Jul 12 2021

Von oben schauen

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Mir einen Blick aus dem Weltall auf die Erde gönnen – warum will ich das nicht? Weil die Erde auch ohne diesen Blick auskommt, und ich von da oben nur nach den Regenwäldern Ausschau halten würde, die wir uns abzuholzen anmaßen. Ja, das Wort „Anmaßung“ hat im Zusammenhang mit diesem Abenteuer den richtigen Klang.

„Machet Euch die Erde untertan“ – dieser Aufforderung ist der Mensch über Gebühr nachgekommen. Und wenn wir schon von „Deals“ geleitet sind, müsste für Unternehmen wie private Weltraum-Vergnügen der doppelte Preis erhoben werden, damit davon die Hälfte für die Rettung bedrohter Arten abgezweigt werden kann.

Aber das letzte Wort wird in dieser Angelegenheit sowieso noch nicht gesprochen sein. Beobachten wir also weiter, wie wir uns mit dem Klima plagen, mit Veränderungen schwertun und meist immer an jenen sparen, die sich schlecht wehren können.

Sommerfrische
Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.
 
Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser.
Weil`s wohltut, weil`s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.
 
Und laß deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiss dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf

Joachim Ringelnatz (geb. 1883 in Wurzen als Hans Gustav Bötticher; † 1934 in Berlin)
Kurt Tucholsky, 1907 – 1935    

Über den Dächern
Über den Dächern
schwebt Rauch
und ein sanftes Gebimmel
klingt von den Türmen der Stadt.
Meine Sehnsucht fliegt in den Himmel.
Wie es durch das Fenster zieht … !
 
Wozu arbeiten?
Wozu tätig sein?
Wozu in die Versammlungen gehn?
Ich habe nur meine beiden Hände.
Was steht am Ende –?
Das habe ich an Vater gesehen.
Wie es durch das Fenster zieht … !
 
Diese Dachkammer hat der alte Mann.
Dafür fünfundfünfzig Jahre
Arbeit, keinen Tag Urlaub,
Sorgen und graue Haare.
Meine Gedanken hängen am Horizont –
 
Wo ist unser Glück … ?
Und da kommen plötzlich alle meine Gedanken zurück.
Gleich springe ich auf die Beine
und werfe die Arme um den Leib,
weil mich friert …
Ich bin nicht mehr allein.
 
Wir sind stark, wenn wir zusammenhalten:
die Starken und Schwachen, die Jungen und Alten.
Wenn nur der Wille fest bleibt und unsere Partei.
Da bin ich dabei.
Noch einmal sehe ich über die Stadt
und die Dächer …
Schon mancher hat mit trocken Brot und armseligem Essen
in so einer zugigen Dachkammer gesessen.
Mancher, der nachher ein Reich erobert hat.

Aus: lerne lachen

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Jul 08 2021

Wir schreiben uns das Leben bunt!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

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Jun 09 2021

Wenn der Teppich schmollt statt fliegt

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Ach du mein Teppich du. Fliegen sollst Du. Wie die Wörter. Überall surren sie umher, öffnen Fenster und Schränke. Neue Welten werden sichtbar. Ein Festival der Impulse, Fantasie & Kreativität! Und was machst Du statt dessen? Du streikst. Angeblich, weil ich Dich nicht geachtet habe. Wie kann ich jemanden achten, der sich mit Käfern abgibt und Läuse beherbergt. Du meinst, die würden längst das Weite gesucht haben, wenn wir öfter geflogen wären? Hätte, hätte, Fahrradkette. Alles Ausreden. Beleidigte Leberwurst!

Was war das eben? Du beklagst, dass ich Dir Deinen Partner weggenommen habe? Dass Du dem immer noch nachheulst. Nicht mal seine Farbe passte zu Dir. Und dann sein Zustand – zunehmend hochnäsig. Verwöhnt durch zu viele exotische Flugziele. Kam nicht mehr auf den Boden der Tatsachen. Rezitierte jeden Abend anstrengende Gedichte.

Waaas? Ich hätte ihn besser pflegen sollen? Ja womit denn? Gegen Shampoo war er allergisch, den Staubsauger hat er gehasst und fauchend vergrault. Mit Streicheleinheiten und gut zureden hatte ich es lange genug versucht. Selbst seine Fransen habe ich anfangs gekämmt. Ja, niedergekniet bin ich und habe mich um seine Schönheit und Fitness bemüht. Doch ich kriegte keine Verbindung zu ihm. Zuletzt waren wir beide frustriert. Jetzt ist er in guten Händen und hat ein luxuriöses Plätzchen mit Zuhörgarantie.

Und jetzt Du. Trittst Du womöglich in seine Fußstapfen? Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum, sagt man. Ja, schüttle Dich nur. Zeige Wellenbewegungen wie bei einem Orgasmus. Du machst mir nix vor. Du bist nicht flugbereit. Du schmollst lieber und hältst es mit dem Kleinvieh, das Dich in der Wolle krault.

Ich soll Dich davon befreien? Oh Schreck, bin ich allmächtig? Oder soll ich womöglich Umweltgifte einsetzen? Da kommen mir die Kinder auf den Hals. Die wollen eine Zukunft haben, keine Pestizide auf den Äckern und anderswo. Die demonstrieren sogar gegen Fleischverzehr. Der Klimawandel ist denen zu Kopf gestiegen!

Dir ist es auch zu warm und zu stickig? Wie bitte? Ist das Dein Argument, nochmal in luftige Höhen aufzusteigen? Schon wieder Wellenbewegungen. Ich versteh Dich nicht. Wir haben uns auseinandergelebt. Oh, Du hebst ab. Zwei Zentimeter, drei, vier, fünf … Ey, was soll das? Wenn ich jetzt aufspringe, wohin werden wir fliegen? Ahhh – Du siehst die Gruppe da vorne. Der willst Du hinterher? Also wenn es nicht zu lange dauert, komm ich mit, verzeihe Dir Deinen Streik. Aber es müssen nette Menschen sein, denen Du unsere Gesellschaft anbietest. Bis jetzt sehe ich nur eine mit Bubikopf, die emsig etwas notiert. Daneben fliegen zwei, die fangen Buchstaben ein. Dahinter noch vier, die jonglieren mit ganzen Worten. Meinst Du, die spielen „kreativ schreiben“? Komm, lass uns näher ranschweben …

*** “Wörter wie fliegende Teppiche” heißt mein aktueller Kurs an der VHS Schorndorf. Er gestaltet sich sehr abwechselungsreich und findet im Herbst seine Fortsetzung. https://www.vhs-schorndorf.de/ Sobald die Termine in “trockenen Tüchern” sind, stehen sie auch auf meiner homepage unter “Veranstaltungen”. Ein zweites Angebot ist das Experiment “Wir schreiben ein Buch”. Vorab-Informationen hierzu bitte anforden über info@memoreporting.com

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Mai 20 2021

Auf der Höhe der Zeit

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Der “Tag des Fremdworts” (heute) erinnert daran, dass die Welt noch nie einfach und leicht durchschaubar schien und man sich zu jeder Zeit adäquat ausdrücken musste. adäquat = angebracht, angemessen, entsprechend, geeignet.
Der Tag erinnert mich aber auch daran, dass ich früher Menschen bewunderte, die gerne und viele Fremdworte verwendeten. Das verhieß einen gewissen Grad an Bildung, der als erstrebenswert galt.

Doch bald offenbarte sich hier ein zweischneidiges Schwert. Manche Menschen benutzten Fremdwörter, um unter sich zu bleiben, als eine Art Ausweis für ihre Zugehörigkeit zu einer Kaste. Kasten waren aber doch abgeschafft, oder?

Wenn ich als junge Volontärin einen Artikel geschrieben hatte und er klang kompliziert, durfte er nicht in die Technik zur Weiterverarbeitung (wir tippten die Manuskripte an manuellen Schreibmaschinen auf Papier), bevor ihn unsere Raumpflegerin abends gegengelesen hatte. Ihre Berufsbezeichnung hieß damals noch “Putzfrau”. Und erst wenn sie den Text verständlich fand, durfte ich ihn in den Satz geben. Dann war ich stolz darauf, die richtigen Worte gefunden zu haben. Korrekturen waren manchmal nötig und fielen dank ihres “Feedbacks” leicht. (Wer sagt eigentlich heute noch “Rückmeldung”?)

Unvermeidlich bin ich inzwischen auch in die “Kaste” gerutscht, in der munter Fremdwörter verwendet werden. Dennoch tut diese Prägung mit dem Stichwort “Putzfrau” weiterhin ihre Wirkung. Ich schlage öfter nach, wenn ich bei einem Fremdwort zögere (oder stolpere), weil ich entweder a) seine Bedeutung nur “so ungefähr” weiß und/oder b) es doch lieber so ausdrücken möchte, dass das Fremdwort überflüssig wird.

Oft genug kämpfe ich mit der Einsicht, dass es einer “Umstandskrämerei” gleicht, alles “übersetzen” zu wollen. Aber die kritische Selbsthinterfragung, wann etwas Imponiergehabe, unreflektierte Routine oder zu hohem Grad notwendig ist, schärft meine Auseinandersetzung mit der Sprache laufend. Eine Leidenschaft, mit der ich gerne andere Autor:innen anstecken möchte. Transparenz wird allseits reklamiert und ist ein Grundstein der Demokratie. Wie eine hoch angesehene Tugend, die als Leitmotiv verfolgt: “Auf der Höhe der Zeit und dennoch verständlich bleiben.”

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Mrz 21 2021

Sich aus dem Schneckenhaus trauen – trotz social distancing

Autor: . Abgelegt unter Alltag

Ihre Kolumnen klingen stets er- und aufmunternd. Kein Wunder, versteht sie sich doch als „Reiseleiterin ins unsichtbare Innere“ >> Tina Peel, die in diesem Blog schon am 3. Feb. 2017 von ihrer Arbeit als Lebensberaterin und Astrologin sagte: „Es reicht nicht, den Verstand zu füttern.“  Inzwischen hat sie ihr Buch „Partnerschaft – der Schleichweg zum Ich“ in dritter Auflage veröffentlicht.

Ich wollte von ihr wissen:  >> Was ist aus Deiner Sicht als Astrologin das Besondere an diesem Jahr?

Tina Peel. Saturn meint im Wassermann, dass es sehr darauf ankommt, von welcher «Couleur» die Art unseres Denkens ist. Mehr Disziplin im Denken und klarere Lenkung der Gedankenpferde wird unter diesem «Stern» von uns auf jeden Fall verlangt. Damit steht und fällt denn auch, wie erleichternd und befreiend sich für jeden Einzelnen das Jahr 2021 gestaltet. Realität ist bekanntlich nichts Fixes und sehr individuell, das sollten wir nicht vergessen. Übung macht den Meister, und Saturn unterstützt unsere Bemühungen diesbezüglich auf jeden Fall.

Ist Verunsicherung ein größeres Thema als in vergangenen Jahren?

Peel. Verunsicherung ist IMMER ein Thema. Und auch da rät Saturn im Wassermann, die Position des neutralen Beobachters einzunehmen, denn mit Abstand sieht man mehr. Es ist eine Sichtweise, die man sich Schritt für Schritt erarbeiten muss. Doch es lohnt sich. Auch Jupiter, zurzeit ebenfalls im Wassermann, bläst ins gleiche Horn. Betrachten wir alles in einem größeren Rahmen, erkennen wir erst den Sinn darin. Es ist also eine gute Zeit, neue Sichtweisen zu wagen, um Einsichten und mehr Überblick zu erhalten.

Social distancing – das dämpft, wie allseits erlebbar ist. Welche Extreme könnten passieren, wenn die Ventile wieder geöffnet werden dürfen?

Peel. Die einen stürzen sich wahrscheinlich umso mehr ins Getümmel, so wie letzten Sommer. Nachholbedarf. Andere wiederum entwickelten sich dadurch zu echten Einsiedlern und finden den Zugang nicht mehr. Je länger ein Rückzug dauert, umso menschenscheuer kann man werden, wie es an älteren Semestern oft erkennbar ist. Alles ist zu viel, zu laut, zu aufregend.

Was kann man aktiv tun, um Vertrauen zu stärken?

Peel. Sich aus dem Schneckenhaus trauen und offen und hartnäckig freundlich auf die Außenwelt zugehen. Das tut nicht nur anderen gut, sondern auch uns selbst. Und … das Echo ist entsprechend positiv. Das Vertrauen wächst dann analog dazu von selbst.

Aus dem Schneckenhaus trauen? Mehr Briefe schreiben und telefonieren?

Peel. Egal wie, Hauptsache dass! Jeder hat da seine Vorlieben. Und wer wirklich bereit ist, sich einzulassen, findet immer einen Weg, wie es ihm gelingt. Auch hier gilt: Je weniger wir uns auf eine Form versteifen, umso größer und vielfältiger sind doch die Kontaktchancen.

Vielen Dank für das Interview! Weiteres ist nachzulesen auf > http://astro-lebensberatung.ch/

>> In eigener Sache: “kreativ schreiben” in Schorndorf läuft am 24.3.2021 online an (via Zoom), für den Herbst konzipiere ich vorsichtshalber überwiegend online-Angebote. Näheres dazu jeweils aktuell unter https://journalismus-und-mehr.com/2punkt0/category/veranstaltungen/

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Jan 20 2021

langsam – schnell – langsam, wieviel Vorlauf braucht der Fortschritt?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

„langsam leben“ wird propagiert, slow food ist „in“ und „German Gemütlichkeit“ können die meisten US-Amerikaner selbst dann aussprechen, wenn sie keine Vorfahren aus Bayern oder der Eifel haben. In rasantem Tempo emporschnellend hingegen bei Corona das Interesse an den jeweils neuesten Zahlen, Erkenntnissen und Maßnahmen. Sehr viele Kräfte im Journalismus überschlagen sich sogar, um viel „Input“ auszustoßen – sei dies nun solide und damit nützlich oder nicht. Schnelligkeit vor Qualität?

Einsamkeit assoziiert man mit der langsamen Seite des Lebens. Die Zeit tröpfelt dahin, nicht selten ziehen sich Sinnfragen zäh durch den Alltag. Vor Jahresfrist berichtete ich über das erste Ministerium in England, das zuständig ist für diesen Zustand, der nicht gesundheitsfördernd ist. (Hier noch ein älterer Bericht darüber > https://www.deutschlandfunk.de/grossbritannien-ein-ministerium-leistet-pionierarbeit.795.de.html?dram:article_id=455902  Sich nicht treffen können, macht zwischendurch einsam – auch wenn man noch so viel telefoniert, mailt, skypt. Das Netzwerk existiert weiterhin, aber Distanzhalten strapaziert, Unwägbarkeiten nerven, ewig Vorsichtigseinmüssen verbraucht Energie, stellt unsere Geduld auf eine harte Probe. Das ist hinlänglich bekannt. 

Ins Rampenlicht geriet einiges, dass zwar als bekannt gelten durfte, aber nun umso greller ins Bewusstsein drängte: Geld ist genug vorhanden. Während man früher um 50 Cent mehr für Hartz-IV-Empfänger stritt … Wir müssen das an dieser Stelle nicht wiederholen. Aufgehoben habe ich ein Interview mit Herbert Grönemeyer in der ZEIT vom 5. November 2020, in dem er die Reichen zur Solidarität mit den Kreativen auffordert. In der gleichen Ausgabe wurde Lisa Federle vorgestellt, eine kämpferische Notärztin in Tübingen, die bereits im März 2020 (!) ihren Wohnwagen zu einer mobilen Corona-Testpraxis umbaute. „Es gibt Dinge, wichtige Dinge, die können nicht warten. Irgendjemand muss anfangen“, wird sie zitiert. Für ihr beherztes human-medizinisches Engagement (das schon während der Flüchtlingsströme 2015 vielen Menschen half) bekam sie vom Bundespräsidenten das Verdienstkreuz am Bande.

Beispielhaft! Wie viele positive Ansätze und Aktionen mag es geben in unserer Republik, die einen lose geknüpften Flickenteppich bilden, Anstöße liefern, mahnen und vorbildlich Energie einsetzen – und dennoch behält das Zögerliche (und oftmals leider auch die Ignoranz des Notwendigen) die Oberhand – von den “knausrig” bestellten Masken und Impfstoffen bis hin zur Maßnahmen gegen die Popularisierung, Erderwärmung usw. Was alles muss passieren, damit die Welt sich ändert?

Ganz besonders traurig werde ich bei der Debatte um „home office“, habe ich doch schon vor etwa 25 Jahren darüber für DAS BESTE einen Artikel aus Amerika adaptiert, der die Vorteile dieser Arbeitsweise deutlich machte. Mitnichten war ich die einzige, die dies thematisierte. Aber genauso wie meine jahrelange Anti-Mobbing-Berichterstattung böse Angriffe nicht verminderte, meine Journalismus-Kritik die Wiederholungen des zu Einseitigen, zu Vordergründen nicht eindämmte, ist auch vieles andere verpufft, das positive Impulse transportierte, zu sinnvollen Veränderungen ermutigte etc. Pionierleistungen wie die von Lisa Federle oder Apelle von Herbert Grönemeyer konnten nicht die ihnen gebührende Durchschlagskraft entwickeln – gegen Behäbigkeit scheint ganz wenig Kraut gewachsen zu sein. „Schade“ ist ein viel zu milder Ausdruck dafür! Als passender Musiktitel dazu fällt mir „3 Schritte vor und 2 zurück“ (1972) von Petra Pascal ein, anzuhören hier > https://www.youtube.com/watch?v=DoKwg95Kt4o – den Text findet man hier > https://www.lyrix.at/t/petra-pascal-drei-schritte-vor-und-zwei-zuruck-017

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Dez 26 2020

Besinnen, ordnen, archivieren …

Autor: . Abgelegt unter Sonstiges

Mitunter findet man alte Schätzchen, die immer noch aktuell sind. Wie dieses hier >>

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Nov 04 2020

Nachvollziehbare Bahn

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

„Haben Sie eine Kundenkarte?“ Die Kassiererin ist nicht sauer, als ich den Kopf schüttle, und zieht die Artikel über den Scanner. Ich möchte nicht, dass ein Konzern registriert, was ich konsumiere. Im Versandhandel kann ich allerdings nicht ausweichen, wenn gewisse Umstände zu Bestellungen dort Anlass geben. Oder haben Sie schon mal in einem Geschäft eine Nasenbrücke gesehen, die man unter die Mund-Nasen-Maske schiebt, damit die Brille nicht beschlägt? Wenn ja, kostete die dort ebenfalls nur 2,17 €? *

Allerdings verdichten sich nun ausgerechnet bei Amazon, dem vielkritisierten Konzern, die Anzeichen, dass ich im Moment eifrig auf kriminellen Pfaden unterwegs bin. Begonnen hat das mit dem Roman „Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl“ von Jürgen Neffe, gefolgt von „Tod und Irrtum“ (historischer Roman von Elke Weigel) und „Begegnungen mit einem Mörder“ von Steffen Schröder sowie jüngst „Unheil: Warum jeder zum Mörder werden kann“ von Josef Wilfling. Ich könnte diese Kette leicht erklären und auch darauf verweisen, dass ich parallel dazu andere Bücher aus der Bücherei entlieh und weitere in meiner örtlichen Buchhandlung kaufte (also nicht einseitig lese). Aber wen interessiert das? Allein die Tatsache, dass ich vor dem Einschlafen liegend einen Krampf in der Hand kriege, wenn ich gedruckte Bücher lange vors Gesicht halte, beschert Amazon jenen Umsatz, denn ich eigentlich dem Einzelhandel gönne. (Wobei man wiederum philosophieren mag, ob es nicht grundsätzlich „gesünder“ ist, sich etwas liefern zu lassen, anstatt vermeidbare Fahrten zu Einkäufen vor Ort zu unternehmen.)

Doch dieser Tage geht es sowieso um das Nachvollziehbare, weil Infektionsketten unterbrochen werden müssen. Man merke sich also (Achtung satirisch!), an wem man in der Fußgängerzone vorbei läuft und wer im Supermarkt zu nahe an das Regal herantritt, an dem wir gerade Preise vergleichen, Inhaltsangaben auf Verpackungen lesen etc. Wir sind also auf der Hut, falls wir nicht von den Zweifeln der Corona-Leugner infiziert sind.

Dieses ständige Aufderhutsein ist jedoch anstrengend und begünstigt Misstrauen: Warum hustet der Mensch in der Nachbarwohnung heute schon zum zweiten Mal laut und vernehmlich? Woher kommt Herr Müller von gegenüber, der gerade mit einem Rollkoffer einem Taxi entsteigt? Leben die zwei Händchenhaltenden an der Fußgängerampel wirklich im gleichen Haushalt? Grrr – die Anspannung ebbt an keinem Schauplatz ab! Vielleicht mag man sich bald selbst nicht mehr leiden mit all der Skepsis und dem Abgekapseltsein.

„Bleib negativ“ ist inzwischen ein vielgehörter Abschiedsgruß. Natürlich bezogen auf das Virus. Ein Wunsch mit Widerhaken, wenn man ihn erstmals hört. Möge er zum Gegenteil anstacheln, nämlich auf der Suche nach Positivem nicht nachzulassen, um dadurch das Bedrückende in den Hintergrund treten zu lassen. Dafür eignet sich besonders das Eintauchen in Literatur! In diesem Sinne darf auch die Lust auf Mord und Totschlag grassieren; der Krimi-Markt ist reichhaltig bestückt – unter anderem präsentiert  Schorlau eine neue Herausforderung für seinen Privatermittler Georg Dengler während „Ein abgezockter Sauhund“ (Cover siehe oben) von Roland Krause uns eintauchen lässt in die Szene von Münchner Kleinkriminellen bei der Jagd nach Diebesbeute & last but not least (Schwenk in ein anderes Genre und und in die Vergangenheit) lesen sich die „Spiegeljahre“ von Felix Huby fast wie ein Krimi.

* Preisfrage: Darf man überhaupt so billig einkaufen? Wer in der Produktionskette wird hierbei am meisten ausgebeutet? Unbeschwert konsumieren fühlt sich anders an.

PS.: Ungewöhnlich, aber lohnend-aufschlussreich fand ich Patrizias Schlossers „Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich“ (Cover siehe oben): Wer sind die letzten drei aktiven Mitglieder der RAF, die immer wieder bewaffnet Supermärkte und Geldtransporter überfallen? Wie überleben sie “im Untergrund”? Und gehören sie überhaupt wirklich zur RAF? Gemeinsam mit ihrem Vater, einem grantelnden bayerischen Polizisten in Rente, macht sich Patrizia Schlosser auf die Suche nach ihnen. Sie trifft Anwälte und Ermittler, ehemalige Weggefährten und RAF-Mitglieder und erhält so Einblick in eine verschwiegene Szene. 

>> Wer übrigens selbst einen Krimi schreiben und dazu Fachliteratur zu Rate ziehen will, ist gut bedient mit “An Arsen bis Zielfahndung – Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige” von Manfred Büttner und Christine Lehmann. Auf vergnügliche und spannende Weise entschlüsseln sie die Krimiwelt, entlarven Märchen und Vorurteile. Sogar die trockensten Aspekte der Polizeiarbeit fand ich einprägsam erklärt, zumal die Fakten mit süffigen Beispielen aus Literatur und Film aufgelockert sind.

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Okt 13 2020

Zwischenruf!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Fast hätte ich zu spät geschnallt, dass mein „Where do you come from?“ bei meinem Gegenüber beleidigend wirken könnte. Doch ich möchte ja auch nicht gefragt werden, ob ich vom Himmel komme, weil ich „Schauer“ heiße. Obwohl ich immer buchstabiere: „Schauer wie Regen“. Man merkt auch meiner Sprache an, dass ich nicht “einheimisch” bin. Dennoch stört sich niemand dran. Das ist gut so. Aber würde ich Ali Schauer heißen, würde man womöglich vermuten, ich sei außerhalb Deutschlands groß geworden und hätte mir den Nachnamen angeheiratet. Die Vermutung, dass ich mir den deutschen Pass erst noch verdienen müsse, hinge im Raum.

Sooo einfach ist das also nicht mit den Namen und Wörtern. Man sortiert und sortiert – oftmals nur im Geiste – und findet mehrere Gleise zur Einordnung. Unüberlegte Entgleisungen mag man sich und anderen verzeihen, aber für Rassismus gibt es keine Entschuldigung. Dies ist aber nur eines der Themen, die derzeit bleischwer auf Deutschland lasten. Und was das Klima absolut anstrengend macht, sind die Reaktionen auf ein Virus, das nur darauf aus ist, sich zu verbreiten.

Wie soll man da noch fröhlich Kurse halten für Kreative, sie sehr feine Antennen haben? Es funktioniert, es klappt – und macht sogar ein wenig beschwingt, nachdem man sich gegenseitig die frisch aufs Papier geflossenen Texte vorgelesen hat. Doch es ist nicht so einfach, sich aus dem Zurückgezogensein, in das wir alle mehr oder weniger geglitten sind oder geworfen wurden, herauszuschälen. Und noch ein Merkmal hängt über uns, dessen Entfaltung aber nicht so richtig ins Bewusstsein gesickert ist: Die Verdachtsnähe und damit die Nachbarschaft zur Denunziation.

Wer hustet, möchte oder muss sich rechtfertigen, dass es „nicht Corona“ ist, sondern … Am besten ist man angesehen, wenn man eifrig Hände wäscht und Maske trägt. Kann man es sich leisten, Argumente der Zweifler zu diskutieren oder wird man dann womöglich gleich als „unzuverlässig“ oder gar „nicht kompatibel“ eingestuft? Früher ist man vielleicht mit einer leichten Erkältung noch zur Arbeit gegangen – riskiert man das in den nächsten Wochen ebenfalls? Wenn zu beobachten ist, dass die Nachbarn aus dem Urlaub heimkehren – ob die auch wirklich in einer Gegend waren, aus der sie nix anschleppen? Warum müssen die überhaupt verreisen – sogar in Deutschland werden Landkreise übernacht zu Hotspots erklärt. Undsoweiterundsofort.  

Es sind also überall Minen gelegt. Das Zurechtfinden kann bisweilen mühsam sein. Wohl dem, der Inseln der Geborgenheit hat! Sie fliegen einem jedoch nicht zu. Nur bei entsprechender Haltung werden sie einem vermitteln, dass es im HIER und JETZT auch ein Ausruhen gibt, eine Freude jenseits der aufregenden Bewegtheit, die überall in der Luft flimmert und surrt.

Ab 17.10.2020 in Schorndorf (VHS): Jugendliche sind oft voller Elan und engagieren sich, bevor sie von Berufs- und Familienpflichten absorbiert werden. Wir begeben uns auf Spurensuche, welche Frauen schon frühzeitig von sich reden machten, welche Träume sie hatten und wodurch sie den Zeitgeist prägten. Wir lassen uns inspirieren und kommen vielleicht zu spannenden Utopien, indem wir einst und heute verschränken. Recherche-Übungen & Lockerungsspiele inbegriffen! Das Seminar endet mit einer Online-Sequenz, die beim letzten Treffen erläutert wird und bei freier Zeiteinteilung bis Ende Januar dauert. (Vorschläge für zwei “Impulsgeberinnen – jünger als 35” bitte mitbringen.) Näheres dazu hier >> https://lmy.de/3AbQt

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Aug 24 2020

Glätte

Autor: . Abgelegt unter Sonstiges

Kennen Sie Kartenspiele am PC, abräumen bis alles rückstandslos aufgelöst ist? Warum wird das nicht langweilig – egal, wie oft man es wiederholt?

Stimmt – die Karten liegen jedes Mal anders. Teilweise muss man scharf nachdenken. Oder der Intuition vertrauen. Manche Leute spielen das bis tief in die Nacht. Das passiert gelegentlich auch mir. Doch eigentlich passt das nicht zu dem, was ich sonst mache. Wahrscheinlich bietet es deshalb Entspannung. Ich habe das Gefühl, ich werde leer. Alles lässt sich aufklären, lösen, aufräumen. Ganz anders als im richtigen Leben mit seinen Grauzonen und undurchdringlichen Herausforderungen.

Glattmachen. Beträge glattmachen. Dazu immer das Konto auffüllen, bis möglichst viele Nullen erreicht sind. Im Lokal aufrunden; nicht 12,60 €uro für das Schnitzel bezahlen, sondern 13 plus Trinkgeld. Wobei das Trinkgeld dann auch nicht 45 oder 75 Cent beträgt, sondern möglichst auch wieder eine „ordentliche“ Rundung bedeutet.

Ein runder Geburtstag wird größer gefeiert, in vorgerücktem Alter ein halbrunder ebenfalls. Die Wogen glätten sich, wenn man aufs vergangene Jahr zurückblickt. „Rückwärts betrachtet stimmt’s immer!“ Der Spruch hat sich mir eingeprägt. Erstmals hörte ich ihn von einer Frau, die einige Jahre hinter Gittern verbracht hatte. Anschließend führte sie ein ganz normales und angesehenes Leben. Happy End! Wer freut sich nicht, wenn nach einem Stolpern alles glatt geht?

Die Glätte des Spiegels fällt mir ein. Sie ist erbarmungslos. Sie erspart einem kein Äderchen, keine Falte, keinen Pickel. Selten ist alles glatt im Gesicht. Die Haut zeigt Spuren von Konzentration, Sorgen, Sonne. An der Haut erkennt man Lebensweisen, Krankheiten. Oder ob jemand Zeit hat, sie zu pflegen. Sich zu verschönern, mit Schminke gekonnt umgehen kann. Schminke kann glatt machen, Schwachstellen überdecken.

Der Gegensatz zur Glätte ist das Raue. Man streut Sand, um im Winter nicht auf eisglattem Gehweg auszurutschen. Man bearbeitet eine Fläche mit Sandpapier, um sie aufzurauen, damit sie besser weiterverarbeitet werden kann. Man bewundert Raureif im Winter, schützt sich mit dicker Kleidung vor rauem Klima. Man spricht von der „rauen Wirklichkeit“, von einem rauen Umgangston, findet aber allzu glatte (“aalglatte”) Zeitgenossen nicht unbedingt sympathisch.

So schlittern wir dahin auf der Lebensbahn, hangeln uns an kantigen Felsen entlang, traben mit Geduld und Ausdauer durch Ebenen, suchen mal Abenteuer, mal ruhigen Seegang, schätzen die Vielfalt von Möglichkeiten – doch nach glatten Lösungen sehnen wir uns immer. Notfalls eben beim Kartenspiel.

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