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Jan 16 2014

Spiel mit sämtlichen Sinnen

Autor: . Abgelegt unter Literatur

Diese zwölf Erzählungen mit Widerhaken und sprachlich hoher Genauigkeit haben es mir angetan! Nadine Kegeles Debüt sollte breite Beachtung finden:

Helene hat ihren Freund an Anna verloren, zu deren Hochzeit sie geht – über Pfützen und Regenwürmer. Eine Atmosphäre wie ein Magenschmerz. „Anna sein“ heißt die Erzählung, die ein kurzes Schlaglicht auf drei (Halb-) Schwestern wirft, denen eingeimpft wurde, dass ihre Existenz am Unglück ihrer einsamen Mutter schuld sei. Auch die anderen elf Erzählungen der Vorarlberger Nadine Kegele verfügen über die poetische Kraft, viele knapp gefasste Aspekte unter die Haut gehen zu lassen. „Annalieder“ sind – da hat der Klappentext unbedingt recht – keine Schönwettergeschichten. Sie deprimieren trotzdem nicht.

Verlassen und verlassen werden, Grenz- und andere Verletzungen entringen sich den Geschichten, die rund sind, obwohl sie nur Ausschnitte beleuchten und oft genug aus verstörender Perspektive von Faktum zu Faktum springen, um mehrere Ecken biegen. Es geht keineswegs um VerliererInnen, Gestrauchelte oder andere bedauernswerte Geschöpfe. Auch da, wo es hässlich oder abgründig wird, bleiben die – überwiegend weiblichen – Figuren aufrechte Charaktere. Das Buch lebt von genauester Beobachtung und verführt nicht dazu, die übliche Lösungsorientiertheit im Kopf anlaufen zu lassen.

Nadine Kegele, die unter anderem in dem feministischen Magazin „an.schläge“ publiziert, zeigt eine unbeirrbare Routine in der Anwendung des weiblichen Blickwinkels. Ein Merkmal, das „Annalieder“ positiv auszeichnet. Genauso überzeugend sind Ironie, Humor und Sarkasmus eingestreut. So verharrt man bei Tragischem nicht im Bedauern, sondern wird eventueller Schwere schnellstmöglich durch komische Elemente enthoben. Jeweils ein gelungener Kunstgriff, der beispielsweise die Episoden „Nachtheulen“ und „Vom Verbrennen der Elefanten“ zu Lieblingsgeschichten werden lassen könnte.

Bei aller Sympathie bleibt jedoch der Eindruck, als wolle die Autorin in ihrem Debüt ein wenig abstrakt und anonym bleiben und einfach Spannung in der Genauigkeit von Sprache ausprobieren. Aber die Rechnung geht nicht immer auf. Die kühle Distanziertheit macht es oft schwer, dem Verlauf der Erzählung zu folgen, die Schritte des Geschehens einzuordnen, Motive zu entschlüsseln. Vielleicht sollen wir hier aber auch gar nichts begreifen, sondern belehrt werden, die Begebenheiten so zu nehmen, wie sie sind, ohne sie groß kapieren zu wollen?

Lohnt es sich, über diesen Ansatz nachzudenken? Oder sollen wir einfach weiterlesen, immer den sorgfältig gegen den Strich gebürsteten Sprachmustern auf der Spur, ständig gefasst auf Irritationen, deren Schwierigkeitsgrad variiert? Hut ab vor einer Autorin, die sich solche Fragen ihrer Leserschaft zuzumuten traut. Sie scheint vollkommen überzeugt von der Selbstverständlichkeit ihrer Bilder, der Redlichkeit ihrer Sprache und dem Anliegen, das sie diese „Annalieder“ konzipieren ließ. Das verleiht den Erzählungen Stärke.

Anliegen? Gab es welche? Gelegentlich sind sie erahnbar, wollen sich aber nicht zu sehr aus der Deckung wagen. Hier schäumt etwas – im besten Sinne – und wird sich in späteren Werken noch identifizierbarer Bahn brechen. Dass der Stil mit sämtlichen Sinnen spielen will, ist anerkennenswert. Er rüttelt an der Wachsamkeit und besticht mit außerordentlicher Feinsinnigkeit. Wann vereinigt ein Debüt schon so viele Merkmale, die aufhorchen lassen?

Nadine Kegele: Annalieder. Erzählungen. Czernin Verlag, Wien 2013. 120 Seiten, 17,90 EUR. ISBN-13: 9783707604474

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