Archiv für die Kategorie 'Allgemein/Politik'

Jan 20 2021

langsam – schnell – langsam, wieviel Vorlauf braucht der Fortschritt?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

„langsam leben“ wird propagiert, slow food ist „in“ und „German Gemütlichkeit“ können die meisten US-Amerikaner selbst dann aussprechen, wenn sie keine Vorfahren aus Bayern oder der Eifel haben. In rasantem Tempo emporschnellend hingegen bei Corona das Interesse an den jeweils neuesten Zahlen, Erkenntnissen und Maßnahmen. Sehr viele Kräfte im Journalismus überschlagen sich sogar, um viel „Input“ auszustoßen – sei dies nun solide und damit nützlich oder nicht. Schnelligkeit vor Qualität?

Einsamkeit assoziiert man mit der langsamen Seite des Lebens. Die Zeit tröpfelt dahin, nicht selten ziehen sich Sinnfragen zäh durch den Alltag. Vor Jahresfrist berichtete ich über das erste Ministerium in England, das zuständig ist für diesen Zustand, der nicht gesundheitsfördernd ist. (Hier noch ein älterer Bericht darüber > https://www.deutschlandfunk.de/grossbritannien-ein-ministerium-leistet-pionierarbeit.795.de.html?dram:article_id=455902  Sich nicht treffen können, macht zwischendurch einsam – auch wenn man noch so viel telefoniert, mailt, skypt. Das Netzwerk existiert weiterhin, aber Distanzhalten strapaziert, Unwägbarkeiten nerven, ewig Vorsichtigseinmüssen verbraucht Energie, stellt unsere Geduld auf eine harte Probe. Das ist hinlänglich bekannt. 

Ins Rampenlicht geriet einiges, dass zwar als bekannt gelten durfte, aber nun umso greller ins Bewusstsein drängte: Geld ist genug vorhanden. Während man früher um 50 Cent mehr für Hartz-IV-Empfänger stritt … Wir müssen das an dieser Stelle nicht wiederholen. Aufgehoben habe ich ein Interview mit Herbert Grönemeyer in der ZEIT vom 5. November 2020, in dem er die Reichen zur Solidarität mit den Kreativen auffordert. In der gleichen Ausgabe wurde Lisa Federle vorgestellt, eine kämpferische Notärztin in Tübingen, die bereits im März 2020 (!) ihren Wohnwagen zu einer mobilen Corona-Testpraxis umbaute. „Es gibt Dinge, wichtige Dinge, die können nicht warten. Irgendjemand muss anfangen“, wird sie zitiert. Für ihr beherztes human-medizinisches Engagement (das schon während der Flüchtlingsströme 2015 vielen Menschen half) bekam sie vom Bundespräsidenten das Verdienstkreuz am Bande.

Beispielhaft! Wie viele positive Ansätze und Aktionen mag es geben in unserer Republik, die einen lose geknüpften Flickenteppich bilden, Anstöße liefern, mahnen und vorbildlich Energie einsetzen – und dennoch behält das Zögerliche (und oftmals leider auch die Ignoranz des Notwendigen) die Oberhand – von den “knausrig” bestellten Masken und Impfstoffen bis hin zur Maßnahmen gegen die Popularisierung, Erderwärmung usw. Was alles muss passieren, damit die Welt sich ändert?

Ganz besonders traurig werde ich bei der Debatte um „home office“, habe ich doch schon vor etwa 25 Jahren darüber für DAS BESTE einen Artikel aus Amerika adaptiert, der die Vorteile dieser Arbeitsweise deutlich machte. Mitnichten war ich die einzige, die dies thematisierte. Aber genauso wie meine jahrelange Anti-Mobbing-Berichterstattung böse Angriffe nicht verminderte, meine Journalismus-Kritik die Wiederholungen des zu Einseitigen, zu Vordergründen nicht eindämmte, ist auch vieles andere verpufft, das positive Impulse transportierte, zu sinnvollen Veränderungen ermutigte etc. Pionierleistungen wie die von Lisa Federle oder Apelle von Herbert Grönemeyer konnten nicht die ihnen gebührende Durchschlagskraft entwickeln – gegen Behäbigkeit scheint ganz wenig Kraut gewachsen zu sein. „Schade“ ist ein viel zu milder Ausdruck dafür! Als passender Musiktitel dazu fällt mir „3 Schritte vor und 2 zurück“ (1972) von Petra Pascal ein, anzuhören hier > https://www.youtube.com/watch?v=DoKwg95Kt4o – den Text findet man hier > https://www.lyrix.at/t/petra-pascal-drei-schritte-vor-und-zwei-zuruck-017

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Nov 04 2020

Nachvollziehbare Bahn

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

„Haben Sie eine Kundenkarte?“ Die Kassiererin ist nicht sauer, als ich den Kopf schüttle, und zieht die Artikel über den Scanner. Ich möchte nicht, dass ein Konzern registriert, was ich konsumiere. Im Versandhandel kann ich allerdings nicht ausweichen, wenn gewisse Umstände zu Bestellungen dort Anlass geben. Oder haben Sie schon mal in einem Geschäft eine Nasenbrücke gesehen, die man unter die Mund-Nasen-Maske schiebt, damit die Brille nicht beschlägt? Wenn ja, kostete die dort ebenfalls nur 2,17 €? *

Allerdings verdichten sich nun ausgerechnet bei Amazon, dem vielkritisierten Konzern, die Anzeichen, dass ich im Moment eifrig auf kriminellen Pfaden unterwegs bin. Begonnen hat das mit dem Roman „Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl“ von Jürgen Neffe, gefolgt von „Tod und Irrtum“ (historischer Roman von Elke Weigel) und „Begegnungen mit einem Mörder“ von Steffen Schröder sowie jüngst „Unheil: Warum jeder zum Mörder werden kann“ von Josef Wilfling. Ich könnte diese Kette leicht erklären und auch darauf verweisen, dass ich parallel dazu andere Bücher aus der Bücherei entlieh und weitere in meiner örtlichen Buchhandlung kaufte (also nicht einseitig lese). Aber wen interessiert das? Allein die Tatsache, dass ich vor dem Einschlafen liegend einen Krampf in der Hand kriege, wenn ich gedruckte Bücher lange vors Gesicht halte, beschert Amazon jenen Umsatz, denn ich eigentlich dem Einzelhandel gönne. (Wobei man wiederum philosophieren mag, ob es nicht grundsätzlich „gesünder“ ist, sich etwas liefern zu lassen, anstatt vermeidbare Fahrten zu Einkäufen vor Ort zu unternehmen.)

Doch dieser Tage geht es sowieso um das Nachvollziehbare, weil Infektionsketten unterbrochen werden müssen. Man merke sich also (Achtung satirisch!), an wem man in der Fußgängerzone vorbei läuft und wer im Supermarkt zu nahe an das Regal herantritt, an dem wir gerade Preise vergleichen, Inhaltsangaben auf Verpackungen lesen etc. Wir sind also auf der Hut, falls wir nicht von den Zweifeln der Corona-Leugner infiziert sind.

Dieses ständige Aufderhutsein ist jedoch anstrengend und begünstigt Misstrauen: Warum hustet der Mensch in der Nachbarwohnung heute schon zum zweiten Mal laut und vernehmlich? Woher kommt Herr Müller von gegenüber, der gerade mit einem Rollkoffer einem Taxi entsteigt? Leben die zwei Händchenhaltenden an der Fußgängerampel wirklich im gleichen Haushalt? Grrr – die Anspannung ebbt an keinem Schauplatz ab! Vielleicht mag man sich bald selbst nicht mehr leiden mit all der Skepsis und dem Abgekapseltsein.

„Bleib negativ“ ist inzwischen ein vielgehörter Abschiedsgruß. Natürlich bezogen auf das Virus. Ein Wunsch mit Widerhaken, wenn man ihn erstmals hört. Möge er zum Gegenteil anstacheln, nämlich auf der Suche nach Positivem nicht nachzulassen, um dadurch das Bedrückende in den Hintergrund treten zu lassen. Dafür eignet sich besonders das Eintauchen in Literatur! In diesem Sinne darf auch die Lust auf Mord und Totschlag grassieren; der Krimi-Markt ist reichhaltig bestückt – unter anderem präsentiert  Schorlau eine neue Herausforderung für seinen Privatermittler Georg Dengler während „Ein abgezockter Sauhund“ (Cover siehe oben) von Roland Krause uns eintauchen lässt in die Szene von Münchner Kleinkriminellen bei der Jagd nach Diebesbeute & last but not least (Schwenk in ein anderes Genre und und in die Vergangenheit) lesen sich die „Spiegeljahre“ von Felix Huby fast wie ein Krimi.

* Preisfrage: Darf man überhaupt so billig einkaufen? Wer in der Produktionskette wird hierbei am meisten ausgebeutet? Unbeschwert konsumieren fühlt sich anders an.

PS.: Ungewöhnlich, aber lohnend-aufschlussreich fand ich Patrizias Schlossers „Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich“ (Cover siehe oben): Wer sind die letzten drei aktiven Mitglieder der RAF, die immer wieder bewaffnet Supermärkte und Geldtransporter überfallen? Wie überleben sie “im Untergrund”? Und gehören sie überhaupt wirklich zur RAF? Gemeinsam mit ihrem Vater, einem grantelnden bayerischen Polizisten in Rente, macht sich Patrizia Schlosser auf die Suche nach ihnen. Sie trifft Anwälte und Ermittler, ehemalige Weggefährten und RAF-Mitglieder und erhält so Einblick in eine verschwiegene Szene. 

>> Wer übrigens selbst einen Krimi schreiben und dazu Fachliteratur zu Rate ziehen will, ist gut bedient mit “An Arsen bis Zielfahndung – Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige” von Manfred Büttner und Christine Lehmann. Auf vergnügliche und spannende Weise entschlüsseln sie die Krimiwelt, entlarven Märchen und Vorurteile. Sogar die trockensten Aspekte der Polizeiarbeit fand ich einprägsam erklärt, zumal die Fakten mit süffigen Beispielen aus Literatur und Film aufgelockert sind.

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Okt 13 2020

Zwischenruf!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Fast hätte ich zu spät geschnallt, dass mein „Where do you come from?“ bei meinem Gegenüber beleidigend wirken könnte. Doch ich möchte ja auch nicht gefragt werden, ob ich vom Himmel komme, weil ich „Schauer“ heiße. Obwohl ich immer buchstabiere: „Schauer wie Regen“. Man merkt auch meiner Sprache an, dass ich nicht “einheimisch” bin. Dennoch stört sich niemand dran. Das ist gut so. Aber würde ich Ali Schauer heißen, würde man womöglich vermuten, ich sei außerhalb Deutschlands groß geworden und hätte mir den Nachnamen angeheiratet. Die Vermutung, dass ich mir den deutschen Pass erst noch verdienen müsse, hinge im Raum.

Sooo einfach ist das also nicht mit den Namen und Wörtern. Man sortiert und sortiert – oftmals nur im Geiste – und findet mehrere Gleise zur Einordnung. Unüberlegte Entgleisungen mag man sich und anderen verzeihen, aber für Rassismus gibt es keine Entschuldigung. Dies ist aber nur eines der Themen, die derzeit bleischwer auf Deutschland lasten. Und was das Klima absolut anstrengend macht, sind die Reaktionen auf ein Virus, das nur darauf aus ist, sich zu verbreiten.

Wie soll man da noch fröhlich Kurse halten für Kreative, sie sehr feine Antennen haben? Es funktioniert, es klappt – und macht sogar ein wenig beschwingt, nachdem man sich gegenseitig die frisch aufs Papier geflossenen Texte vorgelesen hat. Doch es ist nicht so einfach, sich aus dem Zurückgezogensein, in das wir alle mehr oder weniger geglitten sind oder geworfen wurden, herauszuschälen. Und noch ein Merkmal hängt über uns, dessen Entfaltung aber nicht so richtig ins Bewusstsein gesickert ist: Die Verdachtsnähe und damit die Nachbarschaft zur Denunziation.

Wer hustet, möchte oder muss sich rechtfertigen, dass es „nicht Corona“ ist, sondern … Am besten ist man angesehen, wenn man eifrig Hände wäscht und Maske trägt. Kann man es sich leisten, Argumente der Zweifler zu diskutieren oder wird man dann womöglich gleich als „unzuverlässig“ oder gar „nicht kompatibel“ eingestuft? Früher ist man vielleicht mit einer leichten Erkältung noch zur Arbeit gegangen – riskiert man das in den nächsten Wochen ebenfalls? Wenn zu beobachten ist, dass die Nachbarn aus dem Urlaub heimkehren – ob die auch wirklich in einer Gegend waren, aus der sie nix anschleppen? Warum müssen die überhaupt verreisen – sogar in Deutschland werden Landkreise übernacht zu Hotspots erklärt. Undsoweiterundsofort.  

Es sind also überall Minen gelegt. Das Zurechtfinden kann bisweilen mühsam sein. Wohl dem, der Inseln der Geborgenheit hat! Sie fliegen einem jedoch nicht zu. Nur bei entsprechender Haltung werden sie einem vermitteln, dass es im HIER und JETZT auch ein Ausruhen gibt, eine Freude jenseits der aufregenden Bewegtheit, die überall in der Luft flimmert und surrt.

Ab 17.10.2020 in Schorndorf (VHS): Jugendliche sind oft voller Elan und engagieren sich, bevor sie von Berufs- und Familienpflichten absorbiert werden. Wir begeben uns auf Spurensuche, welche Frauen schon frühzeitig von sich reden machten, welche Träume sie hatten und wodurch sie den Zeitgeist prägten. Wir lassen uns inspirieren und kommen vielleicht zu spannenden Utopien, indem wir einst und heute verschränken. Recherche-Übungen & Lockerungsspiele inbegriffen! Das Seminar endet mit einer Online-Sequenz, die beim letzten Treffen erläutert wird und bei freier Zeiteinteilung bis Ende Januar dauert. (Vorschläge für zwei “Impulsgeberinnen – jünger als 35” bitte mitbringen.) Näheres dazu hier >> https://lmy.de/3AbQt

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Apr 30 2020

Wenn wir in einigen Monaten zurückblicken …

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Will mal hören, wie du die Zeit so erlebst, da es scheint, man dümpelt so vor sich hin im „social distancing“.

Diese WhatsApp schreckte mich hoch. Ich erkannte: ich weiß nichts zu sagen. Wer nichts erlebt, wird langsam leer. Höchstens kommen Erinnerungen an das frühere Jagen nach dem vermeintlich Unabdingbaren. Und es keimt Ärger, dass das Virus so viel Vorsicht und Geld locker macht, während es die Erderwärmung nur zu Lippenbekenntnissen brachte. Ganz blöde Stimmung. Lieber niemand damit behelligen!

Aus NICHTS Vielsagendes zu schöpfen – im Moment ist mir das nicht gegeben. Wie gut, dass ich trotzdem antworten konnte auf die WhatsApp. Als ich die Leere – zugegeben etwas notdürftig – beschrieben hatte, fiel mir auf, dass ich sie weder mit Lob noch mit Tadel zu würzen weiß. Lediglich ein wenig Wehmut unterströmte meine Worte.

Doch ich konnte mit etwas Erfreulichem enden, was ich auch hier gerne empfehle. Es ist die Corona-Rückwärts-Prognose des Zukunftsforschers Matthias Horx: Wie wir uns wundern werden, wenn die Krise „vorbei” ist. https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/ (Mit Hinweis auf die Quelle darf der Text verbreitet werden.) Der Einsicht, dass wir nicht mehr zur gewohnten Normalität zurückkehren werden, wird hier die Schwere genommen, die Zukunft als lohnendes Experiment skizziert.  

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Mrz 15 2020

Nur Mut!

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Ist der Mut, die Meinung zu sagen, geschrumpft? Dies wird häufig behauptet. Man habe Angst, in die falsche Ecke gestellt zu werden. So die Begründung.

Wie kann jemand, der im Gespräch bleibt, seine “Ecke” nicht erklären können? Oder bleibt man nicht im Gespräch? Liefert ein Statement ab, erklärt, wovon man es ableitet – und dann ist das Gespräch vorbei. Der andere soll es “fressen”, sich damit zufrieden geben, glauben? Höre ich dem anderen wirklich auch zu, setze ich mich mit dessen Meinung auseinander? Oder stehen sich zumeist zwei MeinungsträgerInnen gegenüber, die sich nicht austauschen, sondern gegenseitig plakatieren und dann wieder auseinandergehen? Vielleicht mit einem Schulterzucken > “Soll er/sie doch mit ihrer Meinung glücklich werden. Mal sehen, wer recht behält!”

Wenn ich eine Malerin wäre und dazu ein Bild malen könnte, würde ich „eingeschlossen in der eigenen Meinung“ in eine Mauer um ein Individuum umsetzen. Es dringt nichts herein und nichts hinaus. Kein Austausch, keine Inspiration …

Diese Situation wird nun an die Wand gemalt mit dem aktuellen Fürchte-Virus. Wir alle in Quarantäne. Vorher noch tüchtig einkaufen! Raffen, was geht! Wer sich in den Weg stellt, wird beschimpft, wer rationiert auch. Ich – Ich – Ich. Erkennen wir die Spiegelung? Weltweit vernetzt sein und trotzdem abgeschnitten? Wie viele Widersprüche werden uns bewusst? Corona fordert uns heraus. Wir können nicht entrinnen. Aber nur die vielen Risiken und möglichen Opfer unaufhörlich zu beschwören, verstellt den Blick, bildet eine Sackgasse. Wie kreativ sind wir wirklich? Die nächsten Wochen werden es zeigen!

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Mrz 06 2020

Noch ein Ministerium

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Das Ministerium für Einsamkeit – siehe Beitrag zuvor – ließ mich nachsinnen: Wofür könnte man noch Ministerien gründen? (Achtung! Vielleicht wird das eine Satire!)

Heute wurde ich fündig. Ich stand an der Kaffeemaschine – eine altmodische, nicht vollautomatisch. Da fiel mir ein, dass ich eigentlich zu viel arbeite. Auf zu vielen Baustellen. Meist unter einem gewissen Druck. Von einer Bekannten hörte ich Ähnliches. Sie hatte letzte Woche PC-Verbot. Keine Ahnung, wo sie sich befand, aber ich fantasierte mir einen Wohnwagen dazu, eine schöne Lichtung und viel In-die-Luft-starren.

Doch zurück zur Kaffeemaschine. Als ich sie in Gang setzte, blitzte vor meinem geistigen Auge das “Ministerium für Leistung” auf. Es könnte dazu dienen, endlich Leistung zu definieren. Heutzutage gilt ja fatalerweise die Definition “IMMER-MEHR”. Man freut sich, wenn man diese Norm erfüllen kann. Aber ich will mehr! Morgen hänge ich mir mir ein gerahmtes Blatt an die Wand: “Dies ist der vernünftige Rahmen für Leistung” soll darauf stehen. Den Rest des Tages bin ich nun mit Grübeln beschäftigt. Ist Grübeln eine Leistung?

Bevor ich eine Antwort auf diese Frage finde, denke ich mir bereits Arbeitsbegrenzungsmaßnahmen aus. Und natürlich eine vernünftige Relation zwischen Leistung und Ertrag. Zuletzt behalte ich das aber alles für mich und stelle es dem nächsten Kurs “kreativ schreiben” anheim, sich über Leistung usw. eine Geschichte auszudenken. Damit ich nicht alleine grüble. Denn das könnte mich einsam machen, wozu ich zwar das Ministerium für Einsamkeit anrufen könnte, aber das ist in England. Und jetzt, bei all den Wirren um den Brexit …

Also verabschiede ich mich nun erst mal mit einem grüblerischen Lächeln und hoffe, ich habe einen leistungsschwachen Tag!

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Okt 09 2019

Widerspenstiges zähmen

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

„Vive la Freundschaft“ ist dieses Semester in der VHS Schorndorf überschrieben. Was fiel mir dazu ein? Charles de Gaulle (1890-1970) und Konrad Adenauer – lange her. Als Kinder haben wir in der Schule gehört, dass die deutsch-französische Freundschaft nun mit besonderem Augenmerk aufgebaut und gepflegt werde, nachdem die Epoche der „Erbfeindschaft“ endlich überwunden sein müsse. 1963 strahlten die ehemaligen Feinde über dem Èlysée-Vertrag.  

Doch „Vive la Freundschaft“ in heutigen Zeiten strahlt weiter. Schließlich haben wir neue Verteilungskämpfe rund um die Welt. Und es gibt Streit, wo Flüchtlinge an Land gehen dürfen und wo sie unterkommen können. Dazwischen diese Greta, die geliebt und gehasst wird, weil sie mahnt, was man seit Jahrzehnten verschlafen hat.

Also geht es um die Abwehr von Fremdem ganz allgemein, denn das Versäumte ist uns ja seither auch fremd gewesen. „Wo die Angst ist, da ist der Weg“ – ein alter Psychologen-Spruch, an dem viel Wahres ist. Damit begann mein Kopfzerbrechen, was ich in diesem Semester als Thema im Kurs „kreativ schreiben“ in Schorndorf anschneiden soll.

Nun starten wie heute Abend damit >> Widerspenstiges zähmen. Wenn aus Gegnern Freunde geworden sind, erklingt ein neuer Ton. Beim Tagebuchschreiben ist er zu hören, sobald die Einsicht in die zwei Seiten einer Medaille wächst. Plus und Minus, Geben und Nehmen werden sichtbar – fesselnd und dennoch freischwebend.

Die Literatur ist voll von Widersachern und Widerspenstigem. Das schafft Spannung auf dem Weg zu neuen Horizonten. Wir experimentieren damit, trainieren Sprachgefühl und Textstärke, gönnen uns Lockerungsübungen und lernen, unserem Ton zu vertrauen und Grenzen spielerisch zu überwinden. (Text-Ende)

Es geht also im Grunde um Gefühle. Je genauer man die bei sich selbst und anderen identifizieren kann, desto sicherer kann man sie sortieren und gewichten. Ich bin sehr gespannt, was bei unseren Übungen herauskommt. Denn wir arbeiten bereits wieder auf unsere nächste Lesung hin. Die findet am 23.9.2020 statt.

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Mrz 16 2019

Gelingt genial sein an kurzer Leine?

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Wieder einmal ist mir zu einem Wort die deutsche Übersetzung nicht eingefallen. Auf google translate kommt „schrecklich“. Ich bin zufrieden und lese weiter in dem Artikel, der von der Phantasie in der amerikanischen Filmindustrie handelt. Dann taucht das gleiche Wort wieder auf. Diesmal passt die Übersetzung „schrecklich“ ganz und gar nicht. „awsome“ hatte ich beim Translater eingetippt und dabei ein „e“ unterschlagen. Awesome = GENIAL und diese Eigenschaft passt besser.

Wie inspirierend, dass „schrecklich“ und „genial“ so eng beieinander liegen! Wenn jemand „schrecklich genial“ ist, bedeutet das so viel wie unfassbar einfallsreich, nicht wahr? Der Einfallsreichtum in Deutschland bleibt hinter dem amerikanischen zurück. Davon handelt der Artikel. Unsere Fernseh-Serien seien dröge, die der Amerikaner spritzig. Das ist nichts Neues. Aber warum ist das so?

Das soll uns hier nicht weiter kümmern. (Interessierte werden hier fündig > https://kurzelinks.de/2yld – 16.3.2019) Denn für mich schließt sich hier das Thema „Leidenschaft“ an, zu dem ich neulich ebenfalls einen sehr aufschlussreichen Artikel gelesen habe. Es ging um die Begeisterung für den Job, den man sich erträumt und evtl. sogar ergattert. Stimmen die Entfaltungsmöglichkeiten und lassen Erfolge die Spannkraft wachsen, dann bläht sich die Tätigkeit oft genug bis zur Selbstausbeutung auf. Ständige Verfügbarkeit steht hoch im Kurs, wird allseits goutiert. Dazu fiel mir dann spontan ein Zitat von Helmut Kohl ein: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ (1984) Die Frage ist: FÜR WEN? Der Ausgebeutete steht eines Tages blutleer da, während für seine Abnehmer bzw. Weiterverwerter ein erklecklicher Gewinn herausgesprungen sein mag (oder auch nicht).

So viel ist gewiss: das Haushalten mit den eigenen Kräften liegt in der Verantwortung des Einzelnen. Die Verführung durch Lob und Anerkennung hat schon manchen Journalisten dazu verführt, seine berufliche Leidenschaft querzufinanzieren: um die schlecht bezahlte Zeit für Reportagen auszugleichen, sitzt manche/r an der Supermarktkasse, fährt Taxi oder geht in einen Großkonzern Büros & Klos putzen. Auch in anderen Branchen gibt es das Ausweichen auf Parallel-Jobs, die die Balance zwischen Sinnstiftendem und Broterwerb sichern (helfen sollen).

Bisher kommen wir hierzulande so über die Runden – doch ist das ein guter Nährboden für Einfallsreichtum und zündende Zukunftsideen? Wir sind Gott sei Dank ein sicheres Land, aber müssen wir wirklich jede Kleinigkeit absichern und kontrollieren, statt längere Leine zu lassen und größere Freiheiten einzuräumen? Wie oft rauben uns Vorschriften den Nerv, deren Notwendigkeit schwer einzusehen ist. Ob nun im Baugewerbe, bei der Stromversorgung und Müllentsorgung oder in der Steuerbürokratie. Man hat vereinzelt sogar schon Bürokratieabbaugesetze erlassen, von denen jedoch keine flächendeckende Signalwirkung ausging. Auch kuriose EU-Vorschriften wurden schon oft und lauthals angeprangert – mit welchen Konsequenzen?

Ich muss diesem Blog-Beitrag einen offenen Ausgang lassen. Ich habe keine Idee zur Abhilfe dieser Schwerfälligkeit.

Aber es freut mich, dass Schülerinnen und Schüler anfangen zu streiken und dass die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg so viel Medien-Echo erntet. Jugend stößt Zukunft an, rüttelt uns wach! Das kann nur ansteckend sein …

PS.: Ich selbst habe unzählbar viele Nächte journalistisch durchgearbeitet, bin jobmäßig überwiegend mehrgleisig gefahren, deshalb fühlte ich mich von dem ZEIT-Artikel von Merle Schmalenbach (3.1.2019) inspieriert > https://kurzelinks.de/i3xb

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Jan 29 2019

Verbrechen aus zwei Ansichten

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik,Literatur

Für mich ist immer interessant, welche Bücher zu Anfang des Jahres meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Diesmal waren es zwei, die einen guten Eindruck hinterließen. Eines ist aus 2018 und eins aus 1984. Beide haben mit Kriminalität zu tun, aber auf sehr unterschiedliche Art.

Wer sich dafür interessiert, wie Menschen im Gefängnis leben, kann sich den „Tatsachenbericht“ von Tilmann Schäfer vornehmen (incl. Glossar 228 Seiten). Er gewann seine Einblicke, als er zwei Jahre lang als Arbeitstherapeut Tag für Tag mit Gefangenen zu tun hatte. Der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf spendierte ihm zwar ein sensationsheischendes Cover, doch der Autor hat seine 32 Kapitel sehr solide verfasst und widerspricht damit auf angenehme Weise dem „lauten“ Outfit.

„Knastfrauen“ schildert nicht nur die Arbeitstherapie, sondern den ganz normalen Alltag, viele Hintergründe, Zusammenhänge und Entwicklungen. Dabei betont Schäfer immer wieder, dass Verbrechen verwerflich bleiben, auch wenn sie herleitbar sind aufgrund von Umständen, die die Menschen davor geprägt haben. In keinem Abschnitt wird das System „Knast“ kritisiert. Vielmehr bringt der Autor auch die Aufgaben der Bediensteten näher sowie die Regeln, nach denen alles funktionieren muss – Arbeit, Freizeit, Einkauf, Besuch usw. Über niemanden wird der Stab gebrochen. Es handelt sich schlicht und ergreifend um Lebensläufe, die anders sind als bei den meisten Menschen.

Natürlich gilt es, sperrige Gefangene, Quertreiberinnen, Intrigantinnen so zu lenken, dass ihr Einfügen in die Gemeinschaft nach und nach immer besser gelingt. Es gibt aber auch sehr viel Schüchternheit im Knast, mangelndes Selbstbewusstsein – und das nicht selten versteckt hinter einen großen Klappe oder betonter Kratzbürstigkeit. Das Eingesperrtsein gibt den Rahmen vor, indem Sozialisation nachgeholt werden kann und sollte. Auflehnung ist da nur kontraproduktiv. Und die meisten Gefangenen begreifen, dass es hier um mehr geht als nur Strafe.

Tilmann Schäfer schildert das sehr eingängig, so dass man sich seriös informiert fühlt. Man mag darüber streiten, ob die eine oder andere Straffung dem Stoff gut getan hätte. Manches Einfühlen bedarf aber das Umkreisen des zu Schildernden. So geht der Stil Hand in Hand mit einer fundierten Gewissenhaftigkeit, die diesem Report seine anerkennenswerte Qualität verleiht.

Buch Nummer zwei ist ein Krimi, von dem ich schon im letzten Jahrhundert begeistert war. „Nachtanschluss“ von John Lutz ist gute Unterhaltung und lässt Gefühle aus dem Zeitalter von Telefonzellen und sonstigem Gerät der 80er Jahre wieder ein wenig aufflackern. Nudger, der klamme Privatdetektiv, kaut ständig Magentabletten und hat diverse Morde aufzuklären, die möglicherweise zusammenhängen. Er könnte es sich leicht machen, indem er einem Bestechungsversuch nachgibt, was aber für ihn nicht in Frage kommt. Statt dessen stolpert er sogar in eine Liebesgeschichte, bei der in der Schwebe bleibt, ob es sich um Augenwischerei mit Enttäuschungspotential handelt.

Das Tempo der Szenen ist nicht allzu rasant. Man hofft ständig, dass der Detektiv nicht allzu viel einstecken muss (denn er wird teilweise beschattet), nichts Wichtiges übersieht, keiner falschen Fährte erliegt. Selbstverständlich geht es um zweifelhafte Zwischenwelten, unheimliche Konstellationen, Handgreiflichkeiten und Gemeinheiten. Doch Nudger hat einen guten Instinkt und einen Freund bei der Polizei, wo er früher selbst tätig war. Die Auflösung ist mit Raffinesse gewürzt.

Vergessen hatte ich, dass früher gelegentlich auch in gedruckter Unterhaltung Werbung die Lektüre unterbrach. Als die Spannung auf höchstem Niveau ist, kommt eine halbleere Seite, überschrieben mit „zwischendurch“. Ein freundliche/r Verfasser*in meint sehr fürsorglich im unten angesetzten Text, dass es erholsam sein könnte, „eine Mahlzeit für den kleinen Appetit zwischendurch zuzubereiten“. Auf der Rückseite wird die 5-Minuten-Terrine angepriesen. Funny!

Tilmann Schäfer. Knastfrauen: Der Tatsachenbericht eines Insiders – ein Arbeitstherapeut erzählt, wie es im Gefängnis wirklich ist. TB, 228 Seiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2018, 9,99 €, ISBN 978-3862657025 // John Lutz. Nachtanschluss. Heyne, Blauer Krimis Nr. 02/2269 (Dtl. 1989), nur noch in Antiquariaten erhältlich.

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Dez 25 2018

Wissen, was in den Köpfen vorgeht

Autor: . Abgelegt unter Allgemein/Politik

Die Grundstimmung ist nicht einheitlich. JedeR von uns begegnet Menschen, die ganz unterschiedlichen Prägungen und Einflüssen unterliegen. Einer jener Vordenker, deren Impulse ich sehr schätze, möchte seine Gedanken verbreitet wissen, auf die er in seinem Weihnachts-Newsletter hinweist: Gerald Hüther fasst unter der Überschrift >> Die frohe Botschaft ist doch längst verkündet. Warum nur harret sie ihrer Wahrhaftigwerdung so furchtbar lang? << zusammen, was ihm am Herzen liegt. Nachzulesen hier: https://www.gerald-huether.de/free/Weihnachtsbotschaft_2018.pdf

Auf der anderen Seite gibt es BILD. Das Blatt füttert uns nach wie vor mit fragwürdigen “Wahrheiten” und legt irrige Schlüsse nahe. Seine Verkaufszahlen gehen zwar zurück, und Rügen vom Deutschen Presserat gab es auch wieder. Doch sollte sich niemand täuschen: diese “Botschaften” finden sehr leicht Einlass in Gehirne, die das gesamte Wirrwarr unserer Republik satt haben und nach Vereinfachung streben.

BILD-Denkschemata durchleuchtet der BILD-Blog, dessen Beobachtungen man abonnieren kann. Über das Jahr 2018 haben die BloggerInnen einiges herausgefunden, das man einfach wissen sollte für den Fall, dass man Leuten diskutiert, die BILD regelmäßig konsumieren: https://bildblog.de/105347/muslimische-woelfe-sofort-abschieben-das-jahr-in-bild/

Dass ich auch auf Facebook (fb) vertreten bin, habe ich an dieser Stelle schon einmal erwähnt. Am Jahresende finde ich es lohnend, nachzusehen, was ich des Postens für wert befunden habe. (fb kann man auch als eine Art “Archiv” nutzen.) In meinem Tätigkeitsbereich wichtig ist das Projekt “Frauen zählen”, für das u. a. die Schriftstellerin Nina George in einer Vielzahl von Medien warb – beispielsweise in NDR > https://www.ndr.de/kultur/Nina-George-ueber-Projekt-Frauen-zaehlen,journal1556.html?fbclid=IwAR1SZZVAleVmSfw32iIo02ikU0THGH3nKdoVbVKBTU_ADL5HsBVpiuqytl8

Es geht um die Sichtbarkeit von Frauen im Literaturbetrieb, die mein Kurs “kreativ schreiben” in Schorndorf bei seiner Lesung am 17.10.2018 “Mit Texten zum Olymp – Nobelpreise an Frauen” ebenfalls zum Thema machte. Unterstützt wird das Projekt von der Universität Rostock, wo man sich leicht einen Überblick über die Leitfragen und Ergebnisse verschaffen kann > http://www.xn--frauenzhlen-r8a.de/ (Einen Auszug aus meiner Begrüßungsrede dokumentiere ich unten.)

Kurse 2019 sind hier online > http://journalismus-und-mehr.com/lesehimmel.php

Auf fb bin hier hier anzutreffen > https://www.facebook.com/renate.schauer.94

Bleiben Sie weiterhin in Auseinandersetzung

mit den widerstreitenden Elementen der Gesellschaft!

Das wünsche ich mir / Ihnen / Euch für 2019!

 

Auszug aus der Begrüßungsrede > Lesung am 17.10.2018

Mit Texten zum Olymp – Nobelpreise an Frauen   

Wie sichtbar sind schreibende Frauen in unserer Gesellschaft? Welche Rolle spielten und spielen Literaturnobelpreisträgerinnen?

Mir fiel Doris Lessing ein. Lag nicht in den 80ern ihr „Goldenes Notizbuch“ auf meinem Nachttisch? Hatte sie nicht den Nobelpreis erhalten? Ebenso Pearl S. Buck, deren Roman „Die gute Erde“ mich in meiner Jugend begeisterte?

Ich holte mir das „Goldene Notizbuch“ aus der Bücherei und konnte nichts mehr damit anfangen. Die Euphorie von damals wollte sich nicht wieder einstellen. 37 Jahre waren vergangen. Und in der Summe ganze 56 Jahre, seit das Original auf den Markt kam.

Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen. Das ist Merksatz Nr. 1!

Doch vor ca. drei Jahren packte mich Lessings Roman „Das fünfte Kind“, der gleichwohl 30 Jahre auf dem Buckel hat. Ein auswegloses Familiendrama, das mich nicht aus den Klauen ließ. Obwohl hier ein unglaubliches Monster die Nerven strapaziert, fand ich diesen Stoff weniger düster als „Die Atemschaukel“ von Herta Müller. Ich quälte mich durch dieses Buch und hatte hinterher das Gefühl, etwas Wichtiges gelesen zu haben – mehr nicht.

Um beim Tragischen zu bleiben: Die dokumentarische Prosa von Swetlana Alexijewitsch überzeugt durch eine hohe Präsenz, die mich sofort für diese literarische Form einnahm. Erreicht wird das mit einer Vielfalt von Perspektiven und Facetten, was zum Beispiel in „Gespräche mit Lebenden und Toten“ zum Ausdruck kommt. Dieses Hörspiel handelt von dem Reaktorunglück 1986 in Tschernobyl. Die weißrussische Preisträgerin ist auch Journalistin.

Vielleicht erklärt das meine Nähe zu ihr. Sie transferiert Katastrophen und gesellschaftliche Umwälzungen auf eindringliche Art und Weise. Keine leichte Kost!

Als Merksatz Nr. 2 formiert sich: Wertvolle Literatur muss nicht immer gefallen.

Merksatz Nr. 3 lautet: Es gibt wenig Literatur, die ihre Faszinationskraft über viele Epochen hinweg behält. Und diese Literatur muss nicht immer preisgekrönt sein.

Denn viele andere Schriftsteller*innen hätten den Literaturnobelpreis ebenfalls verdient gehabt. Man denke nur Leo Tolstoi – „Krieg und Frieden“ – oder an Simone de Beauvoir usw.

Es gibt Preise, zu denen wird man vorschlagen. Und Preise, um die man sich bewerben muss. Weitreichende Recherchen ergaben, dass Frauen bei all diesen Preisen bisher zu kurz kamen. Auch beim Literaturnobelpreis, für den die Jury Vorschläge aus aller Welt einholt. Eine schwierige und langwierige Prozedur, die man im Internet nachlesen kann.

1901 wurde der Preis erstmals vergeben. Seither erhielten ihn 99 Männer und nur 14 Frauen. Trotzdem: Wie sich die Zeiten ändern, lässt sich an den Jahreszahlen ablesen: seit 1991 – also in den letzten 27 Jahren – haben acht Frauen diese noble Auszeichnung erhalten, im Zeitraum zuvor, der mehr als dreimal so lang war (nämlich 89 Jahre), erhielten ihn nur sechs.

Die 14 Literaturnobelpreisträgerinnen nun ein wenig ins Rampenlicht zu holen, ist unser Plan für diesen Abend. (…) Der Nobelpreis an sich soll ja „denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“. So wollte es Alfred Nobel. Der Literaturnobelpreis ist mit etwa 775.000 € dotiert.

Vom verflossenen Jahr ist hier die Rede. Doch jeder Preis wirkt länger.

Er ermöglicht das Weiterschreiben unter besseren Bedingungen.

Viele Bücher hätten ohne Stipendien oder sonstige finanzielle Zuwendungen nicht entstehen können. Doch um eine Auszeichnung zu erhalten, muss man nicht nur gut, sondern auch präsent bzw. bekannt sein.

Es ist also entscheidend, wie viele Bücher von Autorinnen veröffentlicht und entsprechend beworben und rezensiert werden. Sind die Entscheidungsebenen in Verlagen und Feuilletons noch immer männerdominiert? Ein Kritiker soll mal öffentlich geäußert haben: „Ein Frauenbuch ist ein Buch, das ich als Mann nicht verstehe.“ Wird Literatur von Frauen als „Gedöns“ von vorn herein in die zweite Reihe gestellt? Verlagsvertreter schwärmen aus, um Buchhändler zu überzeugen, welche Werke sie sich auf Lager legen sollen. Es gibt eine große Anzahl an Beteiligten, die an den Schrauben im Literaturbetrieb drehen!

„Frauen zählen“ heißt die Pilotstudie, die die “Sichtbarkeit von Frauen im Literaturbetrieb“ untersucht. Erste Ergebnisse wurden letzte Woche auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt.

2036 Buchbesprechungen in 69 deutschen Medien wurden im März 2018 ausgewertet.

Von Männern verfasste Bücher werden häufiger rezensiert als jene von Frauen. Das Verhältnis ist 2 zu 1. Fest steht: Männer schreiben am liebsten über Männer!

Nun zurück zum Literaturnobelpreis. Selbstverständlich gibt es immer wieder Kritik an den Entscheidungen. Manche Vergaben heben besonders anspruchsvolle Texte bzw. Werke oder Lebenswerke hervor, andere scheinen politisch konnotiert zu sein.

Wir meinen, es kommt auf den Zeitgeist an und darauf, wie die Jury zusammengesetzt ist. Wenn wir die 580 Literaturpreise in Deutschland nehmen, sind die Jurys nur zu 23 Prozent mit Frauen besetzt, sagt PEN-Zentrums-Mitglied Nina George.

Es beginnt also schon weit unter dem Level des Nobelpreises, dass die Präsenz von Frauen und damit die Aufmerksamkeit für Frauen zu wünschen übrig lässt.

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