Archiv für das Tag 'Maske'

Jan 20 2021

langsam – schnell – langsam, wieviel Vorlauf braucht der Fortschritt?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

„langsam leben“ wird propagiert, slow food ist „in“ und „German Gemütlichkeit“ können die meisten US-Amerikaner selbst dann aussprechen, wenn sie keine Vorfahren aus Bayern oder der Eifel haben. In rasantem Tempo emporschnellend hingegen bei Corona das Interesse an den jeweils neuesten Zahlen, Erkenntnissen und Maßnahmen. Sehr viele Kräfte im Journalismus überschlagen sich sogar, um viel „Input“ auszustoßen – sei dies nun solide und damit nützlich oder nicht. Schnelligkeit vor Qualität?

Einsamkeit assoziiert man mit der langsamen Seite des Lebens. Die Zeit tröpfelt dahin, nicht selten ziehen sich Sinnfragen zäh durch den Alltag. Vor Jahresfrist berichtete ich über das erste Ministerium in England, das zuständig ist für diesen Zustand, der nicht gesundheitsfördernd ist. (Hier noch ein älterer Bericht darüber > https://www.deutschlandfunk.de/grossbritannien-ein-ministerium-leistet-pionierarbeit.795.de.html?dram:article_id=455902  Sich nicht treffen können, macht zwischendurch einsam – auch wenn man noch so viel telefoniert, mailt, skypt. Das Netzwerk existiert weiterhin, aber Distanzhalten strapaziert, Unwägbarkeiten nerven, ewig Vorsichtigseinmüssen verbraucht Energie, stellt unsere Geduld auf eine harte Probe. Das ist hinlänglich bekannt. 

Ins Rampenlicht geriet einiges, dass zwar als bekannt gelten durfte, aber nun umso greller ins Bewusstsein drängte: Geld ist genug vorhanden. Während man früher um 50 Cent mehr für Hartz-IV-Empfänger stritt … Wir müssen das an dieser Stelle nicht wiederholen. Aufgehoben habe ich ein Interview mit Herbert Grönemeyer in der ZEIT vom 5. November 2020, in dem er die Reichen zur Solidarität mit den Kreativen auffordert. In der gleichen Ausgabe wurde Lisa Federle vorgestellt, eine kämpferische Notärztin in Tübingen, die bereits im März 2020 (!) ihren Wohnwagen zu einer mobilen Corona-Testpraxis umbaute. „Es gibt Dinge, wichtige Dinge, die können nicht warten. Irgendjemand muss anfangen“, wird sie zitiert. Für ihr beherztes human-medizinisches Engagement (das schon während der Flüchtlingsströme 2015 vielen Menschen half) bekam sie vom Bundespräsidenten das Verdienstkreuz am Bande.

Beispielhaft! Wie viele positive Ansätze und Aktionen mag es geben in unserer Republik, die einen lose geknüpften Flickenteppich bilden, Anstöße liefern, mahnen und vorbildlich Energie einsetzen – und dennoch behält das Zögerliche (und oftmals leider auch die Ignoranz des Notwendigen) die Oberhand – von den “knausrig” bestellten Masken und Impfstoffen bis hin zur Maßnahmen gegen die Popularisierung, Erderwärmung usw. Was alles muss passieren, damit die Welt sich ändert?

Ganz besonders traurig werde ich bei der Debatte um „home office“, habe ich doch schon vor etwa 25 Jahren darüber für DAS BESTE einen Artikel aus Amerika adaptiert, der die Vorteile dieser Arbeitsweise deutlich machte. Mitnichten war ich die einzige, die dies thematisierte. Aber genauso wie meine jahrelange Anti-Mobbing-Berichterstattung böse Angriffe nicht verminderte, meine Journalismus-Kritik die Wiederholungen des zu Einseitigen, zu Vordergründen nicht eindämmte, ist auch vieles andere verpufft, das positive Impulse transportierte, zu sinnvollen Veränderungen ermutigte etc. Pionierleistungen wie die von Lisa Federle oder Apelle von Herbert Grönemeyer konnten nicht die ihnen gebührende Durchschlagskraft entwickeln – gegen Behäbigkeit scheint ganz wenig Kraut gewachsen zu sein. „Schade“ ist ein viel zu milder Ausdruck dafür! Als passender Musiktitel dazu fällt mir „3 Schritte vor und 2 zurück“ (1972) von Petra Pascal ein, anzuhören hier > https://www.youtube.com/watch?v=DoKwg95Kt4o – den Text findet man hier > https://www.lyrix.at/t/petra-pascal-drei-schritte-vor-und-zwei-zuruck-017

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Nov 04 2020

Nachvollziehbare Bahn

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

„Haben Sie eine Kundenkarte?“ Die Kassiererin ist nicht sauer, als ich den Kopf schüttle, und zieht die Artikel über den Scanner. Ich möchte nicht, dass ein Konzern registriert, was ich konsumiere. Im Versandhandel kann ich allerdings nicht ausweichen, wenn gewisse Umstände zu Bestellungen dort Anlass geben. Oder haben Sie schon mal in einem Geschäft eine Nasenbrücke gesehen, die man unter die Mund-Nasen-Maske schiebt, damit die Brille nicht beschlägt? Wenn ja, kostete die dort ebenfalls nur 2,17 €? *

Allerdings verdichten sich nun ausgerechnet bei Amazon, dem vielkritisierten Konzern, die Anzeichen, dass ich im Moment eifrig auf kriminellen Pfaden unterwegs bin. Begonnen hat das mit dem Roman „Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl“ von Jürgen Neffe, gefolgt von „Tod und Irrtum“ (historischer Roman von Elke Weigel) und „Begegnungen mit einem Mörder“ von Steffen Schröder sowie jüngst „Unheil: Warum jeder zum Mörder werden kann“ von Josef Wilfling. Ich könnte diese Kette leicht erklären und auch darauf verweisen, dass ich parallel dazu andere Bücher aus der Bücherei entlieh und weitere in meiner örtlichen Buchhandlung kaufte (also nicht einseitig lese). Aber wen interessiert das? Allein die Tatsache, dass ich vor dem Einschlafen liegend einen Krampf in der Hand kriege, wenn ich gedruckte Bücher lange vors Gesicht halte, beschert Amazon jenen Umsatz, denn ich eigentlich dem Einzelhandel gönne. (Wobei man wiederum philosophieren mag, ob es nicht grundsätzlich „gesünder“ ist, sich etwas liefern zu lassen, anstatt vermeidbare Fahrten zu Einkäufen vor Ort zu unternehmen.)

Doch dieser Tage geht es sowieso um das Nachvollziehbare, weil Infektionsketten unterbrochen werden müssen. Man merke sich also (Achtung satirisch!), an wem man in der Fußgängerzone vorbei läuft und wer im Supermarkt zu nahe an das Regal herantritt, an dem wir gerade Preise vergleichen, Inhaltsangaben auf Verpackungen lesen etc. Wir sind also auf der Hut, falls wir nicht von den Zweifeln der Corona-Leugner infiziert sind.

Dieses ständige Aufderhutsein ist jedoch anstrengend und begünstigt Misstrauen: Warum hustet der Mensch in der Nachbarwohnung heute schon zum zweiten Mal laut und vernehmlich? Woher kommt Herr Müller von gegenüber, der gerade mit einem Rollkoffer einem Taxi entsteigt? Leben die zwei Händchenhaltenden an der Fußgängerampel wirklich im gleichen Haushalt? Grrr – die Anspannung ebbt an keinem Schauplatz ab! Vielleicht mag man sich bald selbst nicht mehr leiden mit all der Skepsis und dem Abgekapseltsein.

„Bleib negativ“ ist inzwischen ein vielgehörter Abschiedsgruß. Natürlich bezogen auf das Virus. Ein Wunsch mit Widerhaken, wenn man ihn erstmals hört. Möge er zum Gegenteil anstacheln, nämlich auf der Suche nach Positivem nicht nachzulassen, um dadurch das Bedrückende in den Hintergrund treten zu lassen. Dafür eignet sich besonders das Eintauchen in Literatur! In diesem Sinne darf auch die Lust auf Mord und Totschlag grassieren; der Krimi-Markt ist reichhaltig bestückt – unter anderem präsentiert  Schorlau eine neue Herausforderung für seinen Privatermittler Georg Dengler während „Ein abgezockter Sauhund“ (Cover siehe oben) von Roland Krause uns eintauchen lässt in die Szene von Münchner Kleinkriminellen bei der Jagd nach Diebesbeute & last but not least (Schwenk in ein anderes Genre und und in die Vergangenheit) lesen sich die „Spiegeljahre“ von Felix Huby fast wie ein Krimi.

* Preisfrage: Darf man überhaupt so billig einkaufen? Wer in der Produktionskette wird hierbei am meisten ausgebeutet? Unbeschwert konsumieren fühlt sich anders an.

PS.: Ungewöhnlich, aber lohnend-aufschlussreich fand ich Patrizias Schlossers „Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich“ (Cover siehe oben): Wer sind die letzten drei aktiven Mitglieder der RAF, die immer wieder bewaffnet Supermärkte und Geldtransporter überfallen? Wie überleben sie “im Untergrund”? Und gehören sie überhaupt wirklich zur RAF? Gemeinsam mit ihrem Vater, einem grantelnden bayerischen Polizisten in Rente, macht sich Patrizia Schlosser auf die Suche nach ihnen. Sie trifft Anwälte und Ermittler, ehemalige Weggefährten und RAF-Mitglieder und erhält so Einblick in eine verschwiegene Szene. 

>> Wer übrigens selbst einen Krimi schreiben und dazu Fachliteratur zu Rate ziehen will, ist gut bedient mit “An Arsen bis Zielfahndung – Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige” von Manfred Büttner und Christine Lehmann. Auf vergnügliche und spannende Weise entschlüsseln sie die Krimiwelt, entlarven Märchen und Vorurteile. Sogar die trockensten Aspekte der Polizeiarbeit fand ich einprägsam erklärt, zumal die Fakten mit süffigen Beispielen aus Literatur und Film aufgelockert sind.

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