Archiv für das Tag 'Neugier'

Jan 29 2023

Lange weg und dauernd unterwegs

Autor: . Abgelegt unter Alltag

Drei Monate Rundreise in Schweden, Norwegen und Finnland. Als mir Freunde von dem Vorhaben erzählten, dachte ich nicht an Fjorde, Elche, Denkmäler. Vielmehr fragte ich mich, ob das an ihrer Verwurzelung rührt und was es mit ihren sozialen Beziehungen macht. „Einsamkeit“ kam mir als Stichwort in den Sinn bzw. ein Zurückgeworfensein auf sich selbst und seine Begleitung. Dazu muss man andere Fähigkeiten entwickeln als im Alltag zu Hause mit seinen festen Ritualen und Pflichten.

Was sagt Uta dazu, die in Südeuropa die Herausforderungen einer Langzeit-Tour erlebt hat und
demnächst wieder losfährt?

Schon der Einstieg ins Wohnmobil setzt ein Gefühl von Freiheit frei: „Es geht los!“ Einfach herrlich die Gewissheit, nun zehn Wochen Zeit zu haben. Das Brummen des Motors und die gemütliche Reisegeschwindigkeit lösen in mir eine Freude aus, die ich kaum beschreiben kann. Loslassen können, sich jeden Tag auf das Unbekannte einlassen, weg vom Wohnsitz, dem Bekannten, Berechenbaren. Mit unserem elf Quadratmeter rollenden „Minihaus“ fahren wir Neuem entgegen. Wir haben eine klare Richtung, aber keine feste Route, lassen uns gerne treiben, finden ein lauschiges Plätzchen für eine Nacht oder für einen längeren Aufenthalt; einen Stellplatz am See, im Wald, auf einem Bauernhof oder Weingut, Campingplatz oder ganz vogelfrei mit Blick aufs Meer.

Seele baumeln lassen. Geht das nur unterwegs? Nein, das kann ich u.a. auch auf der Hollywood Schaukel zu Hause. Aber wenn ich unterwegs bin, sei es beim Laufen, Fahrradfahren oder eben im brummenden Wohnmobil, kann ich meine Gedanken und Gefühle anders fließen lassen, habe neue Ideen, gewinne Erkenntnisse über Fragen in meinem Kopf und Herzen. Über Tod und Sterben, über das Leben. Vielleicht bin ich eine Nomadin?

Das Meer zieht mich an. Wenn ich dort bin, empfinde ich einen tiefen Frieden. Ich brauche nicht zu tauchen oder zu schwimmen. Ich liebe die unterschiedlichen Nuancen des blauen Meeres, den Geruch aus einer Mischung von Fisch, Muscheln und Algen, den Geschmack von salziger Luft und die kreischenden Möwen. In diesen Momenten fühle ich mich grenzenlos glücklich. Wie damals auf Hawaii, als plötzlich eine Schildkröte eine Weile neben mir schwamm. Das war eine Mischung von Angst, Respekt, Demut und unendlicher Freude – eine ganz besondere Grenzerfahrung.

Auf elf Quadratmetern gibt es aber manchmal auch Stress, wenn man sich immer wieder neuen Hausforderungen zu stellen hat. Reagiert man darauf anders als zu Hause? Jein.
Bei unterschiedlichen Problemlösungsansätzen muss man sich oft nur schneller einigen. Zum Beispiel kann man nicht lange diskutieren nach falschem Abbiegen aufgrund meiner Rechts-Links-Schwäche. Oder man muss sich unmittelbarer dafür entscheiden, einen Konflikt erst mal unaufgelöst stehen zu lassen.

Kann es eine Verwurzelung im Wohnmobil geben? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? In unserem Wohnmobil leben wir mit Leib und Seele auf das Wesentliche reduziert, und wenn wir die Tür aufmachen, hat unser Wohnzimmer jeden Tag eine neue Deko. Andererseits ist unser Zuhause auch dort, wo sich unser fester Wohnsitz befindet, wir die Sprache beherrschen. Aber sobald uns die Sehnsucht erfasst, unterwegs sein zu wollen, ist unserer Zuhause auch genau dort, wo wir mit unserem rolling home stehen. Das ist eigentlich wie bei Schnecken und Schildkröten, die immer ihr Haus dabeihaben und damit immer zuhause sind.
Die Familie und Freunde sind wie fixe Sterne. Wir telefonieren oft oder haben FaceTime miteinander. Regelmäßig kontrollieren Angehörige den Briefkasten und schauen nach dem Rechten. Wenn es unaufschiebbare Dinge zu regeln gibt, kann das auch aus der Ferne telefonisch oder per Mail erledigt werden.

Die Wohnmobilisten sind eine große Community, man hilft sich aus, gibt Tipps, weiß Rat, verbringt eine gute Zeit miteinander, geht anschließend seiner eigenen Wege und manchmal trifft man sich auch wieder. Begegnungen mit Ortsansässigen sind ebenso willkommen und manchmal findet eine Unterhaltung mit „Händen und Füßen“ und viel Humor statt. Wir genießen diese Unverbindlichkeit. Genau darin liegt der Reiz, sich nicht einlassen zu müssen. Das Leben ist so kompliziert geworden mit all den unfassbar vielen Regeln, Gesetzen und Vorschriften. „Wir sind dann mal weg“, heiß auch, nicht sofort auf Anfragen etc. antworten, reagieren zu „müssen“. Wir haben vereinbart, wenn es etwas ganz Wichtiges gibt, wird telefoniert.
Einsamkeit haben wir bisher noch nicht empfunden. Es ist ein langsameres Leben, das uns in seiner Einfachheit inspiriert und bereichert.

Uta

Die Verfasserin hat im Kurs „kreativ schreiben“ an der VHS Schorndorf ihr erzählerisches Talent erprobt. Sie will mit den Gernschreiberinnen der Gruppe 7punkt3 Kontakt halten und ist der Bitte nachgekommen, uns teilhaben zu lassen an dem Lebensgefühl unterwegs.

Renate Schauer
PS.: 767.325 Wohnmobile gab es 2022 laut Martin Kord, statista.com in Deutschland – ein neuer Rekord.

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Apr 24 2015

Feststecken – und dann zum Coach

Autor: . Abgelegt unter Alltag

Petra Leutbecher hilft Leuten, die feststecken. Wir fragten sie nach ihren Begegnungen und was ihre Arbeit reizvoll macht.
Frage: Was muss ich mitbringen, wenn ich mich an Sie wende?
Petra Leutbecher (PL): Mut zur Veränderung. Neugier auf das Danach, wenn die Hürden, die jetzt noch blockieren oder abschrecken, überwunden sind.
Sie coachen auch Schüler. Kommen die aus eigenem Antrieb oder werden die von den Eltern gebracht?
PL: Kinder sind von Natur aus wissbegierig. Wenn es mit dem Lernen nicht klappt, ist das eine Störung. Das empfinden sie sehr wohl. Ich nehme niemand ins Coaching, der nur fremdbestimmt anklopft, aber nicht wirklich selbst weiterkommen will. Das würde auch gar nicht funktionieren.
Was fragen Sie beispielsweise einen Schüler, den Mathe anödet?
PL: Ziele sind wichtig. Will er die Erfahrung machen, dass Mathe auch spannend sein kann? Was hält ihn davon ab, diese Erfahrung einzuleiten? Stimmt die Chemie zwischen ihm und dem Lehrer nicht? Oder haben ihn Misserfolge entmutigt?
Sie sind IPE-Kinder- und Jugendcoach. Wofür steht das IPE?
PL: Ich verwende die Methoden des Instituts für Potential-Entfaltung. Entwickelt hat sie Daniel Paasch, selbst Vater von vier Kindern. Mittels verschiedener Techniken wird versucht, die beiden Hirnhälften so zu beeinflussen, dass sich die Blockade löst und die Tür aufgeht für Neues.
Also nicht nur analysieren und motivieren mit Worten?
PL: Stimmt. Es müssen tiefere Schichten stimuliert und neu ausgerichtet werden.
Gilt das auch für Erwachsene?
PL: Ja.
Warum wollen sie gecoacht werden?
PL: Das ist sehr unterschiedlich: Burnout, Mobbing, Work-Life-Balance, Lebensumbrüche, Unzufriedenheit und Antriebslosigkeit, Eheprobleme …
Wie findet man den richtigen Coach?
PL: Ich rate grundsätzlich, sich mehrere Coaches anzusehen und dann nach dem Bauchgefühl die Wahl zu treffen.
Ist es nicht manchmal strapaziös, ständig mit frustrierten Menschen zu arbeiten? Was macht Ihre Arbeit reizvoll?
PL: Die Lernerfahrung. Als Coach muss man sich selber einschätzen lernen und seine Energie einteilen können. Daher ist es auch nicht möglich, den ganze Tag Coachings – sozusagen eines nach dem anderen – durchzuführen. Man muss lernen, eine professionelle Distanz im Gespräch zu wahren.
Welche Erfahrung sollte sich möglichst nicht wiederholen?
PL: Ich erlebe öfter, dass Kinder oder Jugendliche das Coaching gut annehmen, aber die Eltern eigentlich auch mal einige Stunden kommen sollten, es aber leider nur in den seltensten Fällen tun. Das finde ich manchmal frustrierend. Die Kinder sollen geändert werden oder sich ändern, aber die Eltern bleiben in der „alten“ Schiene.
Welche Begegnung hat Sie am meisten beeindruckt?
PL: Beeindruckende Begegnungen habe ich immer wieder. Gerade mit Jugendlichen, die schon mit 13, 14 oder 15 ausgeprägt reflektiert sind und die Dinge rasch auf den Punkt bringen können. Da macht Arbeit Spaß, und wir Erwachsenen können uns davon oft eine Scheibe abschneiden.
Was wäre für sie der „Stein des Weisen“?
PL: Wenn man auch im Coaching sofort wüsste, was „1-2-3“ hilft, denn manchmal braucht es ein wenig, um wirklich herauszufinden, wo die Uhrsache liegt und wie man diese lösen kann.
Danke für dieses Gespräch!
Wie angekündigt setzten wir die Reihe der Interviews in unregelmäßiger Folge fort.

N ä c h st e   T h e m e n :

>> Recht & Gesetz – auch Autoren müssen sich absichern

>> Wie funktioniert das innere Korsett, das Frauen bremst?

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