Archiv für das Tag 'Spiegel'

Aug 24 2020

Glätte

Autor: . Abgelegt unter Sonstiges

Kennen Sie Kartenspiele am PC, abräumen bis alles rückstandslos aufgelöst ist? Warum wird das nicht langweilig – egal, wie oft man es wiederholt?

Stimmt – die Karten liegen jedes Mal anders. Teilweise muss man scharf nachdenken. Oder der Intuition vertrauen. Manche Leute spielen das bis tief in die Nacht. Das passiert gelegentlich auch mir. Doch eigentlich passt das nicht zu dem, was ich sonst mache. Wahrscheinlich bietet es deshalb Entspannung. Ich habe das Gefühl, ich werde leer. Alles lässt sich aufklären, lösen, aufräumen. Ganz anders als im richtigen Leben mit seinen Grauzonen und undurchdringlichen Herausforderungen.

Glattmachen. Beträge glattmachen. Dazu immer das Konto auffüllen, bis möglichst viele Nullen erreicht sind. Im Lokal aufrunden; nicht 12,60 €uro für das Schnitzel bezahlen, sondern 13 plus Trinkgeld. Wobei das Trinkgeld dann auch nicht 45 oder 75 Cent beträgt, sondern möglichst auch wieder eine „ordentliche“ Rundung bedeutet.

Ein runder Geburtstag wird größer gefeiert, in vorgerücktem Alter ein halbrunder ebenfalls. Die Wogen glätten sich, wenn man aufs vergangene Jahr zurückblickt. „Rückwärts betrachtet stimmt’s immer!“ Der Spruch hat sich mir eingeprägt. Erstmals hörte ich ihn von einer Frau, die einige Jahre hinter Gittern verbracht hatte. Anschließend führte sie ein ganz normales und angesehenes Leben. Happy End! Wer freut sich nicht, wenn nach einem Stolpern alles glatt geht?

Die Glätte des Spiegels fällt mir ein. Sie ist erbarmungslos. Sie erspart einem kein Äderchen, keine Falte, keinen Pickel. Selten ist alles glatt im Gesicht. Die Haut zeigt Spuren von Konzentration, Sorgen, Sonne. An der Haut erkennt man Lebensweisen, Krankheiten. Oder ob jemand Zeit hat, sie zu pflegen. Sich zu verschönern, mit Schminke gekonnt umgehen kann. Schminke kann glatt machen, Schwachstellen überdecken.

Der Gegensatz zur Glätte ist das Raue. Man streut Sand, um im Winter nicht auf eisglattem Gehweg auszurutschen. Man bearbeitet eine Fläche mit Sandpapier, um sie aufzurauen, damit sie besser weiterverarbeitet werden kann. Man bewundert Raureif im Winter, schützt sich mit dicker Kleidung vor rauem Klima. Man spricht von der „rauen Wirklichkeit“, von einem rauen Umgangston, findet aber allzu glatte (“aalglatte”) Zeitgenossen nicht unbedingt sympathisch.

So schlittern wir dahin auf der Lebensbahn, hangeln uns an kantigen Felsen entlang, traben mit Geduld und Ausdauer durch Ebenen, suchen mal Abenteuer, mal ruhigen Seegang, schätzen die Vielfalt von Möglichkeiten – doch nach glatten Lösungen sehnen wir uns immer. Notfalls eben beim Kartenspiel.

Kommentare deaktiviert für Glätte

Mai 03 2012

Wer arbeitet noch am richtigen Platz und mit angemessenen Methoden?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Alltag

Nahezu Vollbeschäftigung in Baden-Württemberg – so wird eine Arbeitslosenquote von aktuell ca. vier Prozent gerne interpretiert. Doch wir dürfen sicher sein, dass aus dieser Statistik einiges heraus- und damit schöngerechnet ist.

Die Verschwendung von Arbeitskraftpotential findet in Deutschland seit Jahrzehnten statt! Nehmen wir doch nur das Stichwort „Mobbing“. Erst am 16.4.2012 machte der SPIEGEL damit als Titel auf. Es hat sich kaum etwas geändert seit meinem Buch über „Mobbig – kostspielige Kränkungen am Arbeitplatz“ (1998, Universum Verlag). Nach wie vor geht man dem Übel nicht an die Wurzel, Chefs dürfen schwach und führungsunfähig sein. Daran hat auch die Mode, Abläufe zertifizieren zu lassen, nix geändert. Bei Überlastung oder Fehlbesetzung, Disorganisation oder Motivationstief hilft es in der Regel nicht, sich irgendwelchen Managementmustern zu verpflichten, solange diese Mängel nicht behoben werden.

Vielleicht beispielgebend: Über Tugenden im Öffentlichen Dienst hat sich Christoph Bartmann, Leiter des New Yorker Goethe-Instituts in seinem jüngsten Buch über „Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten“ (Hanser Verlag) Gedanken gemacht. Er plädiert für „mehr Sachlichkeit und mehr Seriosität in unseren Büros“. Seine Haltung entdeckt ein Interview des Deutschlandradios, nachzulesen unter http://bit.ly/yLwocG >> „Das Management ist sklerotisch geworden“. „Sonntag aktuell“ zitiert Bartmann (geb. 1955 in Bad Mergentheim) am 15.4.2012: „Ich rufe auf zum Protest. Eine Occupy-Bewegung für die Schreibtische und Flure dieser Welt!“

Die Betrachtungen der Arbeitswelt dürfen nicht außer acht lassen, dass viele Menschen das arbeiten müssen, wozu sie weder geschaffen noch ausgebildet sind. Dass viele Begabungen und Ausbildungen nicht genutzt werden, weil jeder holzschnittartig auf seinem Speziellen besteht. Besonders für junge Leute ist das schlimm.

An Fachkräftemangel glaube ich nicht. Es fehlen Mut und Geduld, Menschen einzuarbeiten, die nicht auf Anhieb haargenau ins Schlüsselloch passen. Dies alles betrachte ich als Verschwendung von wertvollem Potential. Dazu passt der Satz, den beliebig abzuwandeln ich empfehle: >>Ein Mensch von hohen, seltenen Geistesgaben, genötigt, einem bloß nützlichen Geschäft, dem der Gewöhnlichste gewachsen wäre, obzuliegen, gleicht einer köstlichen, mit schönster Malerei geschmückten Vase, die als Kochtopf verbraucht wird.<< aus Irvin D. Yalom. Die Schopenhauer-Kur. Roman.

Keine Kommentare