Mrz 08 2015
Honig im Kopf – Mama federt das ab
„Honig im Kopf“ macht seit 25.12.2014 in deutschen Kinos darauf aufmerksam, dass Menschen mit Alzheimer-Erkrankung viel Aufmerksamkeit und Zuwendung brauchen, anstatt lieblos abgeschoben und ruhig gestellt zu werden. (Für welchen Kranken trifft das nicht zu?) Wikipedia bezeichnet den Film als Tragikomödie, ich finde, er ist ein modernes Märchen.
Ich solle Taschentücher ins Kino mitnehmen, wurde ich im Vorfeld instruiert. Doch so anrührend vereinzelte Sequenzen auch sein mögen: Abwechslungsreichtum ist das Plus des Films, der langsames Erzählen gut mit flott inszenierten Ereignissen kombiniert. Insgesamt lebt der Film von originellen Übertreibungen zum Amüsement des Publikums. Schließlich hat ihn ja Till Schweiger produziert, der auch Regie führte, am Drehbuch mit schrieb und eine der Hauptrollen spielte. Die schauspielerischen Leistungen von Emma Schweiger (Tochter von Till; im Film spielt sie die Enkelin, die intuitiv und klug alles richtig macht) und Dieter Hallervorden (vollendet Anfang September 2015 sein 80. Lebensjahr) verdienen wirklich Applaus, denn sie überzeugen auf eindringliche Art, ohne dabei auch nur im Mindesten angestrengt zu wirken. Das ist schon viel für einen Unterhaltungsfilm, der so viele Leute anzieht.
Dennoch fiel bei der „Moral von der Geschicht“ viel Begeisterung von mir ab: Um die Herausforderung zu meistern, mit einem Alzheimer-Erkrankten unter einem Dach ohne größere Katastrophen (einmal Kuchenbacken und fast wäre das Haus in Brand geraten) über die Runden zu kommen, beschloss die Gattin, Mama und Schwiegertochter, ihren Job, an dem sie hängt, zu kündigen und sich um die Lieben daheim zu kümmern. Besonders schnuckelig ist der Umstand, dass sie sich angesichts dieser Weichenstellung mit ihrem Mann versöhnt (incl. tönend lustvoll vereinigt) und neun Monate später einem Sohn das Leben schenkt.
Ich will mich jetzt nicht darüber verbreiten, dass mit dem Wort „Liebe“ manchmal einfach zu dick aufgetragen wird in diesen fast 140 Minuten oder dass Sex-Anklänge in witziger Form zwar einerseits nett sind und entkrampfen können, die Nähe zum Klischee aber offenbar niemanden gekümmert hat. All das Ausgesparte, das zwischen Job-Entsagung der einst erfolgreichen Werbe-Fachfrau und dem Tod des Großvaters liegt, unterstreicht ja, dass es sich gewollt und augenzwinkernd lediglich um ein weich zeichnendes Märchen im weitläufigen Umfeld von neurodegenerativer Demenz handeln kann. Doch wenn es schon ein Märchen ist, dann hätte ich auch gerne den Sohn mit im Boot, der nämlich selbständig ist und souverän über sein Zeitbudget bestimmen kann – im Gegensatz zu seiner Frau, die per Arbeitsvertrag gebunden ist und kündigen muss, wenn sie ihre Zeit flexibler einteilen will.
Also wenn schon MÄRCHEN, dann bitte doch so, dass Mann und Frau sich die Backstage-Arbeit teilen. Mit der Konsequenz, dass Arbeitgeber das mittragen – in welcher Form auch immer, aber keinesfalls ein Anstellungsverhältnis aufgelöst werden muss.
Und wenn ich gelegentlich ein Märchen über die Alzheimer-Erkrankung erzähle, führe ich als Gegenpol zu diesem leidvollen Schicksal an, dass wir alle der zeitgenössischen Norm entsprechen müssen und wollen, uns entsprechend verhalten und kontrollieren, um in jeder Sekunde perfekt zu sein. Und dass diese Erkrankung, benannt nach ihrem Entdecker Alois Alzheimer, dieser vorordneten und angestrebten „Unfehlbarkeit“ ein Schnippchen schlägt, gegen das Betroffene und deren Umfeld machtlos sind. Als würde die Natur – wie immer – für einen Ausgleich sorgen.