Archiv für das Tag 'Strauß'

Aug 13 2012

Als das Schallarchiv noch gegrüßt wurde

Autor: . Abgelegt unter Alltag

Heute will ich eine Geschichte erzählen, die mir zu Ohren kam und zeigt, wie Erinnerungen nur so purzeln, wenn sich eine kleine „Initialzündung“ ereignet. Das könnte Sie beispielhaft inspirieren, wenn Sie Ihre Memoiren planen oder Ihre (Groß-) Eltern „über früher“ interviewen möchten.

Wie Erinnerungen purzeln

Eine Frau, kaum jenseits der 50, kam durch ihr Opernabonnement in den Genuss der „Fledermaus“. Aus der Operette von Johann Strauß, uraufgeführt 1874 in Wien, kamen ihr einige Melodien sehr bekannt vor. Die hatte sie schon als Kind gehört – während Mutter kochte und im Radio das 11-Uhr-Wunschkonzert lief.

„Vom Telefon zum Mikrofon“ hieß die Sendung. HörerInnen riefen an, die Moderatorin plauderte gut gelaunt mit jenen, die ihr durchgestellt wurden und erfüllte ihren Musikwunsch. „Glücklich ist, wer vergisst, waaaas doch nicht zu ändern ist …“ war ein Refrain, den die Menschen immer wieder hören wollten. Wie ging ihr das als Kind auf den Wecker! Immer diese ollen Kamellen, nie was Neues, Fetziges!

Musik weckt Stimmungen

Kontrast zu „Trinke, Liebchen, trinke schnell, trinken macht die Augen hell …“ – so der Titel der Arie um das launige Vergessen – war das ebenfalls viel zu oft verlangte Wolgalied „Es steht ein Soldat am Wolgastrand …“ aus der aus der Operette „Zarewitsch“ von Franz Lehár. Das ging ihr auf dem Heimweg vom Opernhaus durch den Kopf. Sie musste dringend nach dem traurigen Zarewitsch „googeln“! Dem Kind zog sich damals stets das Herz zusammen, wenn er flehentlich anstimmte: „Habt ihr da droben vergessen auf mich …“

Der Text wird – wie überraschend – komplett auf wikipedia zitiert > http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Zarewitsch Auf das Vorschulkind hatte er sehr wehmütig gewirkt und an den Krieg erinnert, von dem die Erwachsenen häufig grausame Dinge erzählten. Nun gewahrte sie, dass es nicht um Schlachten ging, sondern um eine unstandesgemäße Liebe – uraufgeführt 1927, also lange vor Beginn des 2. Weltkriegs.

Diese falsche Interpretation hätte womöglich in Axel Hackes Sammlung „Der weiße Neger Wumbaba“ gepasst. Damit hatte der Journalist „Verhörer“ in einem Büchlein veröffentlicht, als er augenzwinkernd feststellte, dass „kaum ein Mensch je einen Liedtext richtig“ verstehe. Der Titel bezieht sich auf die „der weiße Nebel wunderbar“ aus „Der Mond ist aufgegangen“, ein Abendlied von Matthias Claudius. Die Fantasie wird angeregt – egal, ob die Richtung mit dem übereinstimmt, was der Urheber aussagte oder nicht.

Gott sei Dank suchen Assoziationen unbestechlich ihre Bahn! Das hilft oft unverhofft, Geschehnisse oder Gefühle wieder zu entdecken, die nicht so ohne weiteres zugänglich sind wie – sagen wir mal – eine Hochzeit, von der es viele Fotos gibt. Gerade Musik hat sich als gute Türöffnerin für Atmosphärisches erwiesen, das unterschwellig einen bestimmten Zeitabschnitt prägte.

Rosemarie Eick und die “Grüße ans Schallarchiv”

Zurück an den Küchentisch! Das blasse Wachstuch sieht die Frau heute noch vor sich. Was hatte sie als Kind damals eigentlich damals gemacht, während die Mutter Gemüse schnitt und mit den Töpfen hantierte? Gemalt? Gebastelt? Dazu förderte die Erinnerung nichts zutage. Wohl aber zur Mutter, deren flotte Fingerfertigkeit und Erwartung, man möge ihr aufmerksam bei Kleinigkeiten zur Hand gehen. Die Kulisse war nicht nur von dem Feuer im Herd und einem dickbauchigen Schrank bestimmt (Einbauküchen waren damals erst im Kommen), sondern auch von dem kleinen Rundfunk-Empfänger auf dem Arzneischränkchen, das an der Wand neben der Tür aufgehängt war. Daraus kam – unvergessen – jene Stimme, die eine Art Wohlgefühl erzeugte, für die die in erster Linie angesprochenen Hausfrauen offenbar dankbar waren. Es rief jedenfalls nur alles heiligen Zeit mal ein Mann an, um einen Musikwunsch die äußern. Wen die Moderatorin nach kurzem Hin und Her wieder aus der Leitung verabschiedete, dachte meist an die Heinzelmännchen im Hintergrund, die Platten oder Bänder heraussuchten und zum Abspielen in die Technik brachten: „Schöne Grüße ans Schallarchiv!“

Doch wem gehörte die Stimme, die auch zur Kaffeestunde und in anderen Sendungen so angenehm klang? Es dauerte ein paar Klicks – und dann war auch dieses Rätsel gelöst. Die Besucherin der Fledermaus nahm sich vor, weiter über Rundfunkgeschichte zu recherchieren, denn plötzlich hatte sie viele „alte“ Stimmen im Ohr. Jene des Wunschkonzertes ist Rosemarie Eick zuzuordnen. Sie ist starb ein halbes Jahr vor dem Mauerfall. Eine ihrer Sendungen hieß übrigens „Damals und Heute“, und sie selbst hat „Mit Großmama auf dem Kanapee – Geschichten aus meiner Kindheit“ aufgeschrieben, erschienen 1990 im Quell Verlag. Ein reizendes Büchlein, dessen Lektüre dazu geeignet ist, weitere persönliche Erinnerungen anzustoßen.

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