Archiv für das Tag 'Wörter'

Jun 09 2021

Wenn der Teppich schmollt statt fliegt

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Ach du mein Teppich du. Fliegen sollst Du. Wie die Wörter. Überall surren sie umher, öffnen Fenster und Schränke. Neue Welten werden sichtbar. Ein Festival der Impulse, Fantasie & Kreativität! Und was machst Du statt dessen? Du streikst. Angeblich, weil ich Dich nicht geachtet habe. Wie kann ich jemanden achten, der sich mit Käfern abgibt und Läuse beherbergt. Du meinst, die würden längst das Weite gesucht haben, wenn wir öfter geflogen wären? Hätte, hätte, Fahrradkette. Alles Ausreden. Beleidigte Leberwurst!

Was war das eben? Du beklagst, dass ich Dir Deinen Partner weggenommen habe? Dass Du dem immer noch nachheulst. Nicht mal seine Farbe passte zu Dir. Und dann sein Zustand – zunehmend hochnäsig. Verwöhnt durch zu viele exotische Flugziele. Kam nicht mehr auf den Boden der Tatsachen. Rezitierte jeden Abend anstrengende Gedichte.

Waaas? Ich hätte ihn besser pflegen sollen? Ja womit denn? Gegen Shampoo war er allergisch, den Staubsauger hat er gehasst und fauchend vergrault. Mit Streicheleinheiten und gut zureden hatte ich es lange genug versucht. Selbst seine Fransen habe ich anfangs gekämmt. Ja, niedergekniet bin ich und habe mich um seine Schönheit und Fitness bemüht. Doch ich kriegte keine Verbindung zu ihm. Zuletzt waren wir beide frustriert. Jetzt ist er in guten Händen und hat ein luxuriöses Plätzchen mit Zuhörgarantie.

Und jetzt Du. Trittst Du womöglich in seine Fußstapfen? Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum, sagt man. Ja, schüttle Dich nur. Zeige Wellenbewegungen wie bei einem Orgasmus. Du machst mir nix vor. Du bist nicht flugbereit. Du schmollst lieber und hältst es mit dem Kleinvieh, das Dich in der Wolle krault.

Ich soll Dich davon befreien? Oh Schreck, bin ich allmächtig? Oder soll ich womöglich Umweltgifte einsetzen? Da kommen mir die Kinder auf den Hals. Die wollen eine Zukunft haben, keine Pestizide auf den Äckern und anderswo. Die demonstrieren sogar gegen Fleischverzehr. Der Klimawandel ist denen zu Kopf gestiegen!

Dir ist es auch zu warm und zu stickig? Wie bitte? Ist das Dein Argument, nochmal in luftige Höhen aufzusteigen? Schon wieder Wellenbewegungen. Ich versteh Dich nicht. Wir haben uns auseinandergelebt. Oh, Du hebst ab. Zwei Zentimeter, drei, vier, fünf … Ey, was soll das? Wenn ich jetzt aufspringe, wohin werden wir fliegen? Ahhh – Du siehst die Gruppe da vorne. Der willst Du hinterher? Also wenn es nicht zu lange dauert, komm ich mit, verzeihe Dir Deinen Streik. Aber es müssen nette Menschen sein, denen Du unsere Gesellschaft anbietest. Bis jetzt sehe ich nur eine mit Bubikopf, die emsig etwas notiert. Daneben fliegen zwei, die fangen Buchstaben ein. Dahinter noch vier, die jonglieren mit ganzen Worten. Meinst Du, die spielen „kreativ schreiben“? Komm, lass uns näher ranschweben …

*** “Wörter wie fliegende Teppiche” heißt mein aktueller Kurs an der VHS Schorndorf. Er gestaltet sich sehr abwechselungsreich und findet im Herbst seine Fortsetzung. https://www.vhs-schorndorf.de/ Sobald die Termine in “trockenen Tüchern” sind, stehen sie auch auf meiner homepage unter “Veranstaltungen”. Ein zweites Angebot ist das Experiment “Wir schreiben ein Buch”. Vorab-Informationen hierzu bitte anforden über info@memoreporting.com

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Mrz 10 2016

Die letzte Bettung kann vielfältig sein

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Bronikowski kann nichts dafür, dass dieser leise Roman seinen Abschied von der Welt mit schwarzem Humor der Realität geräuschvoll enthebt und zum angeblich großen Auftritt stilisiert. Die Bühne dafür ist so gewählt, als handele es sich um eine Burleske, die Leben und Tod in Einklang bringen möchte. Bis auf diese Szene zum Schluss enthält Kai Weyands Applaus für Bronikowski ungeheuer viel Leichtfüßiges, über das man sich amüsieren kann, während gleichzeitig eine Lanze für das Bestatterwesen gebrochen wird.
Eltern, die sich mit einem Lottogewinn davonstehlen – das ist der Auftakt. Ihr Sohn Nies nennt sich seitdem NC. Das steht für “No Canadian”, und das C werde bitteschön englisch ausgesprochen. Der Junge wächst heran, sucht sein Auskommen, aber nicht unbedingt nach seiner Berufung. Vor allem will er hinter das Geheimnis der Wörter kommen. Da verschlägt es ihn eines Tages zufällig in ein Bestattungsinstitut.

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Kai Weyand: Applaus für Bronikowski. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 188 Seiten, 19,90 EUR. ISBN-13: 9783835316041

Es ist derzeit angesagt, sich in der Literatur mit dem Thema “Bestattung” auseinanderzusetzen. Im Januar brachte C. H. Beck “Fragen Sie Ihren Bestatter” heraus. http://www.chbeck.de/Doughty-Fragen-Bestatter/productview.aspx?product=15996487 Untertitel: Lektionen aus dem Krematorium. Sie kommen aus Amerika. Der Autorin kann man auch auf youtube zuhören: https://www.youtube.com/user/OrderoftheGoodDeath

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