keineswegs gegen Einsamkeit, Heimweh und schmerzliche Niederlagen gefeit. Aber sie schlug sich tapfer und staunt, welchen Einfluss ihr Vater, den sie gerne persönlich besser kennengelernt hätte, trotz seines frühen Todes noch heute auf ihr Leben hat.
PS.: 1982 erschien bei Gruner & Jahr “Mein Jerusalem” von Wibke Bruhns und Amos Schliack (Fotograf).